Nach Rekordniederschlägen Erst Megadürre, dann Megaschnee und nun Megaflut? Kalifornien zittert vor der "großen Schmelze"

Big Bear City in Kalifornien: Wasser fließt durch Teile des Ortes
Big Bear City in Kalifornien: Wasser fließt durch Teile des verschneiten Ortes
© Katrina Kochneva / Picture Alliance
Im seit Jahren unter Wassermangel leidenden US-Bundesstaat Kalifornien sind in diesem Winter historische Schneemengen gefallen. Sommerliche Temperaturen lassen diese nun schmelzen – und das ablaufende Wasser bedroht ganze Landstriche.

Eigentlich leidet der Westen der USA seit vielen Jahren unter einer gewaltigen Dürre. In der Folge sind die Pegel von Seen und Flüssen dramatisch zurückgegangen und die Gefahr von Waldbränden ebenso dramatisch gestiegen. Eine Studie, die im Februar 2023 in der britischen Zeitschrift "Nature Climate Change" veröffentlicht wurde, nannte die durch den menschengemachten Klimawandel verursachte Trockenzeit in Teilen der Bundesstaaten Kalifornien, Arizona, New Mexiko, Colorado, Utah und Nevada sowie Nordwestmexikos sogar die schlimmste "Megadürre" in der Region seit mindestens 1200 Jahren.

In diesem Winter nun gab es vor allem in Kalifornien endlich über einen längeren Zeitraum kräftige Niederschläge. Diese waren allerdings so stark, dass einige Regionen bereits überschwemmt wurden oder für Wochen unter Rekordmengen an Schnee verschwanden.

In Nordkalifornien, rund um den Lake Tahoe, seien allein in einer März-Woche fast vier Meter Schnee gefallen, teilte die Wetterbehörde NOAA Anfang April mit. Weiter südlich, im mittleren und südlichen Teil der Sierra Nevada, sei die dickste Schneedecke seit 90 Jahren gemessen worden. In der südlichen Sierra Nevada liegt die Schneedecke nach Angaben der "Los Angeles Times" immer noch bei 256 Prozent des Normalwertes um diese Zeit.

Mit dem einsetzenden Frühlingswetter beginnen diese Schneemassen nun zu schmelzen und bringen eine neue Gefahr mit sich: massive Überschwemmungen.

"Die 'große Schmelze' ist jetzt da"

Die Temperaturen in Zentralkalifornien sind in den vergangenen Tagen kräftig in die Höhe geklettert und sollen Meteorologen zufolge am Wochenende bis zu 34 Grad Celsius erreichen. Außerdem sind für die kommenden Tage blauer Himmel und starke Sonneneinstrahlung vorhergesagt. Auch die Nachttemperaturen werden voraussichtlich deutlich über 10 Grad liegen. Das hat zur Folge, dass der Schnee in der Sierra Nevada rund um die Uhr schmelzen könnte.

"Die 'große Schmelze' ist jetzt da", sagte Daniel Swain, Klimaforscher an der Universität von Kalifornien in Los Angeles, der "Los Angeles Times". "Wir hatten gesagt, dass es irgendwann etwa zwischen März und Mai eine Woche geben werde, in der die Schneeschmelze dramatisch zunimmt, entweder aufgrund einer Hitzewelle oder eines späten warmen Sturms in der Saison. Ich denke, das ist jetzt wahrscheinlich diese Woche."

Problematisch sei, dass das abfließende Schmelzwasser vor allem in Gewässer und Gebiete laufe, die in diesem Jahr bereits Überschwemmungen erlebt hätten, erklärte Swain. "Viele Flüsse, die sich derzeit noch innerhalb ihres Bettes bewegen, aber relativ hoch stehen, könnten im Laufe dieser Woche die Hochwassergrenze überschreiten." Der Wissenschaftler warnte in den sozialen Medien vor einer "erheblichen Gefährdung".

