Psychotherapie Reif für die Couch?

  • von Sylvie-Sophie Schindler
Warum gerate ich immer an den falschen Partner? Stehe ständig unter Druck? Und: Sind das schon Gründe, zu einem Psychotherapeuten zu gehen? stern.de erklärt, was es mit einer Therapie überhaupt auf sich hat, wie man sich dafür oder dagegen entscheidet - und einen guten Therapeuten findet.

Bei TV-Quiz-Boss Günther Jauch ist es hübsch leicht: eine Frage, vier Antwortmöglichkeiten, davon ist eine garantiert richtig. Doch die wirklich dringenden Fragen werden bei "Wer wird Millionär?" nicht gestellt - und es gibt auch keine vier Antwortmöglichkeiten. Beispiel: Warum gerate ich immer an den falschen Partner? Oder: Wieso erscheint mir mein Leben so sinnlos? Oder: Warum habe ich das Gefühl, ständig unter Druck zu stehen? Manchmal werden solche Fragen zur Qual und man weiß einfach nicht mehr weiter. Ab welchem Punkt wäre dann eine Psychotherapie der richtige Schritt? Und was passiert da eigentlich? Einen Leitfaden durch den Therapie-Dschungel geben Nico Niedermeier, Facharzt für Psychotherapeutische Medizin und Verhaltenstherapie aus München und Gottfried Fischer, Direktor des Instituts für Klinische Psychologie und Psychotherapie (IKPP) der Universität zu Köln.

Warum überhaupt Psychotherapie?

"Man kommt im Zweifelsfall auch mit einer Störung irgendwie durchs Leben", sagt Nico Niedermeier. "Eine gute Idee ist das aber nicht." Nicht nur die Psyche, auch der Körper leide mit - er befinde sich nicht selten in einer ständigen Anspannung. Dadurch entwickelten oft sich auch psychosomatische Symptome. "Warum also soll man es sich unnötig schwer machen?"

In einer Gesellschaft, die sich immer stärker normiere, biete eine Therapie außerdem auch die Möglichkeit, sich in seiner Persönlichkeit zu stärken und damit von den Erwartungen der Gesellschaft zu entlasten. "Du traust dich, mehr Individuum zu sein", sagt Nico Niedermeier. "Du kannst zu dir sagen: Es ist in Ordnung wie ich bin."

Wann ist eine Therapie eine gute Idee?

"Entscheidend ist der persönliche Leidensdruck", sagt Nico Niedermeier. Wenn ein bestimmter Zustand nicht mehr auszuhalten oder sehr belastend sei, könne eine Psychotherapie der richtige Schritt sein. Wobei: "Ein gewisses Leiden ist unter gewissen Umständen normal", sagt Niedermeier. Man müsse sich die Zeit geben, bestimmte Erlebnisse, etwa einen Trauerfall, zu verarbeiten. "Auch wenn es unserem Zeitgeist widerspricht- man darf es sich erlauben, schlecht drauf zu sein."

Nicht jedes Leiden, so Gottfried Fischer, werde jedoch wahrgenommen. Nur bei den so genannten Symptomstörungen merke der Betroffene selbst, dass etwas nicht mit ihm in Ordnung sei, etwa weil er an rascher Erschöpfbarkeit, Zwängen, Schlafstörungen oder Depressionen leide. "Das kann kein Mensch übersehen", sagt Fischer.

Hellhörig sein, wenn immer dieselben Vorwürfe kommen

Anders bei den Persönlichkeitsstörungen: "Der Betroffene stellt keinen oder kaum Leidensdruck bei sich fest und erkennt auch nicht, dass er Urheber der Störung sein könnte." Nur der Umwelt falle auf, dass etwas nicht stimme. "Wer wiederholt und über Jahre hinweg dieselben Vorwürfe bekommt, der sollte hellhörig werden", rät Professor Fischer. Wer beispielsweise ständig an den falschen Partner gerate, der sollte irgendwann auf die Idee kommen: "Moment mal, das hat ja etwas mit mir zu tun." Allerdings habe nicht jeder, so räumt Fischer ein, die Fähigkeit sich selbst zu reflektieren: "Läuft etwas schief, wird es einfach auf die anderen geschoben."

