Trauerfeier in Duisburger Fußballstadion Wunden der Loveparade noch nicht verheilt

Fast ein Jahr nach dem Loveparade-Unglück sind fast alle Fragen weiter offen. 21 Menschen haben ihr Leben verloren und weitaus mehr ihr Lebensglück. Bis zur Aufarbeitung der Katastrophe ist es ein weiter Weg.

Die Stadtspitze wie paralysiert, die Schuldfrage offen, die Angehörigen der Toten weiter fassungslos: Ein Jahr nach der katastrophal missglückten Duisburger Loveparade mit 21 Toten und hunderten Verletzten ist die Tragödie vom 24. Juli in der Ruhrgebietsstadt präsent fast wie am ersten Tag. Eine Trauerfeier im Duisburger Fußballstadion am Jahrestag des Unglücks mit Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und dem Sänger "Der Graf" soll Trost spenden, sie reißt aber auch alte Wunden wieder auf.

Die Industriestadt Duisburg mit Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU) an der Spitze wollte vor einem Jahr unbedingt den Publicity-Erfolg mit glücklichen jungen Menschen. Druck kam auch von außen - immerhin lief das Kulturhauptstadtjahr - und man verließ sich zu sehr auf die große Erfahrung des Loveparade-Veranstalters Lopavent. So genehmigte die Stadt trotz Bedenken von Planern im Rathaus und bei der Polizei die Party in einem ausrangierten Güterbahnhof - der sich als tragisch ungeeignet erwies.

Das umzäunte Gelände hatte nur einen einzigen Ein- und Ausgang, der in einen Tunnel mündete. Als am Nachmittag immer mehr Teilnehmer auf die Techno-Party strömten und zugleich Hunderte wieder nach Hause drängten, entstand am Rampenaufgang eine drangvolle Enge, in der irgendwann Panik aufkam. Menschen schubsten, trampelten, schlugen um ihr Leben. Schwache sackten nach unten. "Die Loveparade wurde zum Totentanz", sagte der rheinische Präses Nikolaus Schneider kurz nach der Katastrophe.

Als die Toten abtransportiert und die Verletzten versorgt waren, herrschte kurz entsetztes Schweigen. Dann brach eine Kakophonie gegenseitiger Beschuldigungen los. Stadt, Polizei und Veranstalter rechneten dem jeweils anderen Verfehlungen vor, die teils abenteuerlich klingen: So soll die Polizei mitten in der sich anbahnenden Krise wegen Schichtwechsels Kräfte abgezogen haben. Das wurde später von der Staatsanwaltschaft dementiert. Genau an der Panikstelle war ein Gullydeckel defekt und angeblich nur notdürftig mit einem Bauzaun abgedeckt. Lopavent wurde vorgeworfen, zu wenig Kräfte im Einsatz gehabt zu haben, Polizei und Feuerwehr sollen über Polizei-Absperrketten im Tunnel uneins gewesen sein.

Zum Kristallisationspunkt wurde aber OB Sauerland, der bei der Pressekonferenz am Tag nach dem Unglück die Übernahme der Verantwortung und eine Entschuldigung abgelehnt hatte. Rücktrittsforderungen, Beschimpfungen und Morddrohungen schlugen dem vorher so populären Stadtoberhaupt entgegen. Bei einem öffentlichen Auftritt wurde er mit Ketchup bespritzt. Derzeit sammeln Bürger Stimmen für Sauerlands Abwahl. Mehr als 20 000 haben nach Angaben der Organisatoren schon unterschrieben. Sauerland weigert sich, zurückzutreten. An der Gedenkfeier wird er aber vermutlich nicht teilnehmen.

Polizei und Justiz setzten auf den Fall ein Großaufgebot von zeitweise 80 Polizisten und vier Staatsanwälten an, die inzwischen schon über 3000 Zeugen vernommen haben. 16 Beschuldigte führt die Staatsanwaltschaft - Sauerland und der Veranstalter Rainer Schaller sind bisher nicht darunter. Ein Ende der Ermittlungen ist noch lange nicht absehbar.

Weitgehend allein bleiben in all dem Chaos die Hinterbliebenen und Verletzten. Viele konnten zunächst nicht mehr arbeiten und brauchten psychologische Behandlung - in einigen Fällen bis heute, sagte der Vorsitzende des Betroffenenvereins "Massenpanik Selbsthilfe", Jürgen Hagemann. Mehrere Vorruhestandsverfahren wegen der Katastrophe laufen, drei sind bereits abgeschlossen - mit erheblichen finanziellen Einbußen für die Betroffenen. So bekomme ein ehemaliger Küchenmonteur, der gut 1500 Euro netto verdient habe, als Frührentner nur noch 600 bis 700 Euro im Monat, berichtet Hagemann.

Die Düsseldorfer Kanzlei Baum Reiter & Collegen vertritt derzeit 76 Mandanten in Entschädigungsverfahren. Zumeist sind es Verletzte, aber auch einige Hinterbliebene, sagt der in der Kanzlei zuständige Rechtsanwalt Julius Reiter. Bis zu 20 000 Euro haben die Hinterbliebenen und Schwerverletzten bereits kurz nach dem Unglück aus einem Soforthilfefonds des Landes bekommen. Für ein verlorenes Leben ein schrecklich kleiner Preis.

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Rolf Schraa, DPA

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