Mindestens zwölf Pottwale verendeten an den Küsten der Nordsee. Jeder einzelne dieser toten Kolosse macht traurig. Was ist der Grund für ihr Sterben? Der stern fragte einen Biologen.
Herr Brunkhorst, an der Nordsee werden zurzeit Pottwal-Kadaver angespült. Mindestens zwölf sind es mittlerweile schon. Gab es so etwas schon einmal?
Seit 1990 sind 80 Pottwale an den Küsten Dänemarks, Deutschlands und Hollands gestrandet. Meist waren das ein bis vier Tiere pro Jahr. Aber zweimal kam es auch zu größeren Wellen wie der jetzigen: 1996 und 1997 strandeten jeweils um die 15 Tiere auf Rømø.
Überrascht Sie die aktuelle Situation?
Es ist seit 1990 das dritte Mal, das mehr als zehn Pottwale im Wattenmeer stranden. Insofern ist die Situation ungewöhnlich, aber nicht sensationell. Wir können hier nicht von einem Massensterben sprechen. Zwar berührt jeder einzelne dieser faszinierenden Riesen, die tot an Land angeschwemmt werden oder dort sterben. Wenn man ihnen gegenübersteht, ist man wirklich ergriffen von dem, was die Natur hervorgebracht hat. Aber angesichts der großen Zahl an Tieren, die auf Wanderung ist, sind es zum Glück Einzelfälle.
Woher kommen die Wale?
Pottwale leben weltweit in allen Meeren. Die nun gestrandeten Tiere gehören zu dem Bestand auf den Azoren. Bei dieser Population halten sich die Weibchen, auch die weiblichen Jungtiere, das ganze Jahr in den Gewässern vor den Inseln auf. Die Männchen hingegen wandern in den Nordatlantik. Sie machen sich dort auf Futtersuche. Zwischen November und März schwimmen sie von Norwegen zurück zu den Azoren. Das geschieht meist in Gruppen, die überwiegend aus jungen Pottwalen bestehen. Das erklärt auch, warum meist Jungbullen stranden. Mehrere Tausend Tiere sind in dieser Zeit unterwegs. Gelegentlich passiert es dann, dass sich Tiere verschwimmen und in die flache Nordsee gelangen.
Das heißt, die Pottwale verirren sich aus dem Atlantik in die Nordsee. Wie kann es dazu kommen?
Dazu gibt es verschiedene Theorien. Die Pottwale orientieren sich mithilfe von Schalwellen. Dafür senden sie Klicklaute aus. Ist ihr Orientierungssinn geschädigt, kann es sein, dass sie sich in seichte Gewässer verirren. Auch der zunehmende Unterwasserlärm - hervorgerufen etwa durch militärische Schiffe, starken Schiffsverkehr oder Bohrinseln - wird dafür verantwortlich gemacht. Zudem können Krankheiten die Tiere schwächen. Eine relativ neue Theorie ist auch interessant: Sie stellt das Verirren der Wale in Zusammenhang mit der Aktivität der Sonne. Unter Wasser orientieren sich Wale an den Magnetfeldlinien der Erde. Diese werden durch die Sonne beeinflusst. Stößt sie besonders viel ionisierendes Material aus, hat das einen Effekt auf das Magnetfeld der Erde: Die Linien verbiegen sich leicht. Für den Menschen sind solche Veränderungen nicht wahrnehmbar. Aber auf die Wale kann sich das auswirken. Sie verlieren dann ihre Orientierung.
Ist die Sonne denn momentan besonders aktiv?
Am 20. Dezember war das der Fall. Es könnte also eine mögliche Erklärung sein, bestätigt ist das aber nicht. Auf die Idee kam man überhaupt erst, da ein Forscher die Walstrandungen mit der Sonnenaktivität verglichen hat. Er konnte feststellen, dass die meisten dieser Ereignisse in Zeiten stattfanden, in denen die Sonne besonders aktiv war.
Der Mensch ist also nicht daran schuld?
Das lässt sich nicht ausschließen. Allerdings sind Wale schon immer in der Nordsee gestrandet, auch in früheren Jahrhunderten, als die Umweltverschmutzung in den Gewässern noch keine große Rolle spielte.
Woran sterben die Tiere, wenn sie in die Nordsee gelangen?
In flachen und schlickigen Gewässern wie der Nordsee können sich Wale nur noch schlecht orientieren, da ihr Sonarsystem versagt. Das Echo ist undeutlich. Auch der Tidenhub kann ungünstig verlaufen und dafür sorgen, dass die Tiere stranden. Passiert das, wird es schnell sehr kritisch. Die Wale sterben dann meist an Herz-Kreislauf-Versagen. Ihr schwerer Körper drückt die Blutgefäße und die Lunge zusammen. Letztlich werden sie von ihrem eigenen Gewicht erdrückt.
Sie waren heute vor Ort. Was weiß man bis jetzt über die Tiere?
Ich war dabei, als Veterinäre heute zwei Walkadaver im Hafen Holmer Siel auf der Insel Nordstrand zerlegten. Die Tiere waren zwei junge Männchen, zwölf Meter lang und gut zwölf Tonnen schwer. Äußerlich konnten wir keinerlei Auffälligkeiten feststellen. Die Wale waren nicht verletzt, es machte alles einen normalen Eindruck. Die Tiere wurden aufgeschnitten, der Magen untersucht und Gewebeproben entnommen. Das lässt eventuell noch Rückschlüsse darauf zu, ob sie krank waren.
Wäre es möglich, verirrte Wale aus der Luft zu beobachten und einzuschreiten, bevor diese in zu seichtes Wasser geraten und qualvoll sterben?
Das ist nicht möglich. Selbst wenn Wale sich einfach aufspüren ließen, wüsste ich nicht, wie man einschreiten sollte. Einer Gruppe von Walen lässt sich ja nicht einfach befehlen, wohin sie schwimmen soll. In dem Moment, in dem man die Tiere entdeckt, sind sie meist schon gestrandet und schwer geschädigt.
Wie sind die Überlebenschancen der Tiere, wenn man sie aus dem seichten wieder ins tiefe Wasser bringt?
Das hängt davon ab, wie lange sie schon im flachen Wasser gelegen haben. Waren es nur wenige Minuten, kann ein Wal das verkraften. Aber je länger die Zeitspanne ist, desto schlechter stehen die Chancen.
Was kann man tun, wenn man als Strandspaziergänger einen Wal im seichten Wasser entdeckt?
Rufen Sie die Polizei an oder die Nationalparkverwaltungen. Ansonsten lässt sich bei einem Tier dieser Größe nur wenig machen.
Muss man sich angesichts der toten Pottwale Sorgen um den Bestand der Tiere machen?
Die Art gilt nach Einschätzung der Weltnaturschutzunion zwar als gefährdet, aber glücklicherweise sind die Pottwale nicht vom Aussterben bedroht. Weltweit gibt es vermutlich mehr als eine Million dieser Tiere.
Hendrik Brunkhorst ist Biologe und Sprecher des Landesbetriebes für Küstenschutz, Nationalpark und Meeresschutz.