Mullah Abdul Wakil Muttawakil ist das bislang ranghöchste Mitglied der ehemaligen afghanischen Führung, das sich in Gewahrsam der USA befindet. Er wurde auf den US-Militärstützpunkt in Kandahar gebracht, wo er am Freitagabend verhört wurde. Man erhoffe sich wertvolle Informationen von ihm, hieß es.
Der afghanische Außenminister Abdullah sagte, es sei von großer Bedeutung, die Taliban-Führung in sicherem Gewahrsam zu haben »und nicht zu erlauben, die Stabilität der Übergangsregierung von Afghanistan zu untergraben«. Der Nachrichtenagentur AP sagte er in Kabul weiter: »Die verbliebenen Widerstandsnester der Taliban können eine Gefahr darstellen.«
Ein Sprecher des afghanischen Außenministeriums, Omar Samad, wollte die Festnahme nicht bestätigten. Er erklärte jedoch, die Übergangsregierung habe erwartet, dass sich einige Mitglieder der Taliban-Regierung den Behörden stellen würden. Muttawakil galt als ein gemäßigter Minister. Es hieß, er habe mit dem Taliban-Führer Mullah Mohammad Omar über den Aufenthalt des mutmaßlichen Terroristen Osama bin Laden in Afghanistan gestritten. In den letzten Monaten des Regimes soll er im Gefängnis gesessen haben, weil er die Auslieferung Bin Ladens an die Vereinigten Staaten forderte.
Unterdessen trafen amerikanische Soldaten in Bergen der afghanischen Provinz Paktia an der Stelle ein, wo am Montag eine Gruppe von Menschen von einer US-Rakete getroffen worden war. Die Soldaten sollen untersuchen, ob unter den Toten ranghohe Mitglieder des Terrornetzwerks El Kaida sind. Die Suche in dem entlegenen, über 3.000 Meter hohen Gebiet soll nach US-Angaben am Samstagmorgen beginnen. US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld wies Spekulationen zurück, dass sich Osama bin Laden unter den Toten befinde. »Wir haben einfach keine Ahnung«, sagte er.
US-Generalstabschef General Richard Myers bestätigte, dass eine unbemannte Drone am Montag einige Personen in der Region angegriffen habe. Etwa 50 Soldaten sollten jetzt klären, ob unter den Toten Kämpfer der El Kaida waren.
Mutawakil galt als liberal
Wakil Ahmed Mutawakil (34), der Außenminister der Taliban, galt im Westen lange als liberal. Aber wenn es darauf ankam, vertrat er immer die Positionen von Talibanführer Mullah Mohammed Omar. Hinter verschlossenen Türen soll Mutawakil im vergangenen Jahr die Zerstörung der monumentalen Buddhastatuen von Bamian und den zunehmenden Einfluss von Osama bin Laden und der arabischen Extremisten auf Omar kritisiert haben. Öffentlich verteidigte Mutawakil aber den Bildersturm. »Warum regt ihr euch auf im Westen, ihr seid doch Christen, keine Buddhisten«, sagte er.
In der Hierarchie der Taliban stieg Mutawakil rasch auf und hatte - zumindest in den ersten Jahren - das Vertrauen Omars. 1999 wurde Mutawakil Außenminister. Er geriet sofort international ins Rampenlicht, als er im Dezember 1999 nach der Entführung eines indischen Flugzeugs nach Afghanistan als Vermittler agierte.
Mutawakil hielt sich nicht an den Foto-Bann der Taliban, wenn es um ihn selbst ging. »Ich mag nicht fotografiert werden, aber in meinem Amt muss es sein«, sagte er westlichen Reportern. Dass Kameraleute ungestört Aufnahmen auf Märkten, in Schulen oder in Krankenhäusern hätten machen können, konnte aber auch Mutawakil nicht durchsetzen - die Sittenpolizei der Taliban war wesentlich stärker.
Zu Beginn seiner Amtszeit versuchte Mutawakil, mit dem Westen ins Gespräch zu kommen. Er zeigte sich bereit, über die Auslieferung des Terroristenchefs Bin Laden zu reden, wenn im Gegenzug die Taliban als rechtmäßige Regierung Afghanistans anerkannt würden. Die USA gingen darauf nicht ein, und die Befürworter einer völligen Abschottung Afghanistans in der Umgebung Omars setzten sich durch.
Mutawakil geriet noch einmal in die Schlagzeilen, als es im vergangenen Oktober, kurz nach dem Beginn der US-Angriffe, Gerüchte gab, er könnte gegen Omar putschen und dann Bin Laden ausliefern. Sogar von Geheimverhandlungen war die Rede. Es geschah aber nichts. Ob Mutawakil nun den USA wichtige Informationen darüber geben kann, wo sich Omar und Bin Laden aufhalten, hängt davon ab, ob er dem Zirkel um Omar immer noch als vertrauenswürdig galt, bevor er sich stellte.