In der weithin verwüsteten Südstaatenmetropole strömt ein bestialischer Verwesungsgeruch aus vielen Gebäuden, die Seuchengefahr wird immer bedrohlicher. Im gesamten Katastrophengebiet wird mit mehreren tausend Todesopfern gerechnet. US-Präsident George W. Bush will nach heftiger Kritik an seinem Krisenmanagement das Katastrophengebiet an diesem Montag zum zweiten Mal binnen weniger Tage besuchen.
New Orleans wird zur gruseligen "Totenstadt"
In der Bürokratensprache beginnt "Phase 2". Nach der Evakuierung gingen die Mitarbeiter der Bundesagentur für Krisenmanagement daran, die auf den Straßen liegenden oder im Wasser treibenden Toten zu bergen, um den Ausbruch von Krankheiten zu vermeiden, sagt der für den Rettungseinsatz zuständige Militärkommandeur, General Russel Honore.
Für die Rettungs- und Bergungskräfte beginnt jener Teil, der besonders an Herz, Gemüt und Magen geht. Zu Beginn der Hilfsaktion schoben sie die Toten einfach beiseite, um die Lebenden zu retten. Sie markierten mit roten oder schwarzen Kreuzen die Häuser mit Opfern. Jetzt werden Türen zu Häusern aufgebrochen, um die in ihren eigenen vier Wänden elendig Ertrunkenen zu bergen, wie US- Fernsehsender berichten.
Heimatschutzminister spricht von Horrorszenen
Heimatschutzminister Michael Chertoff hat die Öffentlichkeit am Sonntag auf Horrorszenen aus dem inzwischen weitgehend geräumten New Orleans vorbereitet. "Wir werden Tote finden, die sich in ihren Häusern versteckt hatten und von der Flut überrascht wurden - es wird so hässlich, wie man es sich in seinen schlimmsten Vorstellungen ausmalt", sagte Chertoff in einem Interview des Senders "FoxNews". Die Zahl der Opfer sei noch nicht abzusehen. Auf eine Schätzung wollte Chertoff sich nicht festlegen.
Niemand weiß genau, wie viele Menschen allein in New Orleans der größten Naturkatastrophe in den USA zum Opfer gefallen sind. Seit Tagen sprechen Bürgermeister Ray Nagin und Gerettete von Dutzenden von Leichen, die durch die gefluteten Straßen treiben. Mehrere Tausend Menschen könnten gestorben sein, mutmaßt Gouverneurin Kathleen Blanco.
Leichen sollen in Kühllastwagen zwischengelagert werden
Weil über New Orleans eine Hitzeglocke von 30 Grad Celsius liegt und die Stromversorgung zusammengebrochen ist, sollen die geborgenen Leichen nach Angaben von Rettungskräften zuerst in Kühllastwagen zwischengelagert werden. Anderorts herrscht über den Tod hinaus der Notstand. Im Charity Krankenhaus stapelten sich die Toten im Leichenkeller bereits bis unter die Decke. Als der Platz nicht mehr ausreichte, seien Leichen in den Schacht unter der Treppe gelegt worden, berichtete eine Reporterin des Nachrichtensenders CNN.
200 Patienten wurden aus dem Krankenhaus gerettet, das am Ende eher einer Totenstation ähnelte. Erst brach die Stromversorgung zusammen. Dann gingen Wasser und Verpflegung aus.
Der Tod machte selbst vor den großen Notquartieren in der Stadt nicht halt. Im Convention Center seien drei Kleinkinder an den Folgen der totalen Erschöpfung gestorben, berichteten Sicherheitskräfte. Die Geschichten der Geretteten über Gewalt, Vergewaltigungen und panische Überlebensängste lassen Schauer über den Rücken laufen.
Keiner weiß, wann das Leben in die Stadt zurückkehren wird
Fast eine Woche hausten rund 40 000 Menschen unter unbeschreiblichen Umständen in den beiden größten Notunterkünften, dem Convention Center und dem Football-Stadion Superdome. Der Gestank verschlage einem den Atem, die Müllberge seien unbeschreiblich und die gesamte Situation einfach nur entsetzlich, beschrieb ein Reporter der örtlichen Radiostation 4WWL die Situation.
Keiner weiß, wann wieder Leben in die frühere Hauptstadt des Jazz am Ufer des Mississippi zurückkehren wird. Die Rettungskräfte rechnen damit, dass es bis zu sechs Monate dauern könnte, bis nach der Reparatur der Dämme das letzte Wasser aus der Geisterstadt gepumpt worden ist.
