Die Regierung von Äthiopien hat nach achtmonatiger Militäroffensive in der nördlichen Region Tigray überraschend eine einseitige Waffenruhe ausgerufen. Die Feuerpause sei an keinerlei Bedingungen geknüpft solle ab sofort gelten, hieß es in einer Mitteilung vom Montagabend.
Nach Angaben der Rebellen, der Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF), soll die Regionalhauptstadt Mekelle wieder unter ihrer Kontrolle sein. Man habe einen "atemberaubenden Sieg" errungen, hieß es. Ob sie die Waffenruhe respektieren, ließen die Rebellen offen. Der BBC zufolge feierten die Menschen den Truppenabzug in der Nacht zum Dienstag auf den Straßen Mekelles.
Der seit 2018 amtierende Ministerpräsident und Friedensnobelpreisträger Abiy Ahmed hatte im November eine Militäroffensive gegen die TPLF begonnen, die bis dahin in Tigray an der Macht war. Hintergrund waren jahrelange Spannungen zwischen der TPLF und der Zentralregierung. Inzwischen sind weitere Akteure beteiligt, darunter eritreische Truppen. Hunderttausende Menschen in Tigray sind auf humanitäre Hilfe angewiesen, allerdings hatten Hilfsorganisationen wegen der Sicherheitslage und bürokratischer Hürden lange keinen vollen Zugang zu den Notleidenden.
Bauern in Äthiopien sollen ihre Felder bestellen können
Die Feuerpause soll es Bauern in Tigray nach Angaben der äthiopischen Regierung ermöglichen, ihre Felder zu bestellen. Zudem sollen humanitäre Organisationen demnach ungehindert in der Region arbeiten können. Die Waffenruhe soll zunächst bis zum Ende der Erntesaison im September gelten. Zuvor hatte sich bereits die Übergangsregierung in Mekelle für eine Waffenruhe ausgesprochen.
Die Ankündigung kam für viele Beobachter unerwartet. Seit Tagen gab es unbestätigte Berichte über heftige Kämpfe zwischen Sicherheitskräften der Zentralregierung und der TPLF in Tigray. Der Feind habe einen erniedrigenden Verlust erlitten, teilte die TPLF in der Nacht zum Dienstag mit.
Regierungstreue Truppen offenbar aus Tigray geflüchtet
Nach unbestätigten Berichten sollen Repräsentanten der äthiopischen Zentralregierung überstürzt die Stadt verlassen haben. Der Rückzug der Regierungstruppen aus Tigray habe am Samstag begonnen, und sei am Montag abgeschlossen worden, sagte ein Augenzeuge der Deutschen Presse-Agentur. Anwohner in Mekelle sagten der BBC, dass die Rebellen seit Montagabend in der Stadt seien, und auch den Flughafen kontrollierten. Eine unabhängige Überprüfung der Berichte war zunächst nicht möglich.
Mit dem Rückzug des äthiopischen Militärs und der Beamten aus Mekelle habe der bewaffnete Widerstand in Tigray einen "großen Sieg" errungen, sagte der Äthiopien-Analyst der International Crisis Group, William Davison. Die große Gegenoffensive sei den Rebellen gelungen, indem sie sich den Rückhalt der Bevölkerung sicherten, sowie Waffen und Bestände des Gegners erobern konnten, sagte Davison.
Unicef erhebt Anschuldigungen gegen äthiopische Sicherheitskräfte
Das UN-Kinderhilfswerk (Unicef) warf äthiopischen Sicherheitskräften unterdessen vor, gegen internationales Recht verstoßen zu haben. Nach Angaben der Unicef-Exekutivdirektorin Henrietta Fore sollen äthiopische Sicherheitskräfte am Montag in die Unicef-Räumlichkeiten in Mekelle eingedrungen sein und die Satelliten-Ausstattung zerlegt haben. Fore verurteilte die Aktion auf das Schärfste. Humanitäre Organisationen beanstanden seit Monaten die Sicherheitslage ihrer Mitarbeiter. Zuletzt waren drei Mitarbeiter der Organisation Ärzte ohne Grenzen in der Region unter ungeklärten Umständen umgekommen.
UN-Generalsekretär António Guterres telefonierte nach Angaben der Vereinten Nationen am Montagabend mit Ministerpräsident Ahmed. Guterres ließ danach mitteilen, dass er auf ein Ende der Kämpfe hoffe. Die Situation in Tigray sei "äußerst besorgniserregend".
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Im Mai fanden in Burundi relativ friedliche Wahlen statt, rund 50.000 geflüchtete Burundie kehrten zurück in ihre Heimat. Doch die fünftärmste Nation der Welt hat es schwer, Rückkehrer aufzunehmen: Es fehlt an Ressourcen, über 90 Prozent der Bevölkerung sind von der Landwirtschaft abhängig. Als dann auch noch 80.000 Menschen aus dem Nachbarland Kongo in das mit am dichtesten besiedelten Landes im subsaharischen Afrika flüchteten, wuchs die Konkurrenz um Land und Nahrung und die ärmsten und verwundbarsten Gruppen der Bevölkerung – die Frauen – wurden auf wenig ertragreiches Land gedrängt. Erdrutsche und Überschwemmungen zerstörten 2020 die Lebensgrundlagen der ärmsten Menschen in Burundi und verschlimmerten die Hungersnot: Im Dezember 2020 benötigten über 2,3 Millionen Burundier humanitäre Hilfe, das Land weist den höchsten Wert an chronischer Unterernährung in der Welt auf.
Hunderttausende in Tigray von Hungersnot bedroht
Die mehr als fünf Millionen Einwohner der nordäthiopischen Region sind seit November weitgehend von der Außenwelt abgeschnitten, Immer wieder gab es Berichte über Gewaltexzesse auf beiden Seiten und zahlreiche zivile Opfer. Hilfsorganisationen zufolge leiden in Folge der Kämpfe 350.000 Menschen in Tigray unter einer Hungersnot. Die nächtliche Erklärung der früheren TPLF-Regierung von Tigray gibt jedoch wenig Hoffnung, dass der Konflikt bald ein friedliches Ende findet.
Die USA, Irland und Großbritannien beantragten unterdessen eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrats zum Tigray-Konflikt. Das Treffen könnte am Freitag stattfinden, hieß es aus Diplomatenkreisen, ein offizieller Termin stand jedoch noch nicht fest. Seit dem Beginn des Konflikts vor acht Monaten gab es dazu noch keine öffentliche Sitzung des mächtigsten UN-Gremiums, weil mehrere Mitglieder – darunter Russland, China und mehrere afrikanische Staaten – ihn als interne Angelegenheit Äthiopiens ansehen.