Letztlich gibt es auch Störungen, die weder der Betroffene noch die Umwelt bemerken. "Man kann mit der größten Persönlichkeitsstörung völlig unauffällig durchs Leben gehen", sagt Fischer. Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung beispielsweise fallen oft durch großen Charme auf. "lm Extremfall muss einer möglicherweise erst einen Mord verübt haben, bevor er und die anderen ein Problembewusstsein zu seinem Verhalten entwickeln", sagt Fischer.

Wer ist ein guter erster Ansprechpartner?

Auch wenn der Hausarzt oft die erste Anlaufstelle ist, warnt Gottfried Fischer: "Nicht jeder Hausarzt ist im Bereich Psychologische Medizin sehr gut ausgebildet." Oft würden auf die Schnelle und als einzige Maßnahme Beruhigungs- oder Schlafmittel verschrieben - "aber das löst die Probleme natürlich nicht".

Eine gute erste Adresse sind psychotherapeutische Beratungsstellen, wie zum Beispiel der Psychotherapie-Informations-Dienst. Im Falle eines traumatischen Erlebnisses seien Trauma-Ambulanzen geeignet, erklärt Gottfried Fischer. Kollege Nico Niedermeier rät außerdem, sich an Betroffenenorganisationen zu wenden, beispielsweise und je nach Störung an die "Gesellschaft für Zwangserkrankungen" oder an das "Deutsche Bündnis gegen Depression". "Dort trifft man auf andere Betroffene, die einem gute Tipps geben können", sagt der Facharzt. Eine andere Möglichkeit: der Kontakt mit Kassenärztlichen Vereinigungen. Man erhält dort Informationen zu einzelnen Therapeuten, erfährt, wer auf welche Störung spezialisiert ist und mit wie viel Wartezeit man rechnen muss. Ein großes Problem übrigens, wie Nico Niedermeier verrät: "Obwohl die Therapeutendichte sehr groß ist, sind viele Therapeuten restlos ausgebucht." Wer also gewillt sei, eine Psychotherapie zu machen, könne nicht unbedingt sofort loslegen: "Das muss man leider einkalkulieren."

Was passiert in der ersten Therapiestunde?

Natürlich geht es erstmal darum: Wo drückt es? "Grundsätzlich gilt: Nicht aus jedem Therapeutenkontakt muss eine Therapie resultieren", erklärt Nico Niedermeier. "Manchmal reichen eine medikamentöse Intervention oder zwei bis drei kurze Gespräche." In seinem Fachbereich, Psychosomatik, versuche man generell wegzukommen von dem langen Prozess der Therapie mit 30, 50 oder 100 Stunden. "Ein Großteil der Patienten kommt auch mit 3, 5 oder 10 Stunden zurecht", sagt Niedermeier, der für eine "schnelle Hilfe zur Selbsthilfe" plädiert.

Die Dauer einer Therapiestunde beträgt dabei 50 Minuten. Jeder Patient hat überdies die Möglichkeit zu prüfen, ob er sich mit dem Psychotherapeuten seiner Wahl wohl fühlt. Man kann sich bis zu fünf Termine nehmen, um zu gucken, ob es passt. Gottfried Fischer handhabt es beispielsweise so: "Ich sage zu meinen Patienten: Warten Sie 8 bis 14 Tage ab. Überlegen Sie sich in Ruhe, ob Sie das Gefühl haben, mit mir zusammenarbeiten zu können." Es gehe um eine gemeinsame Basis, "es muss nicht heißen dass man sich supersympathisch findet".

Wie läuft eine typische Therapiestunde ab?

