Vorfall in Brjansk Russischer Neonazi, Kämpfer für die Ukraine, Kampfsportler in Deutschland: Wer ist Denis Nikitin?

Denis Nikitin in Brjansk
Der russische Neonazi Denis Kapustin, genannt Nikitin, soll mit einer Gruppe von Freiwilligen Dörfer nahe der russischen Stadt Brjansk angegriffen haben
© Screenshot Twitter
Es waren erstaunliche Bilder, die am Donnerstag in sozialen Netzwerken auftauchten. Nahe der russischen Stadt Brjansk sollen Soldaten mehrere Dörfer angegriffen haben. Ihr Anführer ist ein bekannter Neonazi und hat bis 2018 in Deutschland gelebt.

"Freunde, es ist passiert: Das russische Freiwilligenkorps hat die Grenze der Russischen Föderation überschritten", so beginnt ein wenige Sekunden langes Video, das am Donnerstag auf verschiedenen sozialen Plattformen auftauchte. Darin zu sehen sind zwei Männer in Kampfanzügen mit gelben Armbinden und der Flagge ihrer Kampftruppe. Der Clip soll nahe der Stadt Brjansk entstanden sein – auf russischem Boden. 

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Es wäre der erste Angriff von pro-ukrainischen Truppen in Russland. Doch das Video wirft viele Fragen auf. Während der Kreml schnell reagierte und den Vorfall einen "ukrainischen Sabotageakt" nannte und von "Terror" sprach, behauptete die ukrainische Regierung, es handele sich um eine "false flag"-Mission, also eine Inszenierung unter falscher Flagge. 

Vorfall in Brjansk: Anführer der Truppe ist offenbar der in Deutschland bekannte Neonazi Denis Nikitin

Die genaueren Hintergründe des Vorfalls sind noch nicht klar. Klar ist aber die Identität jenes Mannes, der im Video selbstbewusst in die Kamera spricht: Hier handelt es sich um den russischen Neonazi Denis Kapustin, genannt Denis Nikitin. Kapustin lebte bis 2018 in Deutschland und gehörte in den vergangenen Jahren zu den einflussreichsten und am besten vernetzten Neonazis in der Bundesrepublik. 

Seine Biografie ist voller Widersprüche. So kam er 2001 mit seiner Familie nach Deutschland – als jüdischer Kontingentflüchtling. Kapustin wuchs in Köln-Chorweiler in einer multikulturellen Nachbarschaft auf, wie der "Spiegel" 2019 berichtete. Früh knüpfte er Kontakt in die Hooligan-Szene des 1. FC Köln. Ab diesem Punkt werden zwei Punkte in seinem Leben zentral: Der Kampfsport und rechtsextreme Ideologien. 

Doch Kapustin ist nicht nur Straßenkämpfer und Neonazi, er ist auch Geschäftsmann. 2008 gründet er das Modelabel "White Rex", das schnell auf große Begeisterung in der Hooligan-Szene stößt. In ganz Europa wird die Marke zum Erkennungszeichen von Hooligans mit rechtsextremen Hintergrund. Und Kapustin expandiert: Er beginnt Kampfsportevents auszurichten. Erst in Russland, ab 2013 in ganz Europa. Zunächst waren es Box-Turniere, in den 2010er Jahren konzentrierte sich die rechte Szene aber vor allem auf sogenanntes MMA (Mixed Martial Arts). Eine Kampfsportart, die Elemente aus praktisch allen Bereichen beinhaltet und insbesondere für Hooligans attraktiv ist, um den Straßenkampf zu trainieren. In Deutschland war Kapustin an der Reihe "Kampf der Nibelungen" involviert, sie gilt als größte Serie von neonazistischen Kampfsportveranstaltungen in der Bundesrepublik und in ganz Europa. Zudem organisierte er Rechtsrock-Konzerte.

Wie der "Spiegel" berichtet, lebt Kapustin offenbar seit 2018 in der Ukraine. Ein Jahr später wies die Bundesrepublik den gebürtigen Russen offiziell aus – er dürfe für zehn Jahre den Schengenraum nicht betreten. 

