Störtebeker-Rekonstruktion "Klaus, fühl dich wohl bei uns"

von Hauke Friederichs
Mythos Störtebeker. Historiker nutzen den bekanntesten deutschen Piraten als Publikumsmagnet. Eine zweifelhafte Rekonstruktion soll Besucher ins Museum locken.

England hat Robin Hood, die Schweizer verehren Wilhelm Tell und in Deutschland wird der Pirat Störtebeker immer wieder als heldenhafter Schurke gefeiert. Nun haben Historiker und Naturwissenschaftler das Aussehen von Störtebeker rekonstruiert. Über 600 Jahre nach seiner Hinrichtung ist das eine fast unmögliche Aufgabe. Denn über den legendären Seeräuber und Freibeuter gibt es kaum Fakten. Das Resultat ihrer Bemühungen steht nun im Museum für Hamburgische Geschichte. Selten hat ein neues Exponat für so viel Aufregung und Medieninteresse gesorgt. So könnte Störtebeker ausgesehen haben, sagen die Wissenschaftler und nutzen den Piraten-Boom, der durch den Hollywood-Film "Fluch der Karibik" ausgeköst wurde, um Besucher in das Museum zu locken. Doch einen handfesten Beweis kann das interdisziplinäre Forscherteam nicht liefern. Ihre Rekonstruktion reiht sich so in das sagenhafte Nachleben von Störtebeker ein.

In einem dunklen, einem Schiff nachempfundenen Raum im Museum für Hamburgische Geschichte stiert der angebliche Störtebeker die Besucher durch eine Vitrinenglasscheibe an. Er scheint gedankenverloren in die Ferne zu schauen, sein Mund ist dabei leicht geöffnet. Wie ein blutrünstiger Schrecken der Meere sieht er nicht aus. Aus Silikon hat die französische Künstlerin Elisabeth Daynés nach wissenschaftlichen Vorgaben den Kopf eines etwa 35-jährigen Mannes geschaffen. Neben der Rekonstruktion sind zwei Totenschädel zu sehen, in denen gewaltige, rostige Nägel stecken. Der intaktere von beiden diente als Vorlage für die Rekonstruktion. Er könnte Störtebeker gehören, sagt der Abteilungsleiter für das Mittelalter, Ralf Wiechmann.

Empfehlenswerte Literatur

Ralf Wiechmann, Günter Bräuer und Klaus Püschel: Klaus Störtebeker. Ein Mythos wird entschlüsselt. Wilhelm Fink Verlag 2003. Preis: 29 Euro.

Matthias Puhle: Die Vitalienbrüder. Campus Verlag 1994. Preis: 19,90 Euro.

Museum für Hamburgische Geschichte: Gottes Freund - Aller Welt Feind. Ausstellungskatalog zur Störtebeker Ausstellung. 2001. Preis 15,30 Euro. Zu kaufen im Online-Shop des Museums.

Seit 1878 im Museum

Der Schädel hatte 1999 sein Interesse geweckt, nachdem er bereits fast 90 Jahre im Besitz des Museums war. Als Wiechmann die Mittelalterausstellung neu ordnete, überlegte er, ob der Schädel überhaupt aus dieser Zeit stammt. Bauarbeiter hatten ihn 1878 beim Ausheben von Kaianlagen auf dem Hamburger Grasbrook, der historischen Hamburger Hinrichtungsstätte, gefunden. Da der gruselige Fund mit einem schmiedeeisernen Nagel durchbohrt war, kamen Historiker schon im 19. Jahrhundert zu dem Schluss, dass es sich um einen zum Tode verurteilte Seeräuber handeln könnte. Um Klarheit zu bekommen ließ Wiechmann das Alter des Exponats in Oxford bestimmen. Selbst die altehrwürdige britische Universität war von dem mutmaßlichen Störtebeker-Schädel fasziniert.

Die Spezialisten bestimmten anhand der C-14 Methode das Alter - kostenlos. Als das Ergebnis im Jahr 2000 kam, war der Archäologe Wiechmann fasziniert. Rund 600 Jahre ist der Schädel alt und passt zu der vermuteten Hinrichtung Störtebekers im Jahr 1401. "Wenn wir zeitlich so nah an Störtebeker dran sind, dann müssen wir da mehr draus machen", beschreibt Wiechmann seine Motivation, der Geschichte des Exponats auf den Grund zu gehen. "Das hat einen Impuls dazu gegeben, den Fund nach allen Regeln der Kunst zu untersuchen."

Schädel auf Reisen

Das Museum habe alle wichtigen Forscher, die etwas zur Mittelalter-Zeit sagen können, ins Boot geholt, sagt Wiechmann. Neben ihm leisteten der Rechtsmediziner Klaus Püschel und der Humanbiologe Günter Bräuer die Hauptarbeit. Der Störtebekerfaktor öffnete Tür und Tor. Kein Wissenschaftler verlangte ein Honorar. Der Schädel wurde in Paris, Düsseldorf, München und Göttingen von weiteren Biologen, Medizinern und Anthropologen untersucht. Mit kriminalistischen Methoden wurde der Schädel vermessen und analysiert. In Paris erstellten Spezialisten dann eine Art Phantombild des Piraten - ohne Haare, Augenbrauen und mit wenigen individuellen Merkmalen.

Vorher-Nachher-Show

Aus dem Schädel hat die Bildhauerin Daynés unter Anleitung der Wissenschaftler die Rekonstruktion entwickelt. Die Vorher-Nachher-Show ist verblüffend. Mit verwirrtem Blick, langen, ungepflegten Haaren und Stummeln als Zähnen, sieht der Mann völlig heruntergekommen aus. Doch dieser Kopf soll Störtebeker zeigen. Auf jeden Fall einen Piratenanführer. Mit der Heldengestalt zahlreicher Romane, Comics und Festspiele hat dieser Pirat nichts gemein.

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