Korsika, die schroffe "Insel der Schönheit", wird aus allen Richtungen von einem halben Dutzend Winden heimgesucht: Die sind mal feucht und heiß wie der Scirocco, mal kalt und trocken, wie der Tramontana. Auf der Insel siedelten Griechen, Katharger, Römer, Etrusker und Vandalen, sie gehörte mal zu Byzanz, zu Franken und zu Genua. Mitte des 18. Jahrhundert erklärten sich die Korsen für unabhängig, um, nach kurzzeitiger Zugehörigkeit zu England, Franzosen zu werden. Bei Asterix und Obelix kommen die Bewohner als ehrpusselige Messermänner nur so mäßig gut weg. Der berühmteste Korse heißt Napoleon Bonaparte.
Mehr als 100 Verletzte bei Demonstration
In der Gegenwart flammt der Dauerzwist der Mittelmeerinsel mit der Zentralregierung in Paris wieder auf. Seit Tagen fliegen in mehreren Städten Molotowcocktails und Brandbomben, es gibt zahllose Verletzte, sowohl unter Demonstranten als auch der Polizei und Journalisten. Zuletzt war eine friedliche Demonstration von mehreren Tausend Menschen im nordöstlichen Bastia außer Kontrolle geraten. Dabei wurden rund 100 Menschen verletzt, unter ihnen fast 80 Sicherheitskräfte. Die Polizei ging mit Tränengas und Wasserwerfern gegen die Demonstranten vor.
Auslöser der Ausschreitungen: ein Angriff auf den inhaftierten korsischen Separatisten Yvan Colonna. Ein mitgefangener Dschihadist hatte den 61-Jährigen Anfang März im Gefängnis in Arles attackiert und dabei lebensgefährlich verletzt, der Nationalist liegt seitdem im Koma. Auf Korsika wird er von vielen als Held im Kampf für die Unabhängigkeit verehrt. 1998 hatte der Colonna den Präfekten von Korsika ermordet, seit 2003 sitzt er in Haft. Demonstranten werfen den französischen Behörden vor, Colonna entgegen dessen Bitte nicht in ein Gefängnis auf Korsika verlegt zu haben.
Schon seit den 70er Jahren kämpfen korsische Separatisten um die Unabhängigkeit von Frankreich. Die Untergrundorganisation FLNC legte 2014 die Waffen nieder, etwa zeitgleich gewannen gemäßigte Nationalisten politisch an Bedeutung. Auch die festlandfranzösischen Rechten des früheren Front National (jetzt Rassemblement National), die Partei von Marine Le Pen, war zuletzt bei Wahlen sehr erfolgreich, obwohl die sich explizit gegen mehr Autonomie Korsikas wendet.
Das Thema von größerer Eigenständigkeit ist durch die gewaltsamen Proteste zum Wahlkampfthema geworden. Innenminister Gérald Darmanin kündigte sogar weitgehende Zugeständnisse an. "Wir sind bereit, bis zur Autonomie zu gehen", sagte er nun in einem Zeitungsinterview. Allerdings sagte er auch: Es müsse darüber diskutiert werden, "wie diese Autonomie aussieht". Voraussetzung sei, dass auf der Insel wieder Ruhe einkehre, so der Innenminister. "Unter dem Druck von Sprengkörpern und massiver Polizeipräsenz kann es keinen aufrichtigen Dialog geben."
Angriff ein "terroristischer Akt"
Darmanin zeigte aber auch Verständnis für die Proteste. "Wenn es einen so schlimmen Angriff in einem Gefängnis gibt, dann kann man es so sehen, dass wir dafür verantwortlich sind", sagte er. Er bezeichnete den Angriff des dschihadistischen Mithäftlings auf Colonna als "terroristischen Akt", der aufgeklärt werden müsse.
Die Befürworter einer größeren Autonomie Korsikas fordern unter anderem, den Sonderstatus der Insel in der Verfassung festzuschreiben, die Existenz eines "korsischen Volks" anzuerkennen und inhaftierte Unabhängigkeitskämpfer nach Korsika in Gefängnisse auf der Insel zu verlegen. Die Opposition wirft der Regierung vor, angesichts der jüngsten Ausschreitungen auf der Insel einzuknicken.
So warf die rechtspopulistische Präsidentschaftskandidatin Le Pen Präsident Emmanuel Macron "politischen Klientelismus" vor. "Korsika muss französisch bleiben", schrieb sie auf Twitter. Die rechtskonservative Kandidatin Valerie Pécresse haute in die gleiche Kerbe und sagte, die Regierung, lasse sich durch Gewalt in die Knie zwingen. Die Franzosen wählen am 10. April ihren nächsten Präsidenten oder nächste Präsidentin.
Quellen: DPA, AFP, "Frankfurter Allgemeine Zeitung"