Und wieder ist es eine Premiere, denn der "Venus Express" mit seinen sieben Instrumenten an Bord ist Europas erster Besucher bei dem wolkenverhangenen Nachbarn. An den jüngsten Vorstoß der Alten Welt in der Planeten-Erforschung knüpfen die Wissenschaftler höchste Erwartungen: Die Radar-Erkundung der "Magellan"-Sonde Anfang der 90er Jahre ausgenommen, werde die Sonde "das Zehnfache der Daten aller bisherigen Flüge liefern", verspricht Hakan Svedhem, der bei der Europäischen Weltraumorganisation (Esa) für die wissenschaftliche Auswertung des Fluges zur Venus verantwortlich ist.
Nach den technischen Problemen sind alle nervös
"Zu geringsten Kosten in Rekordzeit gebaut", wurde die 1,27 Tonnen wiegende Raumsonde Anfang August mit einem Flugzeug ins kasachische Baikonur gebracht. Der zunächst für den 26. Oktober geplante Start musste wegen eines technischen Problems jedoch verschoben werden. Bei letzten Startvorbereitungen waren Verunreinigungen in der Verkleidung der Sojus/Fregat-Startrakete bemerkt worden. Nun soll der "Venus Express" am Mittwochmorgen um 4.33 Uhr von einer Sojus/Fregat-Rakete ins All gehievt werden. Nach der Verschiebung dieses Starts und dem Absturz des europäischen Umweltsatelliten "Cryosat" am 8. Oktober kurz nach dem Start dürften die Verantwortlichen recht nervös sein.
"Europa lüftet den Schleier der Venus", so hoffen die Esa und der Sonden-Bauer von EADS Astrium. Das wird am 6. April 2006 an der Fall sein, sofern alles nach Plan läuft und die 220 Millionen Euro teure Sonde das sonnennahe "Treibhaus Venus" nach fünf Monaten erreicht.
Eine Menge Fragen
Gibt es auf der höllisch heißen Venus Erdbeben oder sogar noch aktive Vulkane, und warum sind Venus und Erde bei ziemlich ähnlicher Größe, Masse und Dichte derart unterschiedlich? Vor allem aber: Welche Rolle spielen Kohlendioxid sowie Treibhauseffekt für unseren nächsten Nachbarn, der die Sonne etwas dichter umkreist als der Planet Erde?
Venus - heiß und giftig
Unser Nachbarplanet Venus ist mit einem Durchmesser von 12.100 Kilometern fast so groß wie die Erde. Anders als diese ist der Planet jedoch sehr lebensfeindlich. Die Oberflächentemperatur beträgt im Schnitt 470 Grad Celsius. Weil sie unter einer undurchsichtigen Wolkendecke liegt, bleibt die Venusoberfläche den Beobachtern auf der Erde verborgen.
Luft zum Atmen bietet die Venusatmosphäre ebenfalls nicht: Sie besteht zu 96 Prozent aus Kohlendioxid, zu 3,5 Prozent aus Stickstoff und unter anderem aus Wasser und Schwefeldioxid. Der Atmosphärendruck ist 90 Mal so hoch wie auf der Erde. Einen Mond hat die Venus auch nicht. Sie ist jedoch hübsch anzuschauen: Nach Sonne und Mond ist der Planet als so genannter Morgen- oder Abendstern oft der hellste Himmelskörper am Firmament.
Nach dem sonnennächsten Planeten Merkur ist die Venus der zweite Planet im Sonnensystem und 108 Millionen Kilometer von der Sonne entfernt. Je nachdem, wo sich Erde und Venus auf ihren Umlaufbahnen um die Sonne gerade befinden, trennen sie 41 Millionen bis 257 Millionen Kilometer voneinander. Ein Venusjahr - eine Umrundung der Sonne - dauert 225 Erdentage.
Die Wissenschaftler haben also eine Menge Fragen, die durchaus auch für den Heimatplaneten wichtig sind. Die Europäer sind die einzigen, die in diesen Jahren Weltall-Erkunder zu allen Planeten des inneren Sonnensystems entsenden. Zunächst war es der erfolgreiche "Mars Express", und nach der Venus soll etwa 2012 dann "Bepi-Colombo" zu dem sonnennächsten Planeten Merkur folgen. Ein ehrgeiziges Programm.
Landen kann "Venus Express" nicht
Der erste Flug der Europäer zur Venus stand allerdings wegen erheblicher Sparmaßnahmen bei der Esa eine Zeit lang in den Sternen. Doch die Reise musste dann doch nicht storniert werden, weil auf die Instrumente des Kometenjägers "Rosetta" und auf das Design des "Mars Express" zurückgegriffen werden konnte. Drei Instrumente an Bord sind baugleich mit denen von "Rosetta", andere stammen vom "Mars Express".
Die Messgeräte sollen Wolken, Nebel und die Windgeschwindigkeit der Venusatmosphäre genauer untersuchen. Dann geht es um die chemische Zusammensetzung und die Geologie des heißen Nachbarplaneten der Erde - mittlere Oberflächentemperatur 470 Grad. Die Sonde darf der Gluthitze über den ausgedörrten Steinwüsten mit den tiefen Tälern nicht zu nahe kommen. Neu und deutsch ist die Weitwinkelkamera VMC, ein Werk des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung (Lindau). Und Experten der Münchner Bundeswehrhochschule wollen Atmosphäre und Oberfläche der Venus mit ihrem Radiowellen-Gerät "Vera" erforschen.
Landen kann der "Venus Express" nicht. Auch wenn die sowjetische "Venera 9" nach dem Scheitern mehrerer Landekapseln 1982 weich auf der Venus niederging und dann erste Panoramabilder von der Oberfläche funkte - auf dem unwirtlichen Planeten hielten Sonden immer nur kurz den extremen Bedingungen stand. Die unter einem dichten Wolkenschleier aus Schwefelsäuretröpfchen herrschenden Temperaturen von bis zu 480 Grad Celsius übertreffen die Sommerhitze im südfranzösischen Toulouse um das Zehnfache. Und der Druck in diesem Treibhaus ist mit bis zu 93 Bar so enorm hoch wie in nahezu 1000 Metern Wassertiefe.
Weil die "Göttin der Liebe" ein superheißer Planet ist, auf dem manche Metalle und Legierungen sogar schmelzen würden, umrundet die Sonde den Nachbarn auf einer elliptischen Bahn über den Polen und mit dem gebührenden Abstand von 250 Kilometern bis 66.000 Kilometern. Die Solarflügel müssen dabei so konstruiert sein, dass sie dramatischen Temperaturschwankungen von bis zu 350 Grad standhalten. Und das für eine Beobachtungszeit von zwei Venustagen - also 486 Erdtage lang.