Die wütenden Vorwürfe gegen die Verantwortlichen der verhängnisvollen Loveparade in Duisburg werden immer lauter. Die Ermittler lieferten nach der Katastrophe mit 19 Todesopfern am Montag zwar noch keine Erklärungen. Doch es verdichteten sich Hinweise, dass Warnungen missachtet und behördliche Vorschriften bewusst aufgeweicht worden sind. Bei der Party wurden nach neuen Angaben insgesamt 511 Menschen zum Teil schwer verletzt. Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU) hatte für den späteren Nachmittag eine persönliche Erklärung angekündigt.
Einer der Schwerverletzten aus dem tödlichen Gedränge bei einer Unterführung vor dem Partygelände schwebte am Montag noch in Lebensgefahr, teilte die Polizei mit. Von den insgesamt 511 Menschen mussten 283 in Krankenhäusern behandelt werden. 42 von ihnen lagen am Montag noch in Kliniken.
Die Ermittlungen wegen fahrlässiger Tötung stünden noch am Anfang, sagte Staatsanwalt Rolf Haverkamp in Duisburg der dpa. "Es haben sich jede Menge Zeugen gemeldet, die werden auch alle vernommen." Zur Frage, ob die 19 Todesopfer obduziert werden, wollte er sich nicht äußern.
Um Befangenheit bei den Ermittlungen zu vermeiden, wird die Duisburger Polizei "die Ermittlungen an eine andere Polizeibehörde abgeben", kündigte ein Sprecher des nordrhein-westfälischen Innenministeriums am Montag in Düsseldorf an.
An der Spitze der Kritik am Sicherheitskonzept der Techno-Parade steht die Deutsche Polizeigewerkschaft. "Ich habe vor einem Jahr Duisburg als ungeeignet für die Loveparade abgelehnt und bin dafür als Spaßverderber und Sicherheitsfanatiker beschimpft worden", sagte der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft, Rainer Wendt. "Aber die Verantwortlichen waren besessen von der Idee, etwas für diese gebeutelte Stadt zu tun. Ich bin alles andere als glücklich darüber, nun leider auf diese Weise bestätigt worden zu sein."
Der NRW-Vorsitzende der Polizeigewerkschaft, Erich Rettinghaus, sagte der dpa, "Polizei und Feuerwehr haben viel Erfahrung mit Großveranstaltungen. Praktisch nichts davon wurde umgesetzt".
Auch die Trauernden, die vor dem Todestunnel Blumen, Bilder und Briefe niederlegten, finden deutliche Worte für ihre Erschütterung: "Und keiner hat Schuld - jeder Vollidiot hätte es besser gewusst", hat jemand in akkuraten Druckbuchstaben auf ein Stück Pappe gemalt.
Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland hatte das Sicherheitskonzept der Loveparade verteidigt und das Unglück auf "individuelle Schwächen" zurückgeführt.
Veranstalter anderer Großveranstaltungen reagierten fassungslos auf die Tragödie. Deutschlands führender Konzertveranstalter Marek Lieberberg machte seiner Wut Luft und benannte Profilierungssucht und Inkompetenz als Ursachen. Das "war keine höhere Gewalt wie ein Treppeneinsturz oder ein Unwetter, sondern das Ergebnis eines verhängnisvollen Zusammenwirkens von völlig überforderten Behörden und inkompetenten Organisatoren, die weder mit derartigen Großveranstaltungen vertraut noch in der Lage waren, auf Notsituationen zu reagieren", teilte Lieberberg mit.
Möglicherweise werden die Fehlleistungen bei der Vorbereitung der Loveparade auch Inhalt einer parlamentarischen Untersuchungskommission. Die Einrichtung eines solchen politischen Gremiums hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion verlangt. Die Bundesregierung zeigte sich offen für Konsequenzen, warnte aber vor voreiligen Schlüssen.
Unterdessen liefen in Duisburg die Planungen für die Trauerfeier. Zudem wurde ein Kondolenzbuch ausgelegt.
Gegen Oberbürgermeister Sauerland, leitende Beamte der Stadt und die Veranstalter erstattete der ehemalige Bochumer Polizeipräsident Thomas Wenner (62) unterdessen persönlich Anzeige, wie er der dpa bestätigte. Eine solche Veranstaltung hätte in Duisburg nie realisiert werden dürfen. Wenner hatte 2009 als amtierender Polizeipräsident die für Bochum geplante Loveparade abgesagt.
Sauerland war am Sonntag von Trauernden körperlich angegriffen worden. Er wurde ausgebuht, beschimpft, ein Mann habe ihn mit Müll beworfen und an der Jacke getroffen, berichtete die "Bild"-Zeitung. "Das waren Menschen, die trauern, die ihren Emotionen freien Lauf gelassen haben und das verstehe ich", sagte Sauerland danach.
Ein internes Verwaltungsdokument aus Duisburg belegt nach Informationen von "Spiegel Online" die Schwachstellen des Sicherheitskonzepts bei der Großveranstaltung mit insgesamt bis zu 1,4 Millionen Besuchern in der Stadt. So habe der Veranstalter nicht die sonst vorgeschriebene Breite der Fluchtwege einhalten müssen. Zugleich sei das Gelände ausdrücklich nur für 250 000 Menschen zugelassen gewesen.
Die Stadt Gelsenkirchen - ursprünglich als Austragungsort der Loveparade 2011 vorgesehen - begrüßte die Absage der Party durch den Veranstalter Rainer Schaller. "Es ist definitiv richtig, dass die Loveparade nach der Katastrophe von Duisburg nicht mehr stattfindet. Sie wäre in Zukunft immer von diesem Unglück belastet gewesen", sagte Stadt-Sprecher Martin Schulman.