Britischer Premier im Wahlkampfmodus Was will Boris Johnson wirklich? Es gibt da eine Theorie ...

Umstrittener Politiker: Boris Johnson – das ist der Mann, der die Briten aus dem Brexit-Chaos führen will
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Boris Johnson ist ein umstrittener Politiker und Favorit auf das Amt des britischen Premierministers. Dass er es mit den Fakten nicht so genau nimmt, hat er schon vor seiner politischen Laufbahn bewiesen. Das ist der Mann, der als den Brexit in trockene Tücher bringen soll.


Sein Geburtsname lautet Alexander Boris de Pfeffel Johnson. Johnson wurde als erster von vier Geschwistern in New York geboren und hatte bis 2016 die britische und die US-amerikanische Staatsbürgerschaft. 2016 gab er diese ab, nachdem er eine hog´he Steuerrechnung in den USA begleichen musste. Die Familie hat ihren Stammbaum bis zu King George II zurückverfolgt.


Johnson ist der Sohn des britischen Politikers Stanley Johnson. Der Konservative ist EU-Abgeordneter für die Tories und arbeitete später bei der Weltbank.


Johnson studierte in Oxford. Dort ist er mit David Cameron, der später Premierminister wird, befreundet. Beide sind Mitglieder des „Bullingdon Clubs“, einem Sammelbecken für die Wohlhabenden und Adeligen der Universität.


Seine Karriere beginnt Johnson als Journalist bei der „Times“ in London. Dort wird er gefeuert, weil er ein Zitat schlicht erfindet. Danach schreibt er für den „Daily Telegraph“ und ist Korrespondent in Brüssel. Schon damals ist er dafür bekannt, Geschichten zu erfinden und EU-feindliche Ressentiments zu schüren.


2008 wird Johnson Bürgermeister von London. In seiner Amtszeit führt er Leihräder in London ein und war während der Aufstände 2011 Chef der Stadt.


2016 wird er zu einem der Anführer der Brexit-Bewegung. Die Kampagne zeichnet sich durch Falschinformationen aus. Auf großen Bussen steht der Slogan: „Wir senden pro Tag 50 Mio. Pfund an die EU. Lasst uns lieber den NHS (Krankenkasse) damit ausstatten.“ Dass Großbritannien einen hohen Teil des Geldes von der EU zurückbekommt, fehlte bei der Angabe.


Die Brexit-Kampagne hat Erfolg: Johnson wird nach dem Votum Außenminister. Im Juli 2018 tritt er jedoch zurück, weil er mit der Strategie von Premierministerin Theresa May nicht einverstanden ist. 


Nach der Rücktrittsankündigung von Theresa May im Juni 2019 bringt sich Johnson als Nachfolger sofort ins Spiel. Er verspricht, Großbritannien bis zum 31. Oktober aus der Staatengemeinschaft zu führen.


Unter Experten gibt es erhebliche Zweifel, ob Johnson einen glaubwürdigen Plan für den EU-Austritt hat.


Quellen:
DPA, Time, Forbes, Guardian













Ein Kabinett aus Brexit-Hardlinern, Drohgebärden gegen Brüssel und patriotisches Gepolter: Boris Johnson, neuer britischer Premier, macht richtig Alarm. Aber wohin soll das führen? Nicht allein zu einem No-Deal-Brexit, wie es scheint.

Als David Cameron vor drei Jahren nach dem EU-Referendum als britischer Premierminister zurücktrat, begann der Aufstieg des Boris Johnson – mit schlechten Umfragen.

Theresa May wäre ihnen als Nachfolger deutlich lieber, gab eine Mehrheit der Tory-Mitglieder an. Johnson, das Gesicht der Brexit-Kampagne, trat infolgedessen nicht für den Posten des Premiers an. An dieser Meinung schien sich bis vor einem Jahr,  nicht geändert zu haben. Noch kurz bevor Johnson als Mays Außenminister zurücktrat, sagten immer noch 48 Prozent, dass Johnson ein schlechter Premierminister wäre.

Und heute? Ist Boris Johnson Premierminister. Die Parteibasis hat ihn mit deutlicher Mehrheit ins Amt befördert. Er ist der neue Liebling der Konservativen.

Das hat einen Grund: Boris Johnson hat sich seit seinem Rücktritt aus Mays Kabinett als Überzeugungstäter für einen kompromisslosen Brexit präsentiert. Er scheint der einzige zu sein, zumindest in der Wahrnehmung seiner Partei, der den Abschied aus der EU tatsächlich durchzieht. Ob mit oder ohne Austrittsabkommen. 

Ein Brexit um jeden Preis: das ist die Botschaft von Boris Johnson. Und er tut aktuell einiges dafür, dass die Message gehört wird. Denn schon bald könnte Boris Johnson wieder in den Wahlkampf ziehen. Ob er will oder nicht.

Boris Johnson im Wahlkampfmodus

Es gibt einige Indizien dafür, dass sich der neue Premierminister für einen Wahlkampf wappnet und allerhand Gründe, warum die Vorbereitung notwendig sein könnte. Ein Überblick.

