Es ist bitterkalt in Kundus, das Thermometer zeigt minus zwölf Grad. Im internationalen Feldlagers PRT bereitet sich ein Team der Schutzkompanie auf eine seiner zahlreichen Patrouillen vor. Auf sie warten Selbstmordattentäter, die sich auf die Motorhaube eines Fahrzeugs werfen, Beschuss durch Handfeuerwaffen oder Panzerfäuste sowie Minen und Sprengfallen und nun auch Raketenangriffe. "Die", sagt Rainer Buske, "werden sich wieder häufen, sobald es wärmer wird."
Buske kommandiert mehr als 520 Soldaten
Buske, im Rang eines Oberst, ist der deutsche Kommandant des "Provincial-Reconstruction-Teams" (PRT). Er hat einen verantwortungsvollen Job. Knapp 500 deutsche, 22 belgische, zwei schweizerische und zwei ungarische Soldaten stehen unter seiner Führung. Zwei Provinzen deckt das PRT im Norden Afghanistans ab. Ein Gebiet, in dem sich die Sicherheitslage in den letzten Jahren, vor allem aber auch in den letzten Monaten, zunehmend verschlechtert hat. Insurgents, Aufständische, so nennen die Soldaten ihre Widersacher. "Das können religiös oder politisch motivierte Attentäter oder auch 'nur' Kriminelle sein", sagt der Kommandant. "Seit dem Spätsommer 2007 hat die Bedrohung hier in Kundus eine ganz neue Qualität erhalten", berichtet Buske in militärisch sachlichem Ton. Seitdem finden verstärkt Raketenangriffe auf das Feldlager statt. Allerdings verfehlen die Raketen vom Typ BM 12 derzeit noch meist ihr Ziel. Einmal wurde das Feldlager bereits getroffen. Ein Geschoss durchschlug die Wände eines Gebäudes, traf die dahinterliegende Truppenküche und blieb dort in der Wand stecken. Allein zwei Umständen war es zu verdanken, dass es keine Verletzten oder gar Tote gab. Der Sachschaden war auch nicht so groß: Die Küche war zum Zeitpunkt des Einschlags längst geschlossen, und die Rakete detonierte zum Glück nicht.
Sind die Furten befahrbar?
Die Patrouille hat sich mittlerweile in Bewegung gesetzt, steuert Aliabad, eine Ortschaft südlich von Kundus an. Dort will sich der Chef der Schutzkompanie, Hauptmann Frank P.*, ein Bild vom Gelände machen und prüfen, ob die Furten befahrbar sind. Es dauert nicht lange, bis die ersten Kinder auftauchen. Der Konvoi stoppt. Bevor die deutschen Soldaten ihre Fahrzeuge verlassen, suchen sie den Umkreis nach Minen ab. Dann stehen sie sich gegenüber: hier die Soldaten, bestens ausgerüstet, etwas unsicher und irgendwie deplaziert, dort die ärmlich bekleideten Kinder, in ihrer Heimat. Einer Heimat, die ohne Frieden, für den die Soldaten sorgen wollen, keine Zukunft für sie bietet.
"Wenn die Kinder in all ihrer Armut hier auftauchen, weiß ich, dass dies vor allem für die Kameraden, die selbst Kinder haben, eine enorme psychische Belastung darstellt", sagt P., in unserer Einheit herrscht aber ein derart großer Zusammenhalt, dass wir über alles reden und so viele Probleme auffangen können."
Afghanistan statt Flitterwochen
Er selbst bringt auch Opfer. So hat der 33-Jährige am 1. November 2007 geheiratet, musste sich jedoch bereits am 18. November nach Afghanistan verabschieden. Kirchliche Hochzeit und Flitterwochen waren da nicht drin. Geplant seien sie, müssten allerdings noch warten. Erst Ende März wird er aus Afghanistan in die Heimat zu seiner Frau zurückkehren. Deshalb zählt für den Vollblutsoldaten im Augenblick nur der Auftrag, den es hier zu erfüllen gilt.
Der 24-jährige Hauptgefreite Timo M.* ist Richtschütze auf dem gepanzerten Truppentransporter "Dingo". Es ist nicht sein erster Auslandseinsatz, er war bereits im Kosovo. Mit Afghanistan sei dies aber nicht zu vergleichen, sagt er. "Die Bedrohung hier ist wesentlich intensiver. Vor allem aber die Ungewissheit darüber, was passieren kann ist es, was die Nerven strapaziert."
Sechs Tote gab es bereits an diesem Standort. Drei Soldaten starben bei einem Selbstmordattentat, zwei bei der Kampfmittelbeseitigung, einer beging Suizid. All dies kann in Kundus jeden Tag, jede Nacht passieren. "Insofern fährt die Angst hier immer mit", sagt M.. Doch der Dienst am Hindukusch hat für ihn auch viele positive Seiten: "Wenn man die Armut und das Elend der Menschen hier sieht, ist es ein gutes Gefühl helfen zu können. Das hinterlässt Spuren. Jeder der zu Hause jammert, sollte sich die Armut hier einmal ansehen."
Großteil der Bevölkerung ist freundlich gesinnt
Oberst Rainer Buske sitzt nachdenklich in seinem Büro. "Ich werde mit all meinen mir gegebenen Möglichkeiten verhindern, dass unsere Hauptaufgabe von irgendwelchen Minoritäten gefährdet wird", sagt er. So sei der Großteil der afghanischen Bevölkerung absolut freundlich gesinnt und unterstütze die Arbeit des deutschen Aufbau-Teams. Buske: "Die etwa fünf Prozent Insurgents binden leider viele unserer Kräfte im Bereich der Eigensicherung." Das sind Soldaten, die vor allem zum Schutz der staatlichen und privaten Wiederaufbauteams eingesetzt werden sollten. "Ich werde nicht dulden, dass dies weiterhin geschieht, und alles dafür tun, um dem entgegenzuwirken", sagt der Kommandeur.
Seine Leute haben inzwischen ihren Auftrag erfüllt, kehren nach etwa vier Stunden ins Camp zurück. Ihre Informationen wertet Hauptmann P. noch am selben Abend aus. Informationen, die dazu beitragen sollen, den Raketenangriffen in Zukunft entgegenzuwirken. Informationen, die Oberst Buske bei seiner Mission unterstützen werden. Eine Mission, die Frank P. nicht loslassen wird, auch wenn er sich dann auf Hochzeitsreise befindet.
*Name von der Redaktion geändert