Je nach Therapieschule - Psychoanalyse oder Verhaltenstherapie - gibt es andere Abläufe. Die berühmte psychoanalytische Couch jedoch ist gar nicht mehr so populär. Meist sitzen sich Patient und Therapeut gegenüber, auch und gerade in der Verhaltenstherapie. Gottfried Fischer beispielsweise arbeitet nach den Grundsätzen der psychodynamischen Psychotherapie, einer modernen Weiterentwicklung der Tiefenpsychologie, und in Kombination mit verhaltenstherapeutischen Elementen. Oft beginnt er die Stunde mit Entspannungsübungen. Anschließend wird mit dem Patienten gemeinsam besprochen, wo dieser steht: Welche Gedanken und Überlegungen bringt der Patient mit? Was ist passiert seit der letzten Stunde? Wo drückt es? "Wichtig ist auch, auf das Positive zu gucken, also auf die Fortschritte in der Therapie", sagt Fischer.

Je nach Situation leitet er unter anderem zu Rollenspielen an oder, vor allem bei Traumapatienten, zu Imaginationsübungen. Um die Symptome zu beheben, würden nach seiner Auffassung Kurzzeittherapien genügen. Traumapatienten beispielsweise, die sonst psychisch gesund sind, würden oft mit einer zehnstündigen Therapie auskommen. Bei stärker chronifizierten Störungen müsse man sich hingegen nicht nur um die Symptome kümmern, sondern auch um die Ursachen. "Das kann durchaus zwischen 30 bis 50 Stunden dauern."

Wie merkt man, ob der Therapeut der richtige ist?

"Es muss vorwärts gehen", sagt Nico Niedermeier. Niemand sollte eine langjährige Psychotherapie oder eine medikamentöse Behandlung über sich ergehen lassen ohne eine Verbesserung seiner Lebensqualität feststellen zu können. Der moderne Psychotherapeut mache dem Patienten ohnehin stets transparent, was ablaufe und nehme ihn als kompetenten Gesprächspartner -"der Patient kennt sich selbst am besten" - ernst. "Die Beziehung zwischen Patient und Therapeut ist eine Beziehung auf Augenhöhe", sagt Niedermeier. Entscheidungen würden gemeinsam getroffen.

Grundsätzlich bitte er den Lebenspartner am Anfang mit dazu, um eventuelle Ängste zu nehmen: "Für den Partner ist es eine sehr verunsichernde Situation, wenn der andere in Therapie geht." Da stellten sich dann Fragen wie: "Meine Frau spricht mit jemanden über unsere Beziehung, mit wem bespricht sie das und wohin führt das?" Ist die Therapie erfolgreich, so gilt laut Professor Fischer: "Nach spätestens einem Jahr sollte der Patient mit seinem Leben erheblich besser zurechtkommen."

Was für Komplikationen sind möglich?

"Im Laufe eines Therapieprozesses kann es zu vorübergehenden psychischen Verschlimmerungen kommen", sagt Fischer. "Das aber ist ganz normal." Man gucke sich ja unter anderem alte Wunden an und sei bereit, den Schmerz zuzulassen. Weniger die Regel, sondern die Ausnahme: Patienten, die sich in Abhängigkeit zu dem Therapeuten brächten, nach dem Motto: "Therapie ist mein Leben". "Bei ersten Anzeichen steuert ein guter Psychotherapeut dagegen", sagt Fischer.

Absolut tabu seien natürlich sexuell-erotische Gefühle: "Bemerkt der Therapeut solche Emotionen beim Patienten, muss er sofort intervenieren." Umgekehrt gilt für Psychotherapeuten das oberste Gebot: Sexuelle Übergriffe haben in der Therapie keinen Platz. "Auch wenn die Wahrscheinlichkeit sehr gering ist, von einem Therapeuten sexuell belästigt zu werden - sie liegt im Promillebereich - wenn ein Patient betroffen ist, dann ist die Therapie sofort abzubrechen", sagt Fischer. Laut Strafgesetz drohen Therapeuten in diesem Fall bis zu fünf Jahre Gefängnis.

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