No-Deal-Brexit Parlamentssprecher Bercow ruft Premierminister Johnson zur Ooooorder

Britisches Unterhaus: Theresa Mays Niederlage war die Sternstunde dieses Mannes
© AFP / stern-online
Bei der Brexit-Abstimmung im britischen Parlament erlebte Theresa May eine Niederlage. Dieser Mann hingegen wurde von den Zuschauern gefeiert: John Bercow, der Präsident des britischen Unterhauses. Tweets Als „Mr. Speaker“ moderiert Bercow die Debatten im Parlament. Seit zehn Jahren sorgt für Ordnung bei den Sitzungen, die wesentlich lauter zugehen als im Bundestag. Der Sohn eines Taxifahrers aus London gehört der konservativen Tory-Partei an. In der Vergangenheit wurde dem 55-Jährigen allerdings aus den eigenen Reihen vorgeworfen, parteiisch zu sein. Bercow hatte 2016 gegen den Brexit gestimmt. 2017 hatte ihn das Unterhaus wieder zum Präsidenten gewählt - auch Labour-Abgeordnete gaben ihm ihre Stimme. Bercow betont allerdings, dass er in seinem Amt unparteiisch sei. Dennoch macht er keinen Hehl aus seinem Ziel, im Unterhaus eine lebhafte Debatte zu ermöglichen. Deshalb nimmt er auch öfter Meldungen von den Hinterbänken des Hauses an. Denen steht eigentlich weniger Bedeutung zu. Sein Humor während hitziger Debatten hat den dreifachen Familienvater zu einer Berühmtheit gemacht. Zuletzt hatte ein konservativer Parlamentarier Bercow wegen eines Anti-Brexit-Aufklebers auf seinem Auto zur Rede stellen wollen. Das war die Antwort des Vorsitzenden: Zitat " Ich bin sicher - und das meine ich sehr ehrlich - das war ein unbeabsichtigter Fehler. Aber es war ein Fehler. Der Abgeordnete sagte, dass in den vergangenen Monaten ein Sticker an meinem Auto bemerkt worden sei. Dieser Aufkleber zum Brexit klebt an der Windschutzscheibe von dem Auto... ... meiner Frau. Genau. Und ich bin mir sicher, dass der verehrte Abgeordnete nicht für eine Sekunde andeuten wollte... ... dass eine Ehefrau das Hab und Gut ihres Ehemanns ist. Sie hat ein Recht auf ihre eigene Meinung. Dieser Sticker gehört mir nicht. Und damit wäre das Thema beendet.“
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Videos war das Alter von John Bercow fälschlicherweise mit 49 Jahren angegeben.
Ein No-Deal-Brexit ohne Rückendeckung des Parlaments? Ohne John Bercow: Der Parlamentssprecher hat den britischen Premierminister Johnson wortreich vor einem Alleingang gewarnt. 

John Bercow ist dafür bekannt, klare Kante zu zeigen. Noch bekannter ist, wie er es tut: "Ooooooorder!", hallt es durch das britische Unterhaus, wenn es dort drunter und drüber geht und der Parlamentssprecher mit gepresstem Organ zur Ordnung ruft. Oftmals viele Vokale, aber immer eine Botschaft: Reißt euch zusammen, werte Parlamentarier. 

Nun hat Bercow auch Premierminister Boris Johnson angezählt. Auf einer Veranstaltung im schottischen Edinburgh stellte der 56-Jährige klar, dass ein No-Deal-Brexit ohne Rückendeckung des Parlaments mit ihm nicht zu machen sei. Er werde "bis zum letzten Atemzug" versuchen zu verhindern, dass Johnson am Parlament vorbei entscheide, so Bercow laut dem britischen "Guardian".

Brexit: Gängelt der Premierminister das Parlament?

Hintergrund: Johnson will Großbritannien am 31. Oktober aus der Europäischen Union führen – "komme, was wolle". Selbst einen Brexit ohne Abkommen will er in Kauf nehmen, sollte sich die EU nicht auf seine Forderungen einlassen. Berichten zufolge gibt es in seinem Kabinett Überlegungen, einen No-Deal-Brexit gegen den ausdrücklichen Willen des Parlaments durchzusetzen.

Sollten die Abgeordneten dem Premierminister etwa vor dem EU-Austritt noch das Vertrauen entziehen, könnte der sich seinem Rücktritt solange verweigern, bis mit Ablauf der Brexit-Frist Tatsachen geschaffen sind. Kolportiert wurde auch, Johnson könnte den Termin für eine Neuwahl auf den Tag nach dem Brexit legen.

Hier sieht Parlamentssprecher Bercow eine rote Linie überschritten. "Wir können keine Situation haben, in der das Parlament geschlossen ist", zitiert ihn der "Guardian". Man sei eine demokratische Gesellschaft. "Das einzige, woran ich fest glaube, ist, dass das Parlament seinen Weg haben muss." Sollte es "einen Versuch geben, das Parlament zu umgehen oder – Gott behüte – es zu schließen, wäre das für mich untragbar."

Ein Statement Bercows sorgte laut "Guardian"  dabei für besonderes Aufsehen. Es wurde es auch als indirekte Warnung verstanden. Eine Person aus dem Publikum fragte den Sprecher, ob das Parlament dazu in der Lage sei, einen No-Deal-Brexit zu stoppen. Bercow, kurz und knapp: "Ja."

Quellen: "The Guardian", Mit Material der Nachrichtenagentur DPA

fs