China Gierige Konkubinen und Pannen beim Transrapid

Deutschland ist nicht mehr finanzierbar, weil China immer mächtiger wird - das ist die provozierende These eines Buches von Frank Sieren. Matthias Schepp sprach mit dem Autor über den "China Code" und wie schwer es ist, ihn zu knacken.

Herr Sieren, wenn es um die China-Investitionen deutscher Großkonzerne wie Volkswagen oder Thyssen geht, sprechen Sie von einer Konkubinenwirtschaft. Was meinen Sie damit?
Die Chinesen zwingen konkurrierende ausländische Konzerne, Gemeinschaftsunternehmen mit einem chinesischen Mutterkonzern zu bilden. Sie müssen dann um die Gunst diese Konzerns buhlen wie die Konkubinen um die Gunst des Kaisers. In Auto-, Stahl- oder Chemieindustrie ist dies gang und gäbe.

Was sind die Folgen für die Konzerne?


Die Chinesen können in diesem Spiel nur gewinnen. Die Ausländer, meist westliche oder japanische Großunternehmen, bleiben im chinesischen Markt nur zweiter Sieger. Da hatten es die Konkubinen noch besser. Sie konnten immerhin Kaiserinmutter werden, wenn es Ihnen gelang, dem Kaiser ein Kind zu gebären.

Sie schreiben, dass die meisten internationalen Unternehmen in China "weit davon entfernt sind, eine schwarze Null zu schreiben". Warum investieren BASF, Daimler-Chrysler und andere dennoch Milliarden?
Auch große Konzerne können in die Lage kommen, sich zwischen zwei schlechten Möglichkeiten entscheiden zu müssen. Nach Abwägung der Chancen und Risiken finden Sie, dass es günstiger ist, es zu versuchen, als von vornherein darauf zu verzichten. Ich teile diese Einschätzung in der Regel. Außerdem halte ich es für normal, dass es in einem neuen, hart umkämpften Markt eine längere Investitionsphase gibt.

Ihr Buch heißt "China Code". Wie ist der für Unternehmer zu knacken?


Man darf sich keine Illusionen machen. Man ist in China nur ein kleiner Fisch, selbst wenn man Siemens oder Volkswagen heißt. Wichtig ist, dass man nicht glaubt, man könne dort die Spielregeln bestimmen. Vielmehr muss man lernen, nach den Spielregeln der Chinesen zu spielen. Das ist für viele deutsche Topmanager eine gewaltige Umstellung.

Nach den Spielregeln der Chinesen zu spielen, bedeutet doch oft, sich von ihnen über den Tisch ziehen zu lassen. Die spielen ihr Blatt genial, oder?


Erst einmal profitieren sie von günstigen weltwirtschaftlichen Umständen. Die Konzerne brauchen neue Absatzmärkte und Produktionsstätten, um im immer härteren Wettbewerb zu bestehen. China bietet in der Mischung aus Preis, Qualität und Marktgröße einstweilen die günstigsten Bedingungen. Es hat also weniger mit Genialität, sondern mit Glück zu tun.

Würden Sie sagen, dass die Chinesen diese glücklichen Umständen sehr schlau ausnutzen?
Ja. Sie verfolgen ein Modell, das besser ist als das der Japaner in den Siebzigern und Achtzigern. Japan hat sich gegenüber dem Westen abgeschottet und dessen Produkte auf eigene Faust nachgebaut. Die Chinesen hingegen nutzen die Energie ihrer Konkurrenten für ihre eigenen Zwecke. Ihre Wirtschaftsplaner erfanden die "Konkubinenwirtschaft" als System.

Können die Konzerne irgendetwas gegen den Technologietransfer und manchmal auch Technikklau tun?


Das ist sehr schwierig. Keine internationale Institution, keine Nation, auch die Weltmacht USA nicht, ist mächtig genug, die Chinesen zu zwingen, uns nicht zu beklauen. Die einzelnen Unternehmen müssen sich selbst etwas einfallen lassen. Manche Hersteller haben Erfolg, indem sie Provinzregierungen damit drohen, den Standort zu wechseln. Am besten ist, seine Produkte so schnell weiter zu entwickeln, dass die Kopierer nicht hinterher kommen. Allerdings wird das immer schwieriger, weil die Chinesen selbst immer bessere Forscher haben.

