Den Oscar für die beste Hauptdarstellerin wird Daniel Day-Lewis in den sehr frühen Morgenstunden des 3. März an Cate Blanchett überreichen und Jennifer Lawrence den für den besten Hauptdarsteller an Matthew McConaughey. Todsicher. Sagen wir: zu 90 Prozent sicher. Bester Film wird "12 Years a Slave“ und bester Regisseur Alfonso Cuarón für "Gravity“. Das muss Sie jetzt nicht weiter interessieren, das interessiert auch mich nur so halb, wenn ich ehrlich bin, aber trotzdem werde ich mir dafür wie jedes Jahr die ganze Nacht um die Ohren hauen.

Ich bin ein Preisverleihungsjunkie. Ich muss das einfach sehen, dieses ulkige Ritual der holzhammerlustigen Teleprompter-Preispatenreden, der überinszenierten Musiknummern und der fantastisch gespielten Ich-freue-mich-riesig-für-dich-Gesichtsausdrücke der Unterlegenen. Natürlich gucke ich auch wegen der Klunker und Klamotten wie jeder normale Mensch, vor allem aber wegen des Familienfeieraspekts. Ach guck, da in der ersten Reihe: Onkel Jack, der einzige Mann, der mit Sonnenbrille in geschlossenen Räumen gut aussieht. Und da, Brad und Angelina, sie so dünn, das arme Ding, er gerade mit Bushido-Haarschnitt, hoffentlich für eine Rolle. Die Oscars sind das Hochamt des Gaffens, pickepackevoll mit Menschen, die Weltklasse im Begafftwerden sind, die immer genau wissen, wie sie richtig gucken, richtig stehen und sich richtig freuen müssen.
Man wartet auf das Unvorhergesehene
Preisverleihungen sind für Frauen, was Formel-1-Rennen für Männer sind. In beiden Fällen weiß man, da passiert eigentlich nicht viel, es geht um Spitzentuning und technische Finessen, an denen hochbezahlte Mechaniker herumschrauben. Alles dreht sich rasend im Kreis, und am Ende gewinnt einer, und meist weiß man schon vorher, wer.
Doch in Wirklichkeit schaut man zu in der Hoffnung, dass bei aller Hochglanzperfektion doch mal ein Drama passiert. Man wartet auf die Entgleisung, das Unvorhergesehene, darauf, dass Gwyneth Paltrow heult oder George Clooney bei den Golden Globes Michael Fassbenders Penisgröße kommentiert oder Meryl Streep sagt: "Es gibt Tage, an denen selbst ich mich überbewertet finde, aber heute nicht." Man wartet darauf, dass Blicke doch mal verrutschen und Gesichter entgleisen und die Welt plötzlich nicht mehr auf Schienen läuft. Sie passieren immer seltener und werden um so kostbarer, diese kleinen tröstlichen Momente des Schiefgehens, die einen wieder mit der Welt versöhnen.
"Palim, Palim" für Al Pacino
Die könnte man natürlich auch bequem in den Klatschblättern vom Donnerstag darauf studieren oder in den Youtube-Highlights danach, aber Teil des Spaßes ist es, das live und nachts im Pyjama zu gucken. Es erinnert mich immer an die goldenen Zeiten des Fernsehens, als man aufbleiben durfte, um Neil Armstrong den Mond betreten oder Muhammad Ali gegen Joe Frazier in Manila boxen zu sehen. Holt einen heute noch irgendein Ereignis aus dem Bett? Würde man heute noch für irgendwas aufstehen? Ich weiß: Auch die Oscars sind es eigentlich kein bisschen wert, aber … Aber.
Für Junkies wie mich kommt nur die reine, unverschnittene Ware in Frage, Oscars und bestenfalls Emmys, aber wenn der Jieper gar zu groß wird, ziehe ich mir auch schon mal eines dieser rührenden deutschen Pendants rein, Goldene Kamera oder Bambi. Obwohl es einem dort viel zu leicht gemacht wird. Wenn Weltstars wie Al Pacino und Sigourney Weaver, die eh gerade auf Promotour in der Stadt sind und deshalb einen Preis bekommen, mit Show-Eintopf von der Warmhalteplatte des deutschen Fernsehens abgespeist werden, mit "Palim, Palim“ und Königin Beatrix, sind entgleiste Gesichter todsicher. Zu hundert Prozent.