Mike Howard von der kalifornischen Nationalparkbehörde sieht das ähnlich: "Im Moment sind die Flüsse tödlich kalt und schnell", sagte er dem "San Francisco Chronicle". Niemand habe je etwas gesehen, das auch nur annähernd mit den derzeitigen Wassermengen und Strömungen vergleichbar sei.

Ein bereits betroffenes Gebiet ist das Tulare Lake Basin. Der Tulare-See in Kings County war früher einmal einer der größten Süßwasserseen im Westen der USA. Mit der Entwicklung der Landwirtschaft und der Umleitung von Flüssen ging sein Wasserstand dann zunehmend zurück. Mitte des vergangenen Jahrhunderts trocknete er schließlich ganz aus und wurde auch zur Agrarfläche.

Doch in den vergangenen Wochen hatten die Behörden Wasser aus dem stark angeschwollenen Kings River in die Region umgeleitet, den See damit zu neuem Leben erweckt – und gleichzeitig Ranches und Ackerflächen überflutet. Robert Thayer, stellvertretender Sheriff von Kings County, schätzte die Größe des Tulare Lakes laut "Washington Post" am vergangenen Freitag bereits auf 260 bis 360 Quadratkilometer mit einer durchschnittlichen Wassertiefe von gut einem Meter. Das sei so, als würden Manhattan, Brooklyn und große Teile der Bronx hüfthoch unter Wasser stehen.

Dabei sind bislang erst etwa fünf Prozent der Schneemengen geschmolzen, wie Swain am Montag auf Youtube festhielt. Die Bewohner des landwirtschaftlich geprägten Gebietes, in dem Nüsse, Obst und Gemüse angebaut werden, hätten angesichts der drohenden "großen Schmelze" bereits ihre Sorge wegen des maroden Hochwasserschutzes zum Ausdruck gebracht, berichtet die US-Nachrichtenseite "Axios".

Kalifornien hat Hochwasserschutz jahrelang vernachlässigt

Die jahrelang anhaltende Dürre habe die Aufmerksamkeit und die Ressourcen der Behörden vom Hochwassermanagement abgelenkt, monieren Wasserexperten. Zudem seien immer mehr Städte in eigentlich überschwemmungsgefährdeten Regionen entstanden, damit die landwirtschaftlichen Arbeitskräfte in der Nähe der immer größer werdenden Felder leben konnten.

Nun könnte die baufällige Infrastruktur auf eine Prüfung gestellt werden, wie es sie seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben habe, schreibt die "Washington Post". Milliarden von Litern Wasser könnten durch die bereits gesättigten Wasserwege und Deiche des San Joaquin Valley fließen. Teile der Region seien bereits gefährdet, nicht nur durch die Schneeschmelze, sondern auch durch volle Stauseen. Die Behörden hätten diese Woche bereits eine Hochwasserwarnung für Tulare und zwei umliegende Bezirke ausgesprochen, weil Dämme gebrochen seien.

Winter-Bilanz: Kalifornien mit vermutlich größten Schneemengen seit Beginn der Aufzeichnungen
Kalifornien mit vermutlich größten Schneemengen seit Beginn der Aufzeichnungen

Wo und wie stark Gemeinden in den nächsten Wochen tatsächlich überschwemmt werden, hängt nach Ansicht der Meteorologen weitgehend davon ab, wie schnell es wie heiß wird. "Das Wasser geht dorthin, wo es hin will, und es findet unsere Schwachstellen, vor allem bei schlechtem Design, schlechter Planung und schlechter Wartung", warnt Jeffrey Mount, leitender Mitarbeiter des Public Policy Institute of California's Water Policy Center, angesichts der mangelhaften Flut-Infrastruktur. Den Menschen in den gefährdeten Gebieten macht er kaum Hoffnung: "Für diese Leute ist es ein hartes Los. Sie sitzen absolut fest."

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