Lange Zeit nahm man an, dass die meisten Opfer des Vesuv-Ausbruchs zunächst an giftigen Gasen erstickten und dann von dem Ascheregen begraben worden seien. Die Arbeiten von Pier Paolo Petrone, ein forensischer Anthropologe der Universität Neapel, legen andere Schlüsse nahe. Die Überreste, die er untersuchte, deuten darauf hin, dass die Opfer der Tod in Form extrem heißer Flammenzungen erreichte. Bei den Opfern war der Schädel geborsten, geradezu explodiert. Eine Studie unter seiner Leitung aus dem Jahr 2018 zeigte, dass ein pyroklastischer Schock das Blut der Opfer zum Kochen brachte und ihre Schädel wegen des Innendrucks dabei platzten.
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Petrone untersuchte damals die Reste einer Gruppe, die in der nahe bei Pompeji gelegenen Stadt Herculaneum in ein Bootshaus am Ufer flüchtete, in der vergeblichen Hoffnung von dort aus gerettet zu werden. Herculaneum liegt etwa 15 Kilometer nördlich von Pompeji. Die Küstenstadt, in der zwischen 4000 und 5000 Menschen lebten, wurde als eine Art von Sommerfrische von der römischen Oberschicht genutzt.
Luftströme von extremer Hitze
Nun tritt Petrone mit einer neuen Entdeckung, die im "New England Journal of Medicine" veröffentlicht wurde, an die Öffentlichkeit. Sein Team hat die Reste eines menschlichen Gehirns gefunden, welches von der Hitze in Glas verwandelt wurde. Die Überreste des etwa 25 Jahre alten Mannes wurde bereits in den 1960er Jahren entdeckt. Der junge Mann lag auf einem Bett in einem Nebenraum eines Tempels, der dem römischen Kaiser Augustus gewidmet war. Vermutlich handelte es sich um einen Wächter oder Hausmeister der Kultstätte. Seine Haltung deutet darauf hin, dass er geschlafen hatte, als sich die Katastrophe ereignete.
Er wurde durch die sich sehr schnell bewegenden, mehrere hundert Grad heißen Wolken, bestehend aus glühender Asche, Gestein und vulkanischem Gas getötet. Pier Paolo Petrone untersuchte die Überreste des Mannes im Oktober 2018, als er bemerkte, dass "etwas in dem zerschlagenen Schädel schimmerte". Da sich das Material nur im Schädel des Opfers befand, schloss er, dass es sich um "verglaste Überreste des Gehirns" handeln müsse – bislang ein einzigartiger Fund.
Phänomen aus den Feuerstürmen bekannt
Verglastes Gehirn – für den Laien hört sich das unwahrscheinlich an, doch dieser Effekt trifft auf, wenn lebendes Gewebe unter bestimmten Bedingungen bei hoher Hitze verbrennt. Dann wird die Substanz in eine Art von Glasur verwandelt. Bei dem Toten fanden sich Spritzer von weiteren harzartigen Substanzen. Ähnliche Spuren fand man bei den Toten der Feuerstürme nach den alliierten Luftangriffen auf Dresden. Die Einwirkung von extremer Hitze, gefolgt von einer folgenden Abkühlung des Körpers, sollen das Hirngewebe des Mannes in Glas verwandelt haben?
"Die Konservierung alter Hirnreste ist ein seltener Fund, aber dies ist die allererste Entdeckung alter menschlicher Hirnreste, die durch die Hitze eines Vulkanausbruchs verglast wurden", so Petrone. "Alles deutet darauf hin, dass die extreme Strahlungswärme in der Lage war, das Körperfett zu entzünden und dann die Weichteile zu verdampfen; dadurch folgte ein rascher Temperaturabfall."
Petrone fand zudem weitere Belege für seine Theorie des Todes durch einen plötzlichen Hitzeschock. An dem Holz der Umgebung ließ sich nachweisen, dass die Temperatur in dem Raum auf über 500 Grad gestiegen ist - der Mann also an der Hitze gestorben ist. Auch andere Knochen explodierten und verkohlten. Einige der Knochen - sowie ein verkohltes Holzfragment – zeigten ebenfalls Anzeichen von Glasigkeit.
Rettung nur durch Flucht
Nun hofft Petrone, dass die Hirnfragmente weitere Erkenntnisse über die Identität des unbekannten Opfers liefern können. Die gefundene DNA wurde bisher verwendet, um familiäre Bindungen zwischen Menschen herzustellen, die bei der Eruption des Vesuvs gestorben waren. "Wenn es uns gelingt, das Material wieder zu erhitzen, es zu verflüssigen", sagt Patrone, "könnten wir vielleicht die DNA dieses Individuums finden".
Petrone sieht einen Gegenwartsbezug seiner Arbeit. Starben die Einwohner damals an den Hitzewolken und nicht durch den Ascheregen, macht es keinen Sinn bei einem neuen Ausbruch in stabilen Schutzräumen auszuharren. "Selbst wenn sie in Gebäuden geschützt sind, werden Menschen aufgrund der hohen Temperatur der Aschezungen sterben, wie die Opfer von Herculaneum, Pompeji und in Siedlungen, die bis zu 20 Kilometer vom Vulkan entfernt sind, zeigen."
Quelle: New England Journal of Medicine
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