Bundeswehr schickte 25 Tonnen Lebensmittel
Die Bundeswehr schickte am Wochenende 25 Tonnen Lebensmittel für die Hurrikan-Opfer in die USA. Insgesamt sollten der US-Behörde für Katastrophenmanagement (FEMA) 14 000 Feldverpflegungspakete übergeben werden, teilte am Sonntag das Verteidigungsministerium in Berlin mit. Nach der Ankündigung der USA, internationale Hilfe für die Katastrophenregion anzunehmen, haben bislang rund 55 Staaten ihre Unterstützung zugesagt - darunter auch Kuba und Iran.
Bush betreibt Imagepflege
"Kolossaler Mangel an Führungskraft" und "Rettungsaktion für sein eigenes Image": Nach seinem Blitzbesuch in der vom Hurrikan "Katrina" verwüsteten Krisenregion hat US-Präsident George W. Bush Kritik, Hohn und Spott geerntet. Einen Tag später versuchte der ins Schussfeld geratene Bush, die Kontrolle über die Situation zurückzugewinnen. In staatsmännischem Ton wandte sich der Präsident an die Nation, versprach den Betroffenen mehr und unbürokratische Hilfe und räumte Fehler im Krisenmanagement ein. Am Montag will Bush erneut in das Krisengebiet reisen. Darüber hinaus schiebt die Regierung die Schuld für das Rettungsdesaster an die Gouverneure und lokalen Behörden vor Ort weiter.
Bush habe bei seiner Samstag-Rede einen nüchterneren Ton angeschlagen als bei seiner Rundreise durch das Krisengebiet, schreibt die "New York Times". Am Freitag habe er auf dem Flughafen der verwüsteten Stadt New Orleans beispielsweise noch über seine schöne Zeit in Houston (Texas) gescherzt.
Diskussion über Rassendiskriminierung
Houston hat rund 25 000 Flüchtlinge aus New Orleans aufgenommen, die zum Teil nur mit ihren Kleidern auf dem Leib und ohne Schuhe kamen und jetzt Monate in Notunterkünften verbringen müssen. Trotz aller Versuche der Schadensbegrenzung aus dem Weißen Haus, ist die politische Langzeitwirkung nicht abzusehen. Die "New York Times" spricht von der größten politischen Krise in Bushs Amtszeit. Die "schlampige" Hilfsaktion hat beispielsweise eine neue Diskussion über Rassendiskriminierung losgetreten. Außerdem wollen die oppositionellen Demokraten in einem Untersuchungsausschuss dafür sorgen, dass sich Bush in den kommenden Monaten nicht in den Erfolgen des Wiederaufbaus sonnen kann, sondern als oberster Krisenmanager für die Mängel der Hilfsaktion verantwortlich gemacht wird.
"Der Präsident hat es letztendlich bis zur Küste des Golfs geschafft - nach fünf Tagen", kommentierte Moderatorin Daryn Kagan vom Nachrichtensender CNN Bushs Abstecher in die Krisenregion.
Heimatschutzminister weist Verantwortung von sich
Die demokratische Senatorin Mary Landrieu aus Louisiana wirft der Regierung inzwischen vor, den Bush-Besuch in New Orleans inszeniert zu haben. Als sie mit dem Präsidenten am Freitag über einen beschädigten Damm geflogen sei, habe sie bedeutende Anstrengungen zur Reparatur der Bruchstelle gesehen. Einen Tag später habe an selber Stelle nur noch ein "einsames" Ausrüstungsteil gestanden, empörte sich Landrieu.
Der Sprecher des Weißen Hauses, Scott McClellan, versucht seit Tagen, alle aufkeimende Kritik am Krisenmanagement der Regierung abzubügeln. Es sei nicht die Zeit für Schuldzuweisungen oder Parteipolitik, beschied McClellan.
Angesichts eines Sturms der Wut und Empörung ging Heimatschutzminister Michael Chertoff am Samstag in die Offensive und meinte, dass in einem föderalen System die oberste Verantwortung bei den Gouverneuren der einzelnen Bundesstaaten und nicht bei der Regierung liege. Der Mangel an angemessener und schneller Hilfe in der Notsituation dürfe nicht durch politische Wichtigtuerei oder Schulterklopfen überdeckt werden, sagt die demokratische Kongressabgeordnete, Luise Slaughter. Der Fehler dürfe nicht unter den Teppich gekehrt werden.
Auch führende Republikaner sprechen von "Peinlichkeiten" oder "Arbeitsfehlern" und stellen die Frage in den Raum, warum das nach den Anschlägen vom 11. September geschaffene Heimatschutzministerium so schlecht auf eine Katastrophe vorbereitet war.