Zwei Monate nach der Präsidentschaftswahl in Afghanistan ist die Untersuchung der Betrugsvorwürfe offiziell abgeschlossen, das Wahlergebnis aber weiterhin unklar. Die von den Vereinten Nationen unterstützte Beschwerdekommission (ECC) teilte am Montag mit, sie habe ihre Entscheidungen an die Wahlkommission (IEC) übermittelt. Aus der ECC-Mitteilung ging jedoch nicht hervor, ob Amtsinhaber Hamid Karsai nach Abzug hunderttausender ungültiger Stimmen eine absolute Mehrheit im ersten Wahlgang verfehlt hat. Sollte Karsai damit unter die 50-Prozent-Marke gefallen sein, wäre laut Verfassung eine Stichwahl zwischen ihm und Ex-Außenminister Abdullah Abdullah notwendig.
IEC muss Ergebnis anpassen
Der Abschluss der ECC-Untersuchung ist Bedingung dafür, dass die Wahlkommission ein um die gefälschten Stimmen bereinigtes amtliches Endergebnis verkünden darf. Ein IEC-Sprecher sagte, bis zur Verkündung könnten noch bis zu zwei Tage vergehen. Am Wochenende hatte es aus diplomatischen Kreisen geheißen, Karsai wehre sich gegen die Bekanntgabe eines Endergebnisses, demzufolge er keine absolute Mehrheit mehr hätte. Die "New York Times" und die "Washington Post" hatten bereits am Freitag berichtet, Karsai habe nach Abzug gefälschter Stimmen keine 50 Prozent mehr.
Karsais Kampagnen-Manager Wahid Omar sagte am Montag, es sei sehr schwierig, Schlüsse aus der ECC-Analyse zu ziehen, die "sehr technisch" sei. Es gelte weiterhin, ein amtliches Endergebnis der Wahl vom 20. August abzuwarten. Die Veröffentlichung der ECC-Analyse wurde in den vergangenen Tagen immer wieder verschoben. Die ECC hatte die Betrugsvorwürfe stichprobenartig untersucht. Die IEC muss das Endergebnis nun nach einer komplizierten Formel anpassen.
Nach dem Wahlgesetz sind Entscheidungen der ECC nicht anfechtbar. Dennoch wurde in Kabul spekuliert, die IEC - die als parteiisch für Karsai gilt - könnte das Verfassungsgericht anrufen, sollte der Amtsinhaber keine absolute Mehrheit mehr haben.
Wintereinbruch sorgt für Probleme
Nach dem Mitte September verkündeten vorläufigen Ergebnis hatte Karsai 54,6 Prozent der Stimmen. Abdullah folgte mit 27,8 Prozent. Bei der Wahl war es nach UN-Angaben zu massivem Betrug gekommen. Die meisten verdächtigen Stimmen waren von EU-Wahlbeobachtern Karsai angelastet worden. Karsai hatte die Beobachter dafür scharf kritisiert.
Sollte kein Kandidat eine absolute Mehrheit haben, sieht Artikel 61 der Verfassung eine Stichwahl binnen zwei Wochen vor. Das gilt angesichts der knappen Zeit als schwierig umzusetzen. Eine Verzögerung würde aber bedeuten, dass in Teilen des Landes der bevorstehende Wintereinbruch eine Abstimmung unmöglich machen könnte. Befürchtet wird zudem, dass sich an einer zweiten Wahlrunde wegen der schlechten Sicherheitslage und der Wahlmüdigkeit noch weniger Afghanen beteiligen als an der Abstimmung im August. Damals lag die Wahlbeteiligung nach Angaben der IEC bei 38,7 Prozent.