Manchmal wirkte es in diesem Wahlkampf so, als hätten die drei Männer einen Pakt geschlossen: Bloß nicht zu viel Polemik. Bloß nicht so sein wie die Präsidentin Cristina. Respektiere die Sehnsucht der Menschen nach etwas weniger Drama, etwas mehr Ruhe, mehr Ausgleich, mehr Mitte.
So war es auch in der Wahlnacht.
Mauricio Macri, ehemaliger Fußballpräsident der Boca Juniors, stand in Buenos Aires unter regnenden Luftballons auf der Bühne und sprach von einem Wandel in Maßen. Sergio Massa, ehemaliger Anhänger der Präsidentin, stand vor jubelnden Anhängern auf der Bühne und sagte, er wolle einen Wandel mit mehr Solidarität. Und Daniel Scioli, ehemaliger Rennbootpilot, sagte, er habe seine Rennen nie gewonnen, in dem er seine Gegner einfach so über den Haufen fuhr.
Macri klang ein wenig wie Massa. Sciolli klang ein wenig wie Macri. Alle klingen irgendwie ähnlich.
Macri wollte unbedingt den direkten Zweikampf
Ist das wirklich Argentinien, fragte man sich manchmal. Dieses so zerrissene Land - aufgespalten in Cristina-Hasser und Cristina-Anhänger? Ist dies wirklich diese so streitlustige Nation, wo die Regierung von Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner ihre Gegner Aasgeier nennt und ausspioniert und zeitweise gar mit einem Mord an einem Staatsanwalt in Verbindung gebracht wurde? Und wo die Gegner diese Regierung wiederum gern in die Nähe autoritärer sozialistischer Regime rücken wie jene in Venezuela und Kuba?
Keiner der drei Männer erreichte im ersten Wahlgang die erforderliche Mehrheit. Scioli, Kandidat der Regierung, kam auf gut 36 Prozent, der unternehmerfreundliche Macri auf 34, Massa auf 21. So treten die beiden Besten, Scioli und Macri, in der nächsten Runde am 22. November noch einmal gegeneinander an.
Für Sciolli, den von Cristina unterstützten Kandidaten, ist das eher eine Niederlage. Er hatte auf einen sofortigen Sieg gesetzt. Für Macri ist es eher ein Sieg. Er wollte unbedingt den direkten Zweikampf. Die Hauptfrage ist, für wen sich nun Massas Anhänger entscheiden werden.
Argentinien hat sich entfremdet von der Welt
Für Argentinien heißt das nach 12 Jahren Kirchner-Regentschaft: Es wird weder der radikale Aufbruch kommen noch die Fortführung des Status Quo. Scioli würde bei einem Sieg die populistische Politik der Präsidentin zwar weiterführen, aber den Ausgleich mit ausländischen Investoren und dem Weltwährungsfonds suchen. Macri würde die Errungenschaften der Kirchnerjahre – Ausbau der Arbeiterrechte, Aufarbeitung der Militärdiktatur - nicht aufgeben, aber etwas zügiger Argentiniens Anschluss an die Weltwirtschaft suchen.
In jedem Fall werden sich beide der größten, von Kirchner oft ignorierten Probleme endlich annehmen müssen: Hohe Inflation. Gigantisches Haushaltsdefizit. Starkes Misstrauen ausländischer Investoren.
Argentinien hat sich entfremdet von der Welt. Die Präsidentin ließ keine Gelegenheit aus, um sich mit den USA anzulegen, vor allem mit jenen amerikanischen Gläubigern, die ihr Geld nach Argentiniens Staatsbankrott 2002 einforderten. Sie enteignete ausländische Unternehmen und schreckte Investoren mit hohen Importzöllen ab. Dafür ordnete sie eine dreitägige Staatstrauer an, als ihr venezolanischer Freund Hugo Chávez starb.
Andererseits will keiner zurück in die Zeit des Neoliberalismus der Neunziger. Nach der großen Rezession und traumatischen Krise von 2001, als Argentinien binnen weniger Tage fünf Präsidenten verbrauchte, schafften es Cristina und ihr Ehemann Nestor Kirchner, das Land in den Folgejahren einigermaßen zu stabilisieren. Zu verdanken war das allerdings weniger ihrer klugen Politik als vielmehr einem Boom an den Rohstoffmärkten.
Kirchners Abgang erleichtert alle
So lässt sich die derzeitige Stimmung im Land wohl erklären: Die meisten Argentinier wollen den Wandel, aber einen sanften. Sie wollen die Fortsetzung der Sozialprogramme, aber in Maßen. Sie wollen eine Fortsetzung der Menschenrechtspolitik, aber daraus bitte keinen Kult machen. Sie wollen eine Öffnung zur Welt, aber keinen Verkauf der Staatsunternehmen. Sie wollen in jedem Fall eine Abkehr von der manipulativen Politik der Präsidentin, der Streitsucht, der ständigen Einmischung in Justiz und Medien. Sie wollen etwas Heilung, Versöhnung, Therapie.
In der Wahlnacht war das der größte gemeinsame Nenner - auf der Straße, bei den Wahlevents, auf dem Plaza de Mayo vor dem Regierungspalast: Alle sind irgendwie erleichtert, dass die Kirchnerjahre vorbei sind.