Die Pläne Taiwans, einen eigenständigen Sitz in der UN-Vollversammlung anzustreben, heizen den schwelenden Konflikt zwischen dem Inselstaat und China erneut an. Anlässlich des nur alle fünf Jahre stattfindenden Parteikongresses in China warnte die chinesische Regierung Taiwan vor weiteren Schritten in Richtung Unabhängigkeit. Man sei tief besorgt, dass die Bestrebungen Taiwans zu einem offenen Konflikt führen könnten. Zum Auftakt des Parteikongresses in Peking sagte Staats- und Parteichef Hu Jintao am Montag, dass die Unabhängigkeitskräfte "gegenwärtig ihre separatistischen Aktivitäten verstärken" und die Beziehungen "ernsthaft in Gefahr bringen".
Anlässlich der Präsidentschaftswahlen im März, fünf Monate vor der Eröffnung der Olympischen Spiele in Peking, will Taiwans Präsident Chen Shui-bian über das Streben nach einem eigenen UNO-Sitz abstimmen lassen. Das Votum, demzufolge Taiwan nicht mehr wie bisher vorgesehen eine Mitgliedschaft bei den Vereinten Nationen als "Republik China" sondern als "Taiwan" anstreben könnte, ist in den Augen der chinesischen Regierung eine Provokation. Die Bewerbung um eine Aufnahme in die UNO und die Kampagne zur Abspaltung Taiwans gehen an die Grenze", sagte Liu Guoshen, der Leiter des Taiwan-Instituts der Universität Xiamen. "Es ist jetzt eine viel gefährlichere Zeit." Einige Scharfmacher in China sehen mit dem Votum bereits den Punkt für ein militärisches Eingreifen erreicht.
Taiwan ahnt die Gunst der Stunde
Der angeblich schwer berechenbare Präsident Chen Shui-bian scheint den Zeitraum vor und während der Olympischen Spiele als Gunst der Stunde zu begreifen, um Taiwans Forderungen nach Unabhängigkeit einen entscheidenden Schritt voran bringen zu können. Offenbar spekuliert man in Taiwans Hauptstadt darauf, dass die chinesische Regierung im Falle eines Konflikts ihr groß angelegtes Imageprojekt Olympia 2008 nicht riskieren würde. Immerhin würde ein bewaffnetes Eingreifen, mit dem China für den Fall einer einseitigen Lossagung immer wieder gedroht hat, den Boykott vieler Olympiateilnehmer provozieren. Nicht zuletzt den der USA, die das kleine Taiwan schon seit Jahrzehnten unterstützen.
Tatsächlich bringen die taiwanesischen Absichten Peking schon heute in die Bredouille. Einerseits droht die Regierung, dass sich China militärisch und organisatorisch auf "unerwartete Zwischenfälle" vorbereite, um die bisherige Drohhaltung zu untermauern. Andererseits will China mit den Olympischen Spielen unbedingt einen Erfolg für sich verbuchen. Der finanzielle und organisatorische Aufwand, mit dem China seine erste Olympiade vorbereitet, ist bereits jetzt schon ein Medienereignis. Die überwiegend positive Berichterstattung und den vorolympischen Frieden will man in China nicht unterbrochen sehen.
IOC bleibt neutral - an der Seite Pekings
Die dunklen Wolken, die sich hier zusammenziehen, müssten beim Internationalen Olympischen Komitee (IOC) eigentlich Sorge auslösen. Doch hält sich das IOC nicht nur aus dem Streit heraus, sondern stellt sich sogar erkennbar hinter China. "Wir respektieren die Position Chinas gegenüber Taiwan", sagte der Chef der IOC-Koordinierungskommission für die Spiele, Kevan Gosper, in Peking. "Was politisch in Taiwan passiert, ist wirklich nicht eine Angelegenheit des IOCs, dessen Aufgabe es ist, die Olympischen Spiele mit dem Gastgeber auf die Beine zu stellen."
Wie kompliziert und spannungsgeladen das Verhältnis ist, zeigte der Streit um den olympischen Fackellauf, der jetzt nicht über die Insel führen wird. Taiwan wollte am Wegesrand seine Nationalflagge zeigen und Hymne spielen. Doch Peking verwies darauf, dass die Insel nur als "Chinesisch Taipeh" der Olympischen Bewegung angehört und auch bei Wettkämpfen seine Flagge nicht hissen darf. Da der Fackellauf aber kein Sportwettkampf ist und über Taiwans ureigenes Territorium führt, pochte die Regierung in Taipeh auf ihr Recht, zumindest daheim ihre staatliche Souveränität ausüben zu können.
Doch widersprach IOC-Mitglied Gosper: Der Fackellauf sei ein "integraler Bestandteil der Ausrichtung Olympischer Spiele". Die Verantwortung dafür liege allein beim Austragungsland der Spiele und nicht beim IOC. "Es ist schade. Taiwan hat bereits einen priviligierten Status. Sie hätten das berücksichtigen müssen." Taiwans Führer hätten ein "kurzes Gedächtnis" über die Ausnahme, die die erst den Verbleib im Olympischen Komitee ermöglichte, als Peking als legitime Vertretung Chinas aufgenommen wurde. Aus sportlichen Gründen hätte Taiwan einen Kompromiss anstreben müssen, fand Gosper.