Die englische Kultstätte Stonehenge könnte im sachsen-anhaltischen Nebra ein deutsches Gegenstück erhalten: Eine dort gefundene Scheibe aus der Bronzezeit mit Darstellungen von Himmelskörpern stellt nach Ansicht von Harald Meller vom Landesamt für Archäologie einen der bedeutendsten Funde des Jahrhunderts dar. »Es handelt sich dabei um die erste bekannte kosmologische Darstellung in der Menschheitsgeschichte«, machte in Nebra deutlich. Und die ersten Ausgrabungen an der Fundstelle ließen vermuten, dass diese den Menschen vor rund 3.600 Jahren als eine Art Observatorium gedient haben könnte.
Zeitbestimmung
»Die Anlage diente den Menschen zusammen mit der Scheibe zur Zeitbestimmung, was für die Aussaat und Ernte wichtig war«, sagte der Leiter des Landesmuseums für Vorgeschichte, Harald Meller. »Hier konnten sie den Lauf der Sonne von der Winter- zur Sonnensommerwende genau bestimmen.« Das »Observatorium« mit einem Durchmesser von etwa 200 Metern ist von einem Graben umzogen. Die Anlage wurde möglicherweise über 1000 Jahre genutzt und war vermutlich aus Holzpalisaden gebaut.
Bedeutung noch unklar
Noch sind sich die Wissenschaftler jedoch nicht genau darüber im Klaren, welche Bedeutung die jetzt offiziell als »Himmelsscheibe von Nebra« bezeichnete Bronzescheibe hatte. »Wir müssen derzeit von zwei verschiedenen Deutungsansätzen ausgehen«, erläuterte Meller. Insbesondere ein Detail auf der Scheibe lasse unterschiedliche Deutungen zu. Es handele sich dabei um einen Bogen, der sich nach seiner Interpretation auf der unteren Hälfte der Scheibe befindet. »Hierbei könnte es sich um die Darstellung eines Bootes handeln, mit dem die Sonne transportiert wird«, erklärte Meller.
Religiöse Bewegung aus Sachsen-Anhalt?
Damit verbinde die Scheibe die konkrete Darstellung kosmischer Erscheinungen mit geistig-religiösen Vorstellungen der Menschen der Bronzezeit. Eine »religiöse Bewegung, die in ganz Mitteleuropa in der Darstellung so genannter Sonnenbarken« zu fassen sei, könnte vor 3.600 Jahren von Sachsen-Anhalt aus ihren Anfang genommen haben - wenn die Interpretation Mellers sich erhärten lässt.
Der Lauf der Sonne
Interessant ist für die Wissenschaftler auch, wie sich die Fundstelle der Scheibe und die sich auf ihr befindlichen Bilder gegenseitig ergänzen. So könne man die auf der Scheibe seitlich angebrachten Randbögen durchaus als westliche und östliche Horizontbögen auffassen, die den Lauf der Sonnenaufgangs- und -untergangspunkte über das Jahr darstellen.
Vom Fundort, dem Mittelberg bei Nebra aus gesehen, ging die Sonne zur Sonnensommerwende über dem Brocken unter. Der markanteste Berg des Harzes sei bei klarer Sicht vom Mittelberg aus deutlich sichtbar. Am 1. Mai, der nach heutiger Kalenderrechnung den Zeitpunkt des keltischen Beltaine-Festes bezeichnet, ging die Sonne dagegen hinter dem Gipfel des Kulpenbergs, dem Hautberg des Kyffhäusers, unter. Als spektakulär bezeichneten die Wissenschaftler den Fakt, dass die Geometrie der bildlichen Darstellung auf der Scheibe mit dem Fundplatz in Verbindung gebracht werden könne.
Zerstörungen durch Raubgräber
Mit gerade erst begonnenen Ausgrabungen an der Fundstelle der Scheibe wollen die Forscher versuchen, weiteres Licht in das Dunkel des vor ihnen liegenden archäologischen Rätsels zu bringen. »Allerdings haben illegale Raubgräber dort schon dramatische Zerstörungen angerichtet«, beklagte Meller. Und auch die Fantasie verschiedenster Menschen hat die »Himmelsscheibe von Nebra« bereits beflügelt. Wie Meller erzählte, seien dem Stück aus der Bronzezeit »heilige Strahlen« zugeschrieben worden, auch wurden Vermutungen geäußert, Außerirdische hätten den Menschen der Bronzezeit ihr Wissen über die Himmelskörper übermittelt.
Genauer Fundort
Inzwischen ist auch der genaue Fundort der 3600 Jahre alten »Himmelsscheibe« ist bekannt. Am Mittwoch konnten erstmals Journalisten den sorgsam gehüteten Platz auf dem 252 Meter hohen Mittelberg im Ziegelrodaer Forst bei Nebra, an dem zwei Raubgräber im Sommer 1999 die Bronzescheibe ans Tageslicht geholt hatten. Den Tipp zur Aufklärung dazu bekam die Polizei von einem Hehler, der sich im Juli 2002 selbst stellte.