Russischer Neonazi, Kämpfer für die Ukraine, Kampfsportler in Deutschland – wofür steht Denis Kapustin?

Kapustins politische Einstellung ist eindeutig. Laut der Bundeszentrale für politische Bildung erklärte sein Label "White Rex", Ziel sei die "Verankerung des Sportes im gesunden Teil unserer europäischen Jugend". Was das für Kapustin bedeutet, lässt sich schon am Design der Artikel erahnen: So bietet er T-Shirts mit "88"-Aufschrift an. Die Zahl ist in der rechtsextremen Szene ein bekannter Code für die Grußformel "Heil Hitler". 

Kapustin war während seiner Zeit in Deutschland fest in der rechtsradikalen Szene verankert. Er pflegte laut "Spiegel" Kontakt zu Thorsten Heise und Thommy Frenck, zwei führenden Neonazis aus Ostdeutschland. 2017 hielt er eine Rede auf dem von Frenck ausgerichteten Rechtsrock-Festival "Rock gegen Überfremdung" im thüringischen Themar. 

Ein ambivalentes Verhältnis zu Russland und der Ukraine

So eindeutig seine politische Einstellung ist, so ambivalent ist offenbar sein Verhältnis zu Russland und der Ukraine, was wiederum Fragen bezüglich des Vorfalls in Brjansk aufwirft. Auf der einen Seite pflegte er gute Kontakte in die rechtsextreme russische Hooligan-Szene, auf der anderen Seite lebte seit Jahren in der verfeindeten Ukraine. 

Im Sommer 2022 soll er das "Russische Freiwlligenkorps" gegründet haben. Eine Kampftruppe bestehend aus russischen Staatsbürgern, die auf der Seite der Ukraine kämpfen. Ob die Gruppe bisher tatsächlich in Kampfhandlungen involviert war, ist laut "Spiegel" unklar. Das Korps wird weder von der ukrainischen Armee, noch von der Nationalgarde anerkannt. 

Laut dem kanadischen Journalisten Michael Colborne, der seit Jahren zu Kapustin recherchiert und wohl erst vor kurzem Kontakt zu ihm hatte, ist das ambivalente Verhältnis zu Russland kein Widerspruch. Kapustin lehne tatsächlich den russischen Staat und insbesondere Wladimir Putin ab. Er sei mehr ein "weißer Nationalist als ein russischer Nationalist", so Colborne. So unterstützte Kapustin sogar die Demonstrationen auf dem Maidan, wie das ZDF berichtet. Allerdings nicht aus Sympathie gegenüber eines freiheitlich, demokratischen Bestrebens, sondern weil er darin ein Vorbild einer Revolution für Russland gesehen habe.  

Für Kapustin und sein rassistisches Denken ist selbst der aktuelle russische Unrechtsstaat zu liberal und weltoffen. Er beschwerte sich in einem Interview: "In meiner Heimat versuchen sie alles zu vermischen und es eine politische Nation von Russen zu nennen." 

Vorfall in Brjansk wirft weiter Fragen auf

Ob Kapustin also tatsächlich auf eigene Faust gehandelt hat und mit seinen inoffizielle Einheiten auf russisches Territorium vorgedrungen ist, oder ob es sich um eine Inszenierung des Kremls handelt, bleibt abzuwarten. Kapustins Ideologie und der Hass auf Russland, das sein "zweite Heimat" die Ukraine zerstören will, würde einen Einsatz gegen den Aggressor glaubhaft machen. Allerdings wurden schon früh skeptische Stimmen laut, die darauf hinwiesen, dass die Uniformen, die die Soldaten trugen sauber und neu aussahen. Zudem ist ungeklärt, warum der Kreml es bislang nicht geschafft hat, die Truppe dingfest zu machen, obwohl die Sicherheitsvorkehrungen in Grenznähe massiv ausgebaut wurden. Zudem äußerte ein hochrangiger Nachrichtendienst-Mitarbeiter bereits 2019 gegenüber dem "Spiegel" den Verdacht, Kapustin stehe den staatlichen Stellen in Russland vielleicht näher, als man belegen könne.