Wie ein stolzer Großvater erzählt Reinhard Pennewiß von seinem Ferienkind aus Weißrussland. Schon zwei Mal war die jetzt 13-jährige Ira beim Ehepaar Pennewiß im Thüringer Städtchen Gebesee, um sich von den Spätfolgen der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl zu erholen. "Ein fröhliches Mädchen. Die Ira zählt praktisch zur Familie", schwärmt der 60-Jährige. "Wir würden sie jederzeit wieder nehmen." Das aber will der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko verhindern: Er kündigte ein Reiseverbot für die "Tschernobyl-Kinder" an, die jährlich zu Tausenden nach Deutschland kommen. Dagegen regt sich nun zunehmend Protest.
Seit 15 Jahren zum Erholungsurlaub nach Deutschland
"Das hat uns in helle Aufregung gebracht", sagt Burkhard Homeyer im westfälischen Münster. Der Pfarrer ist Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft "Den Kindern von Tschernobyl", des nach eigenen Angaben größten deutschen Netzwerks für Tschernobyl-Hilfe. In den vergangenen 15 Jahren kamen 160.000 strahlengeschädigte Kinder zum Erholungsurlaub in deutsche Gastfamilien. In diesem Jahr sollten es 8000 Kinder sein, sagt Homeyer - wenn Lukaschenko den Helfern keinen Strich durch die Rechnung mache: "Wir fürchten um unsere Freunde."
Lukaschenko, der nach Einschätzung westlicher Politiker als letzter Diktator in Europa gilt, hatte vor einigen Wochen das Ende der Reisefreiheit für Minderjährige angekündigt. Der Staat müsse mit den privat organisierten Erholungsreisen Schluss machen, sagte der Präsident. Im westlichen Ausland würden die Kinder von den Werten der Konsumgesellschaft verführt.
"Es geht darum, dass die Kinder die westliche Zivilgesellschaft sehen", sagt Homeyer. "Die Kinder von früher sind jetzt junge Leute. Die wollen das machen, was sie im Westen gesehen haben." So seien aus der Hilfsaktion 34 unabhängige Jugendzentren in Weißrussland hervorgegangen, die sich für soziale und ökologische Ziele einsetzen, sagt Homeyer. Davon sehe Lukaschenko seine Autorität bedroht. "Er fürchtet alles, was Menschen selbständig machen."
Auf einen offenen Konflikt mit der weißrussischen Führung will sich Homeyer nicht einlassen: "Wir sind nicht gegen Lukaschenko, sondern wir sind für die Kinder." Vor allem sie litten unter den Folgen der Explosion im Atomkraftwerk Tschernobyl im Jahr 1986. Obwohl der Reaktor in der Ukraine steht, trieb der Wind damals zwei Drittel des strahlenden Staubes ins benachbarte Weißrussland. Dort sind heute viele Kinder immungeschwächt oder behindert.
Heftige Proteste gegen Reiseverbot
Tschernobyl-Initiativen, Kirchen und Politiker laufen inzwischen Sturm gegen ein Reiseverbot. So verabschiedete der Landtag von Nordrhein-Westfalen eine Resolution an den weißrussischen Präsidenten, auch künftig Erholungsreisen für Kinder zuzulassen. Die Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende der deutsch-weißrussischen Parlamentariergruppe, Uta Zapf (SPD), warnte Lukaschenko in einem Brief vor negativen Folgen eines Reiseverbots. Auch die evangelischen Kirchen in Niedersachsen und Hessen protestierten.
Reinhard und Anita Pennewiß hoffen nun, Ira bald wiederzusehen. Selbst bei Gegenbesuchen würden deutsche Helfer von weißrussischen Grenzern schikaniert, berichtet Pennewiß. Der Thüringer war bereits bei Iras Familie zu Gast: "Die Großeltern haben geweint vor Freude."