Ukraine-Krieg "New York Times"-Bericht: Russische Soldaten hielten Menschen in ukrainischem Apartmenthaus als Geiseln

Der Pokovsky Apartmentkomplex in Hostomel, hier auf Google Earth
Der Pokovsky Apartmentkomplex in Hostomel, hier auf Google Earth, soll laut "New York Times" von russischen Soldaten besetzt worden sein. 
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Während ihres Vormarsches auf Kiew sollen russische Soldaten nach Recherchen der Zeitung "New York Times" rund 200 Menschen in einem Wohnhaus in der Stadt Hostomel gefangen gehalten haben. Die meisten mussten im Keller ausharren.

Hostomel liegt mehr als 20 Kilometer vom Stadtzentrum der ukrainischen Hauptstadt Kiew entfernt. Bekannt ist der Ort für seinen internationalen Frachtflughafen, wo einst das größte Frachtflugzeug der Welt, die An-225 abhob. Das Flugzeug wurde bei den Kämpfen um den Flughafen zerstört.

In Hostomel sollen sich aber noch weitere schreckliche Ereignisse zugetragen haben. Das berichtet die "New York Times". Dem Bericht nach sollen russische Soldaten in einem Wohnkomplex mehrere Menschen als Geiseln genommen haben. Rund 200 Bewohner:innen sollen es gewesen sein, die man zum Teil im Keller gefangen gehalten haben soll.

Soldaten halten 200 Menschen gefangen

Die Zeitung hat nach eigenen Angaben mit einigen der Menschen aus dem Pokovsky Apartmentkomplex gesprochen. Einer von ihnen ist Roman Naumenko. "Wir haben die russische Infanterie auf der Überwachungskamera unseres Gebäudes gesehen", sagte er. "Von diesem Moment an blieben die Russen."

Dem "NYT"-Bericht zufolge sollen die Soldaten die rund 200 Bewohner:innen festgehalten haben, viele von ihnen in den Kellern. Sie sollen gezwungen worden sein, ihre Telefone abzugeben, sogar unter Androhung, erschossen zu werden. Die Soldaten hätten auch die Wohnungen besetzt. Die Zeitung konnte anhand von Filmmaterial von Überwachungskameras und Handys das Geschehen nachvollziehen. Bilder zeigen, wie die Männer mit schweren Waffen das Haus betreten und Überwachungskameras zerstören. Sie sollen Türen aus den Angeln gerissen und Wohnungen gestürmt haben, sagten Anwohner:innen. Innerhalb weniger Stunden hätten die russischen Soldaten den gesamten Komplex unter ihre Kontrolle gebracht.

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Die 49-jährige Lesya Borodyuk berichtete: "Es war wirklich beängstigend." Sie habe ihrer Tochter geschrieben, sich von ihr verabschiedet und gesagt, "dass wir jetzt wahrscheinlich bombardiert werden." Eine andere Bewohnerin, die Ksenia genannt werden will, berichtet von einem "totalen Zustand der Angst." Lesya Borodyuk sagte der "NYT" weiter, dass manchen erlaubt wurde, aus der Wohnung Nahrungsmittel und warme Kleidung in den Keller zu holen. Auch gemeinsames Kochen sei von den Soldaten gestattet worden.

Bewohner:innen können über humanitären Korridor fliehen

Roman Naumenko habe sich verstecken können. Er habe einmal am Tag sein Handy eingeschaltet; nur um seiner Familie mitzuteilen, dass er noch lebe. Andere Angehörige hätten nicht die Möglichkeit gehabt, ihre Familienmitglieder im Wohnhaus zu kontaktieren. Naumenko und seine Frau hatten laut Bericht keinen Strom und keine Wärme. Sie hätten daher beim Kochen improvisieren und mit Jacken in ihren Betten schlafen müssen.

Wie die Bewohner:innen weiter berichten, sollen die russischen Soldaten den Geiseln gesagt haben, man werde die Ukraine von Nazis befreien. Russlands Präsident Wladimir Putin hatte in der Vergangenheit häufiger behauptet, die Ukraine werde von Nazis regiert. Dabei wurde die Regierung von Wolodymyr Selenskyj, der selbst Jude ist, frei gewählt.

Dass einigen der Gefangenen die Flucht gelang, ist laut der "Times" einem Zufall zu verdanken, als man einen Konvoi mit weißen Fahnen aus dem Fenster beobachten konnte. Als die Soldaten sagten, es gebe einen humanitären Korridor, hätten einige der Bewohner:innen die Chance ergriffen. So auch Roman Naumenko, der sich jetzt in Kiew aufhalten soll – und bereit sei, die Stadt zu verteidigen. "Die Dinge, die ich in Hostomel gesehen habe, waren ein Albtraum. Ich möchte nicht, dass das hierher kommt."

rw