Entschlossenheit, aber wohl keine Mehrheit. Johnson will den Brexit "ohne Wenn und Aber" am 31. Oktober durchziehen. Sein Ziel: Entschlossenheit demonstrieren und die EU zu Zugeständnissen bewegen. Sein Problem: Die EU schließt Neuverhandlungen um das Brexit-Abkommen bisher konsequent aus – und zuletzt war auch eine klare Mehrheit im britischen Parlament gegen einen Brexit ohne Deal. Das Parlament könnte daher versuchen, den Kurs der Regierung zu verhindern. Beobachter skizzieren folgendes Szenario: Die oppositionelle Labour-Partei könnte schon im September (nach der Parlamentspause) ein Misstrauensvotum anstrengen. Aktuell hat die Tory-Partei nur eine Mehrheit von zwei Sitzen im Unterhaus, und auch zahlreiche Konservative lehnen neben der Opposition einen Chaos-Brexit ab. Die Folge wären Neuwahlen. Da die Chancen für einen Erfolg gut stünden, ist es denkbar, dass Johnson selbst Neuwahlen ausruft.

Mr. 0,35 Prozent. Ein neues Votum der Wähler könnte für Johnson auch von Vorteil sein. Sie würden wohl die schwierigen Machtverhältnisse im Parlament klären, aber auch den Vorwurf ausräumen, dass Johnson nicht von der Bevölkerung legitimiert ist. Da mit einer Urwahl über den neuen Tory-Vorsitz und damit automatisch über die May-Nachfolge als Premierminister entschieden wurde, stand Johnson lediglich seinen 180.000 Parteimitgliedern zur Wahl – damit lag die Macht in den Händen von lediglich 0,35 Prozent der insgesamt 45.775.800 wahlberechtigten Briten, wie die "Süddeutsche Zeitung" vorrechnete. Ein wenig überzeugendes Mandat für einen Premier, der sein Land aus der EU führen will.   

Die Schwäche seiner Gegner. Johnson dürfte bei möglichen Neuwahlen darauf setzen, dass sein größter politischer Gegner – Labour-Chef Jeremy Corbyn – und seine Partei angeschlagen sind. Zwar sehen aktuell weniger als 30 Prozent der Briten die Ernennung von Johnson zum Premier positiv, wie etwa "Die Presse" berichtete, gleichzeitig haben ihn 41 Prozent lieber im Amt als Corbyn (21 Prozent). Gefährlich werden könnte Johnson wohl nur die Brexit-Partei von Nigel Farage, der (ausgerechnet) bei den EU-Wahlen einen Achtungserfolg gelang. Johnson könnte Farage aber mit seinen eigenen Waffen schlagen: mit Populismus.

Patriotisches Gepolter und vage Wagnisse. Johnson tut aktuell vieles dafür, die Seele der Briten zu streicheln: Er wünsche sich "weniger Negativität" seiner Landsleute, sagte er in seiner ersten Parlamentsrede, er wolle das Königreich zum großartigsten Land der Erde machen. Man könne "die größte und reichste Volkswirtschaft Europas sein" – ungeachtet dessen, dass die Wirtschaft bei einem harten Brexit wohl auf Talfahrt gehen würde. Überhaupt hält er sich nicht lange mit Details auf, die man ihm später vorhalten könnte. Schon im Gespräch mit einem BBC-Moderator ließ er grobe Wissenslücken bei Brexit-Modalitäten erkennen. Auf schwierige Fragen – etwa, wie Grenzkontrollen zwischen dem EU-Land Irland und dem zu Großbritannien gehörenden Nordirland vermieden werden könnten – gibt er mitunter nichtssagende Antworten: Es gebe "reichlich Möglichkeiten", sagte er. Aber mehr hat auch ein Nigel Farage nicht zu bieten. Der Wahlerfolg der Brexit-Partei dürfte ohnehin darauf zurückzuführen sein, dass die Briten das Brexit-Chaos einfach nur noch hinter sich bringen wollen.

Das "Blutbad". Bei den schwierigen Machtverhältnissen im Parlament ist es für Johnson wichtig, ein loyales Kabinett hinter sich zu wissen. Frisch ernannt feuerte der Premierminister elf Kabinettsmitglieder, sechs sind freiwillig gegangen. Selbst Parteifreunde werteten das Köpferollen als "Blutbad". Johnson stellte sich einen regelrechten Brexit-Kampftrupp zusammen und tauschte moderate Konservative aus. Das zahlt einerseits auf seinen Ruf als kompromissloser Brexiteer ein, andererseits kann er mit seinem Team auch jederzeit in Wahlen ziehen. Sie dürften ihm treu ergeben sein, bugsierte Johnson doch die Hardliner auf der Regierungsbank. Und wie wichtig Loyalität ist, zeigt das Schicksal von Ex-Premierministerin May: Durch die zahlreichen Abweichler aus den eigenen Reihen fand May dreimal keine Mehrheit für ihr Brexit-Abkommen. Sie musste den Termin verschieben und schließlich zurücktreten. (Einer dieser Abweichler, übrigens: Johnson, der als Außenminister zurücktrat, da er ihren Brexit-Kurs nicht mittragen konnte.)

Die Konservativen testen schon für den Ernstfall

Bevor Johnson also den (No-Deal-)Brexit angeht, könnte er zunächst versuchen seine eigene Position durch Neuwahlen zu stärken.

Auf Facebook testen die Torys schon für den Ernstfall. Dort schalteten die Konservativen nun Anzeigen, in "relativ kleinem Umfang" und für "wenige tausend Pfund", wie der "Guardian" schrieb.

Auf vielen Anzeigen sei folgender Satz zu lesen: "Ich werde den Brexit am 31. Oktober liefern (...) Wir haben eine neue Möglichkeit bekommen, die Dinge anzupacken. Es ist Zeit das Vereinigte Königreich zurück auf die Fahrbahn einer besseren Zukunft zu bringen." Dabei zu sehen: Boris Johnson.   

Quellen: "The Guardian", "Süddeutsche Zeitung" (Versprechungen / Mandat), "Die Presse", "Spiegel Online"

fs