Die heutige Entscheidung ist der vorläufige Schlussstrich unter einem langen Streit in der EU: Eigentlich sollte die Zulassung für das Pestizid Glyphosat am 15. Dezember 2023 auslaufen. Doch die EU-Staaten konnten sich wiederholt nicht einigen, ob sie verlängert werden oder der Wirkstoff vom Markt verschwinden sollte. In einem solchen Streitfall kann die EU-Kommission weitgehend im Alleingang entscheiden. Was sie an diesem Donnerstag auch tat, indem sie eine Genehmigung von Glyphosat für weitere zehn Jahre aussprach. Sie stützt sich dabei auf wissenschaftliche Bewertungen, unter anderem durch die Europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde EFSA, die Europäische Chemikalienagentur ECHA und durch Expertinnen und Experten aus den EU-Mitgliedsstaaten.
1. Wo wird Glyphosat eingesetzt und wie wirkt es?
In Deutschland wurden laut Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) im Jahr 2021 knapp 4100 Tonnen abgesetzt. Zum Einsatz kommt das Mittel vor allem in der Landwirtschaft, etwa im Getreide-, Mais- oder Rapsanbau. Oft werden Flächen vor dem Säen, vor dem Keimen der Saat oder nach der Ernte durch Glyphosat unkrautfrei gespritzt. Auch in Weinbergen oder im Obstbau dient das Mittel der Unkrautbekämpfung.
Glyphosat ist ein Herbizid, das Pflanzen tötet. Im Gegensatz zu vielen anderen Pestiziden richtet es sich nicht gegen Insekten oder Pilze – sondern gegen andere Wildpflanzen, die mit den Nutzpflanzen um Wasser, Nährstoffe und Licht konkurrieren ¬– und daher von Landwirten bekämpft werden.
Glyphosat wird von Pflanzen vor allem über die Blätter, aber auch über andere grüne Teile wie Stängel aufgenommen. Es blockiert in der Pflanze ein Enzym, das sie braucht, um Aminosäuren – und daraus Proteine – herzustellen. Der Stoff verteilt sich und bewirkt, dass eine Pflanze vollständig verwelkt und abstirbt. Für die Landwirtschaft ist Glyphosat auch deshalb so attraktiv, weil es sowohl gegen blühende Wildkräuter als auch gegen Gräser wirkt.
2. Welche Umweltrisiken gibt es?
Das Hauptproblem an Glyphosat ist nicht seine akute Giftigkeit für Mensch oder Tier – sondern die Tatsache, dass es genau das tut, was es soll: Es vernichtet effizient jede grüne Pflanze auf einer Fläche. Eventuell wirkt weggewehter Glyphosat-Nebel sogar weit über die Fläche hinaus, etwa auf Wasserpflanzen in angrenzenden Gewässern.
Ein mit Glyphosat nach der Ernte behandelter Acker ist jedenfalls in pflanzlicher Hinsicht tot. Und nicht nur in pflanzlicher: Durch weniger Wildpflanzen auf und neben den Feldern gibt es weniger Nahrung und Lebensraum für Insekten und Feldvögel. Das schadet auch der Landwirtschaft selbst, denn deren Erträge hängen maßgeblich von bestäubenden Insekten ab. Eine Studie der Universität Konstanz kommt zu dem Schluss, dass Glyphosat auch die Lernfähigkeit von Hummeln beeinträchtigt, was ihre Fortpflanzungs- und Überlebenschancen verringere. Inzwischen findet sich das Herbizid in der gesamten Nahrungskette – bis hin zu Säugetieren.
3. Ist Glyphosat krebserregend?
Darum kreist seit Jahren eine Debatte. Die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC), ein Gremium der Weltgesundheitsorganisation, stufte das Mittel 2015 als "wahrscheinlich krebserregend beim Menschen" ein. Das bedeutet, dass eine Krebsgefahr grundsätzlich möglich ist. In diese relativ weiche Kategorie fällt aber auch zum Beispiel rohes und verarbeitetes Fleisch.
Im Gegensatz dazu schrieb etwa die Europäische Chemikalienagentur 2022, dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht genügten, um Glyphosat als krebserregenden, genverändernden oder fortpflanzungsgefährdenden Stoff einzustufen. Auch die EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA, das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung und die US-Umweltbehörde EPA kommen zu einem solchen Schluss.
4. Darf Glyphosat nun einfach weiter verwendet werden wie bisher?
Nein. Die EU-Kommission hat neue Beschränkungen und Anforderungen an die Zulassungsverlängerung geknüpft: So darf Glyphosat künftig nicht mehr zur "Sikkation" oder Austrocknung genutzt werden, also nicht mehr, um zum Beispiel Getreide abzutöten und so die Ähren schneller zum Abreifen zu bringen.
Verbesserte Sprüh-Düsen und 5 bis 10 Meter breite Pufferstreifen an den Äckern sollen die Menge an Glyphosat verringern, die unbeabsichtigt in die Umwelt gelangt. Außerdem sollen Risiken für Tiere und Pflanzen durch Glyphosat noch umfassender untersucht werden, etwa die Auswirkungen auf kleine Säugetiere wie Wühlmäuse, auf Wildkräuter und auf die Artenvielfalt insgesamt.
5. Gibt es Alternativen?
Ein perfektes "Ersatz-Herbizid" für Glyphosat steht nicht zur Verfügung. Stattdessen müssten Landwirte, Obstbauern oder Winzer auf andere Möglichkeiten der Beikrautbekämpfung ausweichen: Auf Äckern kann Unkraut auch untergepflügt, maschinell mit so genannten Grubbern ausgerissen oder durch Fruchtfolgen bekämpft werden. Im Obst- oder Weinbau gibt es ebenfalls mechanische Geräte, die es gezielt ausrupfen oder zerschneiden, manchmal wird auch mit Weidetieren wie Schafen gearbeitet. Solche alternativen Methoden sind oft teurer, gerade das Pflügen kann auch die Erosion der Böden verstärken.
Dass es aber auch ohne Glyphosat geht, zeigen seit langem die Bio-Betreibe, denn im Öko-Landbau ist Glyphosat verboten. Der Streit um die Substanz ist daher mehr als nur eine Diskussion um ein einzelnes Pestizid. Gerungen wird vielmehr um die Frage: Soll eine hoch intensivierte Landwirtschaft weiter in die Zukunft fortgeschrieben werden oder nicht?