Die Zahlen sind erschütternd: Jahrzehntelang hat das FBI fehlerhafte Haaranalysen durchgeführt, die dazu beigetragen haben, dass seit den 1970er Jahren Hunderte möglicherweise unschuldig Angeklagte verurteilt wurden. Auch Todesurteile wurden vollstreckt. Das berichtet die "Washington Post". Die Zeitung spricht von einem der "größten forensischen Skandale" in der Geschichte der USA.
Von den bis jetzt erneut überprüften knapp 270 Fällen seien in mehr als 95 Prozent die Haarproben fehlerhaft. Bei den betroffenen Verfahren wurden mehr als 30 Angeklagte zum Tode verurteilt, auch hier lag die Fehlerquote bei über 90 Prozent. 14 der Verurteilten seien bereits entweder hingerichtet worden oder im Gefängnis gestorben. Allerdings bedeutet das nicht, dass die Verurteilten allein oder vor allem wegen der Haarvergleiche schuldig gesprochen wurden. In vier Fällen kam es jedoch schon zu einem nachträglichen Revisionsverfahren und zu einer Aufhebung des Urteils. Das FBI hat mittlerweile die Zahlen bestätigt und eingeräumt, dass "Fehler" auf der Grundlage von Haaranalysen mit dem Mikroskop passiert seien. Doch wie konnte das passieren?
Wie die Haaranalyse funktioniert
"Bei einer solchen Analyse werden Farbe, Verteilung der Pigmente und Struktur der am Tatort gefunden Haare unter dem Mikroskop bestimmt", sagt Martin Schulz vom Institut für Rechtsmedizin an der Universität München. Die Ergebnisse werden dann mit den Haar-Merkmalen des vermeintlichen Täters verglichen. Das Problem: Am Tatort finden sich meist nur wenige Haare. Auf dieser Grundlage lässt sich eine Person nicht sicher bestimmen. Denn: "Die Haare auf dem Kopf einer Person sind nicht alle gleich. So variiert etwa die Pigmentierung, ein Haar ist heller, eines dunkler", sagt Schulz. "Um eine einigermaßen sichere Aussage zu treffen, bräuchten sie ein ganzes Büschel an Haaren."
Mit dieser Analysemethode lasse sich daher lediglich eine Vorauswahl treffen. "Sie können etwa bestimmte Personen als Täter ausschließen", so der Biologe. Denn aus den Haaren lässt sich unter dem Mikroskop durchaus einiges ablesen: Ist das Haar gefärbt? Stammt es von einem Europäer oder eher einem Afrikaner? Vom Kopf oder vom Körper? Wurde es ausgerissen oder ist es natürlich ausgefallen? Und ist es überhaupt ein menschliches Haar? "Das lässt sich mit einem Blick durchs Mikroskop gut beantworten"; sagt Schulz. "Eine Zuordnung zu einer Person mit dieser Methode ist allerdings extrem gewagt. Darauf können Sie keine Beweisführung oder ein Urteil gründen, selbst wenn die Haaranalyse nur ein Indiz unter vielen ist."
"Übereinstimmungen aus solchen morphologischen Haaruntersuchungen sind nicht individualspezifisch, sondern haben lediglich Hinweischarakter", sagt auch Ingo Bastisch, Leiter des Fachbereichs Humanspuren am Bundeskriminalamt (BKA). Das BKA setzte noch bis in die frühen 90er Jahre diese Analysemethode ein. Kriminaltechnisch sei lange nichts anderes möglich gewesen, so Bastisch. Der mikroskopische Abgleich dürfe zwar nicht als unzuverlässig bewertet werden. Aufgrund des begrenzten Beweiswerts sei er jedoch seit 2000 durch die DNA-Analyse ersetzt worden.
"Es gab schon längst bessere Möglichkeiten"
Biologe Schulz ist überrascht, dass beim FBI tatsächlich Fälle bis ins Jahr 2000 neu untersucht werden müssen. "Spätestens seit Anfang der 90er Jahre standen Forensikern andere Möglichkeiten zur Verfügung, um die Herkunft einer Probe zuverlässiger zu bestimmen als mit einer Haaranalyse", sagt er.
Um festzustellen, woher eine Probe stammt, führen Rechtsmediziner eine DNA-Analyse durch. Dabei wird ein bestimmter Bereich der DNA untersucht, die sogenannte Junk-DNA, die keine genetische Information enthält. In ihrem Bereich liegen allerdings wiederum Abschnitte, die von Person zu Person sehr unterschiedlich aufgebaut sind. Anhand der Länge der Abschnitte lässt sich der genetische Fingerabdruck eines Menschen mit nahezu hundertprozentiger Genauigkeit bestimmen. Lediglich bei eineiigen Zwillingen ist die Anzahl der Wiederholungen gleich.
DNA-Analyse nicht immer möglich
Allerdings können Rechtsmediziner eine solche DNA-Analyse nur erstellen, wenn Körperzellen in ausreichender Qualität vorhanden sind. Haare sind dabei ohnehin - anders als in Krimis dargestellt - nicht das Material der ersten Wahl, um an DNA-Proben zu kommen. Besser geeignet seien etwa Blut, Speichel oder Sperma, sagt Schulz. "Werden Haare verwendet, ist eine intakte Haarwurzel wichtig."
Doch gerade bei Kriminalfällen finden sich oftmals ausgerissene und nicht gerade fachmännisch entnommene Haare am Tatort, bei denen das Zellmaterial stark beschädigt ist. "Eine Alternative ist es dann, die sogenannte mitochondriale DNA zu untersuchen", sagt Schulz. Denn Erbinformationen finden sich nicht nur im Zellkern, sondern auch in den Mitochondrien, die oft vereinfacht als "Kraftwerke der Zelle" bezeichnet werden.
"Der Vorteil ist, dass diese DNA viel stabiler gegenüber Umwelteinflüssen ist und viel häufiger vorliegt", sagt Schulz. Während jede Zelle nur einen Zellkern mit der Erbinformation besitzt, finden sich - abhängig vom Gewebe - in einer Zelle bis zu einigen Tausend dieser "Kraftwerke". "Die mitochondriale DNA kann daher auch bei stark beschädigtem Zellmaterial meist noch untersucht werden", so der Biologe. Der Nachteil: Sie wird nur von der Mutter vererbt und ist daher bei allen Nachkommen einer mütterlichen Linie gleich. "Eine bestimmte Person lässt sich damit also nicht eindeutig bestimmen", sagt Schulz.