In Südkorea war die Geburtenrate im vergangenen Jahr so niedrig wie in keinem anderen Land der Welt. Damit hat der ostasiatische Staat seinen Negativrekord von 2020 noch einmal unterboten, wie die südkoreanische Nachrichtenagentur Yonhap berichtet. Die durchschnittliche Anzahl der Kinder, die eine Frau im Laufe ihres Lebens zur Welt bringt, habe nach Angaben von Statistics Korea im Jahr 2021 bei 0,81 gelegen, gegenüber 0,84 im Vorjahr, hieß es. Das sei der niedrigste Stand seit Beginn der Erhebung entsprechender Daten durch die Statistikbehörde im Jahr 1970.
UN prognostizieren Südkorea Halbierung der Bevölkerung
Südkorea war demnach das einzige Land unter den 38 Mitgliedsstaaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), in dem die Zahl der Geburten pro Frau unter 1 blieb. Im Jahr 2020 lag die Geburtenrate in den OECD-Ländern im Durchschnitt bei 1,59. Nach einer Prognose der Vereinten Nationen wird sich Südkoreas Bevölkerung von aktuell 51 Millionen Menschen bis zum Jahr 2100 mehr als halbieren — auf 24 Millionen Menschen.
Experten befürchten laut Yonhap, dass dem Land ab 2030/2040 ein "Altersbeben" bevorstehen könnte — ein erdbebenartiger demografischer Schock aufgrund des Bevölkerungsrückgangs und der raschen Überalterung der Gesellschaft – wenn das Problem nicht rechtzeitig angegangen wird.
Die Gründe für die sinkende Geburtenrate in Südkorea sind vielfältig. Einige von ihnen spiegelt die südkoreanische TV-Serie Squid Game wider. Die Netflix-Produktion über eine Show, in der verschuldete Kandidaten und Kandidatinnen in Überlebensspielen gegeneinander antreten, um 40 Millionen Dollar zu gewinnen und ihre Schulden zu tilgen, sorgte weltweit für Aufsehen. Besonders gut kam sie aber bei jungen Südkoreanern und Südkoreanerinnen an, deren Chancen, auf der sozioökonomischen Leiter des Landes aufzusteigen, in den letzten Jahren rapide gesunken sind, wie die US-Zeitschrift "Fortune" berichtet.
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Der Wettbewerb um Arbeitsplätze habe sich verschärft, die Immobilienpreise seien in die Höhe geschnellt und junge Menschen suchten vermehrt nach Wegen zum "Schnell-Reich-Werden", wie dem Schuldenmachen, um in Kryptowährungen und Aktien zu investieren oder der Teilnahme an Online-Glücksspielen, schreibt "Fortune". Junge koreanische Berufstätige sähen sich zudem einem erheblichen gesellschaftlichen Anpassungs- und Arbeitsdruck in Form von langen Arbeitszeiten und heftigen Trinkgelagen mit Chefs und Kollegen ausgesetzt. Für berufstätige Frauen – mehr als die Hälfte der weiblichen Bevölkerung Südkoreas ist berufstätig – sei der Druck noch größer, da von ihnen erwartet werde, dass sie alles oben Genannte tun, aber sich darüber hinaus auch um Haus und Familie kümmern und strengen Schönheitsstandards entsprechen.
"Frauen in Südkorea beklagen sich über die als überholt empfundene Einstellung zu ihrem Geschlecht, und da immer mehr von ihnen ins Berufsleben eintreten, finden viele die Aussicht auf eine Ehe insgesamt unattraktiv", berichtet auch der "Washington Examiner". Immer mehr Frauen seien nicht bereit zu Hause zu bleiben und die traditionellen Aufgaben im Haushalt wie Kochen, Putzen und Kindererziehung zu übernehmen. "Heiraten bedeutet nur, dass der Mann von dir erwartet, dass du zu Hause bleibst und für ihn kochst", zitierte der "Economist" 2018 eine Frau, die für eine Nichtregierungsorganisation in Seoul arbeitet. "Warum sollte ich das tun wollen?"
Jahrzehntealte Familienpolitik wirkt nach
Außerhalb der Ehe Kinder zu bekommen, gelte als schändlich, so der "Washington Examiner". Auch Männer zögerten mit der Heirat, da der gesellschaftliche Druck von ihnen erwarte, dass sie für die Familie sorgen. Da die Lebenshaltungskosten in Südkorea explodierten und die Wirtschaft abflaue, fühlten sich immer mehr Männer unzulänglich. All diese Faktoren hätten dazu geführt, dass junge Menschen keine Lust mehr hätten, Eltern zu werden. Mehr als die Hälfte der jungen Koreaner hält es Yonhap zufolge für unnötig, nach der Heirat Kinder zu bekommen.
Verschärft wird das Geburtenproblem durch das Erbe der Familienpolitik aus den 1960er-, 1970er- und 1980er-Jahren. In den Jahrzehnten nach dem Koreakrieg (1950-53) waren die Bevölkerungszahlen stark gestiegen und in dem Bemühen, den Babyboom einzudämmen, hatte die Regierung Paare ermutigt, nur ein Kind zu bekommen. Diese Politik wurde um die Jahrhundertwende aufgegeben, als die Geburtenrate stark sank und mittlerweile gibt die Regierung jedes Jahr viele Milliarden Dollar aus, um den Trend umzukehren.
Bisher geschieht das mit wenig Erfolg — und manchmal auch mit wenig Fingerspitzengefühl: So startete die damalige südkoreanische Präsidentin Park Geun-hye im Jahr 2016 eine Initiative, bei der ihre Regierung eine "Geburtenkarte" erstellte, auf der Gebiete mit höheren Geburtenraten in leuchtendem Pink schattiert wurden, um andere Gebiete zum Nachziehen zu motivieren. Viele von Südkoreas zunehmend feministischen Frauen verurteilten das scharf und fühlten sich behandelt "wie Nutztiere".
Quellen: Yonhap1, Yonhap 2, UN, "Fortune", "Economist"