Donbass-Offensive Kleine dreckige Schlachten – wie Putin derzeit den Krieg im Donbass gewinnt

Gesprengte Brücke in der Gegend von Lysychansk,
Gesprengte Brücke in der Gegend von Lysychansk,
© Aris Messinis / AFP
Die Meldungen aus der Ukraine sind widersprüchlich. Kiew reklamiert Erfolge, aber im äußersten Osten des Landes ist die Lage kritisch. Putins General Dwornikow steht kurz davor, über 10.000 ukrainische Soldaten einzukesseln.

Kein Tag vergeht ohne Erfolgsmeldungen aus der Ukraine. Die russischen Verluste sind enorm, ein Drittel von Putins Streitmacht ist vernichtet, heißt es. Die Schlacht um Kiew hat Putin verloren, zu seiner Schmach werden in der City ausgebrannte Russen-Panzer ausgestellt. Um Charkow wurden die Russen bis auf die Grenze zurückgeworfen. Um Charkow und Cherson hat Kiew große Offensiven gestartet oder zumindest angekündigt, die die Okkupanten zurückwerfen sollte. Und in Mariupol wurde die Mission beendet und die letzten Kämpfer "evakuiert".

Unbedeutende Eroberungen läppern sich zusammen 

Besser kann es gar nicht laufen, sollte man glauben. Und tatsächlich sind die Meldungen nicht ganz falsch, aber sie sagen eben auch nicht die ganze Wahrheit. Tatsächlich läuft es derzeit nicht gut für Kiew. Richtig ist, Russland konnte seine Stellungen von Kiew und Charkow wegen hoher Verluste nicht halten und musste die Truppen weit zurücknehmen. Die Gefahr für die wichtigsten Städte der Ukraine ist zumindest vorübergehend gebannt. Doch im Donbass schreitet die russische Offensive Tag für Tag voran. Wenig glanzvoll und ohne spektakuläre Siege, aber offenbar auch unaufhaltsam. Putins General Alexander Dwornikow lässt sich auch von starken Verlusten nicht von seinem Ziel abbringen. Konkret droht die Gefahr, dass die ganze Oblast Luhansk von Russland eingenommen wird. Die Gefechte im Zusammenhang mit diesem Vormarsch werden im Westen kaum wahrgenommen. Tag für Tag wurden Russland auch von Fachblättern nur kleine strategisch unbedeutende Gebietsgewinne eingeräumt. Und doch steht zu befürchten, dass die Gegend Sjewjerodonezk und Lysychansk abgeschnitten wird, so wie es in Mariupol geschah.

Ursache ist der Fall der Ortschaft von Popasna im letzten Monat. Er war kaum einer Nachricht wert, und doch ermöglichte die Einnahme der Stadt den russischen Truppen einen Vormarsch auf die angrenzenden Höhen und so die Feuerkontrolle über die Niederungen der Umgebung. Damit droht die Gefahr, dass die gesamte ukrainische Frontbeule bei Sjewjerodonezk abgeschnitten wird. Ein Rückzug ist schon jetzt schwer, wenn nicht gar unmöglich. Flüsse und Gewässer behindern die russischen Operationen, verhindern aber auch ein Zurückweichen der Verteidiger, da fast alle Brücken zerstört wurden. Neben den Zivilisten sollen sich über 10.000 ukrainische Soldaten in der Ausbuchtung aufhalten.

Verlust von Soldaten und Material

Auch dieser Kessel hätte im klassischen Sinn keine strategische Bedeutung. Putin hätte dann ein weiteres Gebiet der Ukraine abgeknabbert und wer weiß, ob er die Gewinne wird halten können. Das ist nicht falsch, doch das Problem einer Kesselschlacht liegt darin, dass die unterlegene Seite durch die Niederlage nicht nur geschwächt wird, sondern die eingesetzten Streitkräfte komplett verloren gehen. Alle Kämpfer und alles Material fallen aus. Und diese personelle Schwächung hat dann doch strategische Bedeutung. Realistische Schätzungen gehen davon aus, dass etwa 13.000 russischen Soldaten bislang gefallen sind. Also in etwa genauso viel Männer, wie Kiew allein in Sjewjerodonezk und Lysychansk verlieren könnte. Und das wäre nicht die erste Niederlage dieser Art. In den vergangenen Tagen haben in Mariupol etwa 2500 Mann kapituliert. Dabei sind diese 2500 Mann nur das, was bis zuletzt von der Streitmacht übriggeblieben ist, die in der Stadt eingeschlossen wurde. Die absoluten Verluste der ukrainischen Streitkräfte im Raum Mariupol sind ungleich höher. Gelingt es Dwornikow, den Kessel bei Lysychansk zuzumachen, wäre das nicht das Ende der Donbass-Operation. Es ist anzunehmen, dass Dwornikow die Bemühungen für einen weiteren Sichelschnitt vorantreiben wird, um die Kramatorsk und das symbolische Slowjansk einzunehmen.

Hoffen auf den Juli

Sollte es zu keinem Kessel kommen, wäre die Donbass Operation von Dwornikow allerdings gescheitert. Kiew hofft auf den Juli. Dann sollen im großen Maßstab schwere Waffen aus dem Westen ins Land kommen und dem ukrainischen Militär die Möglichkeit verschaffen, selbst in umkämpftem und nicht in aufgegebenem Gelände offensiv zu werden. Die Kalkulation kann aufgehen, birgt aber Risiken.

Kommt Russland im Donbass nicht voran und können die Ukrainer ihre Stellungen halten, können diese Verstärkungen und eigene Reserven dazu führen, den Raum um Cherson zurückzuerobern. Und so den Druck von Odessa zu nehmen und langfristig sogar Mariupol zu erreichen. Setzt sich Dwornikow jedoch in den nächsten Wochen durch, sieht das Bild anders aus. Die angekündigten Lieferungen sind zwar groß, aber auch alles Material zusammen erreicht nicht die Stärke einer Panzerdivision wie etwa der US 1st Armored Division "Old Ironsides". Von der Kampfkraft gar nicht zu reden. Denn in der verbliebenen Zeit können Soldaten an dem Gerät ausgebildet werden, Übungen verbundener Waffen in ihrem späteren Kampfverband hat es bis dahin aber nicht gegeben. Zudem besteht die Gefahr, dass diese Stärkung nicht gemeinsam mit ukrainischen Reserven in einem offensiven Schlag eingesetzt werden kann. Sondern dass die angespannte Lage im Osten dazu führen könnte, dass die Verstärkungen in kleinen Gruppen an die Front geworfen werden müssen und die Wirkung so verzettelt wird.

Wechsel der Rollen

Wenn Moskau seine offensiven Operationen im Donbass im Juli nach einem regionalen Erfolg einstellen kann, ergibt sich eine sehr viel günstigere Frontlinie für die russischen Truppen. Dann steht zu befürchten, dass sie die ukrainischen Kräfte nicht mehr angreifen werden, sondern selbst in die Verteidigung gehen. Im Raum um Cherson haben die russischen Truppen bereits begonnen, tief gestaffelte Defensivpositionen mit Gräbern und Bunkern anzulegen. Dann kommen Kiews Truppen in die Lage, in der zuvor die Russen waren. Sie müssten ein System tief gestaffelter Linien um zu Festungen ausgebauter Dörfer einnehmen. Und auch sie können nicht hoffen, die für solche Operationen eigentlich dringend nötige Überlegenheit von 4 zu 1 aufzubauen.

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