Claude Lévi-Strauss Anthropologe auf der Flucht

Intellektuell sind alle Kulturen ebenbürtig. Nach Meinung des französischen Ethnologen Claude Lévi-Strauss ist die westliche Zivilisation anderen Gesellschaften nicht überlegen.

"Strukturalismus ist die Suche nach unerwarteter Harmonie", sagt der französische Ethnologe Claude Gustave Lévi-Strauss. Damit meint er Parallelitäten, die sich in jeder Kultur wiederfinden lassen. Er gilt allgemein als der Gründer der strukturellen Kulturanthropologie. Lévi-Strauss untersuchte bei seinen Feldstudien vor allem die gemeinsamen Grundlagen aller Kulturen und Gesellschaften.

Alle Kulturen intellektuell ebenbürtig

Vielfältige Expeditionen in Nord- und Südamerika führten ihn zu der Erkenntnis, dass sich der menschliche Charakter in allen Kulturen ähnelt. Bei seinen Forschungen untersuchte er vor allem die Verwandtschaftssysteme, Mythologien, Traditionen und Institutionen schriftloser Gruppen. Die zentrale These seiner strukturellen Kulturanthropologie besagt, dass der Mensch in seiner Weiterentwicklung von einer traditionellen zur kulturellen Gesellschaft bestimmten Gesetzen folgt. Diese seien nicht von ihm selbst erfunden, sondern Mechanismen des menschlichen Gehirns. So kam er zu der Ansicht, dass die westliche Zivilisation anderen Gesellschaften nicht überlegen ist. Für ihn gibt es keinen Unterschied in der geistigen Entwicklung zwischen sogenannten "Wilden" und zivilisierten Menschen. Alle Kulturen seien intellektuell ebenbürtig, sie gingen nur bei der Problemlösung mit verschiedenen Methoden vor.

Lévi-Strauss wurde am 28. November 1908 in Brüssel als Sohn eines Künstlers geboren. Von 1927 bis 1932 studierte er an der Pariser Universität Rechtswissenschaften und Soziologie. Anschließend arbeitete er als Gymnasialprofessor. Von 1934 bis 1938 lehrte er als Professor für Soziologie an der Universität von São Paulo in Brasilien. Während dieser Zeit unternahm er mehrere ethnologische Forschungsreisen zu den Caduveo und Bororo, indianischen Gruppen in Brasilien. Mit Unterstützung des französischen Staates führte er in den Jahren 1938 und 1939 weitere ausgedehnte Feldforschungen bei den Nambikwara und Tupi-Kawahib in Zentralbrasilien durch.

Zitat

"Ich bin nicht Anthropologe geworden, weil ich mich für Anthropologie interessiert habe, sondern weil ich versucht habe, der Philosophie zu entkommen"

Karriere in New York und Paris

Im Jahr 1941 emigrierte er in die USA. Dort lehrte er bis 1945 Sozialwissenschaften an der New Yorker New School for Social Research. Danach war er in New York als französischer Kulturattaché tätig. Im Jahr 1949 kehrte Lévi-Strauss nach Paris zurück und wurde stellvertretender Direktor des Musée de l'Homme. Von 1950 bis 1974 war er Studiendirektor an der École Pratique des Hautes Études der Universität von Paris und hatte dort am Institut für Sozialanthropologie einen Lehrstuhl für Vergleichende Religionswissenschaft der schriftlosen Völker inne. Von 1959 bis 1982 war Lévi-Strauss außerdem Professor für Sozialanthropologie am Collège de France.

Zu seinen wichtigsten Veröffentlichungen zählen "Das wilde Denken" (1968), "Strukturale Anthropologie" in zwei Bänden (1967 und 1975) und "Traurige Tropen" (1978). Zuletzt erschien von ihm in Deutschland die in Gesprächsform gehaltene Autobiografie "Das Nahe und das Ferne" (1996). Die Wirkung von Claude Lévi-Strauss’ Werken geht weit über die Grenzen der Ethnologie und Kultur- bzw. Sozialanthropologie hinaus. Er beeinflusste insbesondere neuere Ansätze der Geschichtswissenschaft und Philosophie (Poststrukturalismus). Paradoxerweise fand sein wissenschaftlicher Ansatz aber gerade in der Ethnologie kaum eine Fortsetzung.

Irena Güttel

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