Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU) gerät wegen der Katastrophe auf der Loveparade immer stärker unter Druck. Ein Sitzungsprotokoll belegt nun, dass Sauerland über erhebliche Sicherheitsbedenken des Baudezernats informiert gewesen sein muss. Bisher hat der Oberbürgermeister, der sich inzwischen auch Morddrohungen ausgesetzt sieht, stets bestritten, an den Planungen im Detail beteiligt gewesen zu sein.
Das Schriftstück, das eine Sitzung vier Wochen vor der Loveparade zusammenfasst, liegt den Zeitungen der WAZ-Gruppe vor. Nach ihren Angaben findet sich auf dem handschriftlich vermerkten Verteiler des Protokolls auch das Kürzel "OB", das für Oberbürgermeister steht. Teilnehmer der Sitzung waren Vertreter der Loveparade-Veranstalter Lopavent, die Feuerwehr, das Ordnungsamt und der Ordnungsdezernent Wolfgang Rabe.
Streit um Fluchtwege
Laut "WAZ" ging es bei dem Treffen unter anderem um die Frage der Fluchtwege, an der sich ein Streit entzündete. Lopavent wehrte sich demzufolge gegen die Vorschrift, bei 220.000 Besuchern Fluchtwege über 440 Meter nachweisen zu müssen. Laut Protokoll hätten die Lopavent-Vertreter darauf entgegnet, dass sie solche Voraussetzungen noch nie hätten erfüllen müssen. "Sie seien überrascht, welche rechtlichen und formalen Anforderungen die Bauordnung stellen würde", so ein Zitat in dem Schriftstück. Stattdessen habe Lopavent lediglich auf 155 Meter Fluchtweg bestanden, da es ihrer Erfahrung nach "ausreichend sei, wenn ein Drittel der Personen entfluchtet werden können", berichtet die "WAZ".
In der Sitzung soll außerdem Rabe, Ordnungsdezernent und Leiter des Loveparade-Krisenstabs, Druck ausgeübt haben, die Veranstaltung nicht an diesen Fragen scheitern zu lassen. Die Zeitung zitiert aus dem Protokoll: "Herr Rabe stellte in dem Zusammenhang fest, dass der OB die Veranstaltung wünsche und dass daher hierfür eine Lösung gefunden werden müsse. Die Anforderungen der Bauordnung, dass der Veranstalter ein taugliches Konzept vorlegen müsse, ließ er nicht gelten." Er soll, so berichtet es die Zeitung, das Bauordnungsamt aufgefordert haben, "an dem Rettungswegekonzept konstruktiv mitzuarbeiten".
Doch der Leiter des Bauderzernats, Jürgen Dressler, soll das Schreiben, das an ihn gerichtet war, handschriftlich folgendermaßen kommentiert haben: "Ich lehne aufgrund dieser Problemstellung eine Zuständigkeit und Verantwortung (...) ab. Dieses entspricht in keinerlei Hinsicht einem ordentlichen Verwaltungshandeln und einer sachgerechten Projektstellung."
Vorschriften umgangen
Doch offenkundig konnten sich die Bedenkenträger nicht durchsetzen. Denn tatsächlich soll der Veranstalter Lopavent kurz vor der Loveparade von entscheidenden Vorschriften befreit worden sein. Nach Informationen von "Spiegel Online" habe ein Sachbearbeiter der Unteren Bauaufsicht in Duisburg die Organisatoren von der Vorgabe entbunden, die vorgeschriebenen Breiten der Fluchtwege einhalten zu müssen. In der "Genehmigung einer vorübergehenden Nutzungsänderung" mit dem Aktenzeichen 62-34-WL-2010-0026 vom 21. Juli 2010 sei außerdem auf die sonst obligatorischen "Feuerwehrpläne" verzichtet worden. Dafür sollten maximal 250.000 Menschen auf das Gelände gelassen werden.
Bekannt ist, dass es schon lange Zeit vor der Loveparade viele Warnungen von Experten gegeben hatte. Beispielsweise der mittlerweile pensionierte Duisburger Polizeipräsident Rolf Cebin hatte Bedenken geäußert, dass in der Stadt kein Gelände für eine derartige Großveranstaltung geeignet sei. Daraufhin wurde Cebin massiv angefeindet: Duisburgs CDU-Chef Thomas Mahlberg, ein Parteifreund des Oberbürgermeisters Sauerland, verlangte laut "Süddeutscher Zeitung" sogar die Absetzung des Polizeipräsidenten.
OB bleibt Trauerfeier fern
Zurzeit versucht Lopavent-Geschäftsführer Rainer Schaller die Verantwortung für das Desaster der Polizei zuzuschieben. Sie habe gegen alle Absprachen alle Schleusen vor dem westlichen Tunneleingang geöffnet, wodurch der Hauptstrom der Besucher unkontrolliert in den Tunnel gelangt sei. Die Deutsche Polizeigewerkschaft warf im Gegenzug Organisator Schaller vor, von seiner Verantwortung abzulenken und deshalb ein Fehlverhalten bei der Polizei zu suchen. In einer Mitteilung der Polizeigewerkschaft hieß es außerdem, Schaller habe 500.000 Teilnehmer angemeldet, eine Genehmigung der Stadt für 250.000 Teilnehmer erhalten - aber bereits mittags öffentlich mehr als eine Million Teilnehmer bejubelt.
Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland lehnt bisher seinen Rücktritt beharrlich ab. Er behauptet, nicht persönlich in die Planungen der Loveparade involviert gewesen zu sein. Leugnen kann er allerdings nicht sein glühendes Engagement für die Großveranstaltung, die am Samstag in einem Desaster endete.
Bei der Trauerfeier für die 20 Todesopfer am kommenden Samstag wird Sauerland fehlen. Die Rheinische Post berichtet unter Berufung auf die Duisburger Stadtverwaltung, der OB wolle "die Gefühle der Angehörigen nicht verletzen und mit seiner Anwesenheit nicht provozieren". Da es Morddrohungen gegen Sauerland gegeben habe, hat die Polizei zudem Sicherheitsbedenken. Bundespräsident Christian Wulff und Bundeskanzlerin Angela Merkel werden dagegen als Trauergäste in der Duisburger Salvatorkirche erwartet.