Immerhin stammt die Transrapid-Technik aus Deutschland und nicht aus China. Wo steht der Koloss heute denn technologisch?
Ganz so ausgereift, wie die Transrapid-Entwickler gegenüber den Chinesen behauptet haben, war der Schwebezug ja nicht. Es gab Pannen am laufenden Band. Der Grundfehler der deutschen Verkäufer bestand darin, zu glauben, die Chinesen merken das nicht. Als die Chinesen doch dahinter kamen, dass das System nicht rund läuft, waren sie natürlich doppelt enttäuscht. Und deshalb sind sie jetzt doppelt skeptisch. Das war bei einem so wichtigen Kunden ziemlich kurzsichtig.

Um den Untertitel Ihres Buches aufzugreifen: Wie verändert China Deutschland?


500 Jahre lang konnten wir aus dem Westen, wo immer wir in der Welt hingefahren sind, die Spielregeln bestimmen. 100 Jahre waren unsere deutschen Produkte Weltspitze. Beides ändert sich nun. Weil die Chinesen zu günstigeren Preise in gleicher Qualität produzieren und weil sie einen großen Markt haben, verlagern viele Unternehmen ihre Produktion nach China.

Und in Deutschland gehen deshalb Arbeitsplätze verloren ...


Richtig. Weil die Chinesen selbst 200 Millionen Arbeitslose haben, können sie auf unsere fünf Millionen keine Rücksicht nehmen.

Wie beeinflusst China darüber hinaus unser Leben?
Die Chinesen bestimmen die Preise der Bodenschätze, weil sie so viele brauchen. Sie entscheiden, ob der Euro steigt oder fällt, je nachdem, wie sie ihre gut 700 Milliarden Dollar Devisenreserven anlegen. Sie zwingen uns, unsere Kinder besser auszubilden, damit sie der Konkurrenz von chinesischen Forschern standhalten können. Dafür braucht der Staat Geld, das ihm jedoch fehlt, weil die Steuereinnahmen zurückgehen. Überspitzt formuliert: Weil China als Wettbewerber immer mächtiger wird, ist Deutschland schon heute nicht mehr finanzierbar.

Übertreiben Sie da nicht?


Nein, nein. Mehr noch: Wir stehen am Beginn einer epochalen Wende. Wir sind immer weniger in der Lage, die Spielregeln der Welt zu bestimmen, sondern müssen lernen, nach Spielregeln zu spielen, die am anderen Ende der Welt aufgestellt werden. Eine Generation wird nicht genügen, um uns völlig auf die neue Lage einzustellen. Bis dahin sehen wir harten Zeiten entgegen.

Was können die Deutschen von Chinesen lernen?
Dass man sich nicht frei entscheiden kann, ob man die Globalisierung will oder nicht, sondern dass man sich darauf einstellen muss wie auf eine Schlechtwetterfront. Die Chinesen haben das früher erkannt als wir und aus der Not ein Geschäftsmodell entwickelt, das ihnen den größtmöglichen Vorteil aus der Globalisierung bringt: Sie verkaufen Marktanteile und bekommen dafür internationales Know-how.

Was sollen Politiker und Menschen in Deutschland tun?


Deutschland muss seine Stärken und Schwächen neu vermessen. Das fällt uns schwer, weil wir das lange nicht nötig hatten. Deswegen wird das Thema Wirtschaft noch heute in der Schule vernachlässigt. Selbst die einfachsten ökonomischen Zusammenhänge sind den meisten nicht geläufig. Das müssen wir ändern.

Man kann gegen Ihr Buch einwenden, dass Deutschland und China zu vergleichen ungefähr so viel Sinn macht wie ein Vergleich von Äpfeln und Kastanien. Die beiden Länder haben einen unterschiedlichen Entwicklungsstand.
China ist weniger entwickelt und trotzdem ein mächtiger Konkurrent. Wenn es darum geht, ob ein Auto in der Poloklasse für 10.000 Euro aus Deutschland angeboten wird oder für 5000 Euro aus China, vergleiche ich als Kunde nicht Äpfel mit Birnen. Der Denkfehler liegt darin, dass viele Deutschen davon ausgehen, dass ihnen eine Diktatur mit 1,3 Milliarden Menschen und einem Pro-Kopf-Einkommen von nur 1000 US-Dollar im Jahr nicht gefährlich werden kann. Unser Vorsprung schmilzt aber schneller als wir denken.

Welche Erwartung haben Sie an die China-Politik der neuen Bundesregierung?


Dass sie den epochalen Wandel erkennt, die Verlagerung des weltwirtschaftlichen Schwergewichtes nach Asien akzeptiert und ebenso zügig wie unverzüglich entsprechende Reformen einleitet und den Menschen dabei keine falschen Hoffnungen macht. Ich fürchte jedoch, dass wird in einer großen Koalition ein frommer Wunsch bleiben.

Interview: Matthias Schepp