Anzeige
Anzeige

Omikron-Welle Corona in den Niederlanden: Testen wie in Deutschland? Völlig aussichtslos

Wartebereich eines Impfzentrums auf dem Amsterdamer Flughafen Schipohl
Wartebereich eines Impfzentrums auf dem Amsterdamer Flughafen Schipohl
© Remko de Waal / ANP / AFP
Läuft mit Omikron die Corona-Pandemie aus? Eine Frage, die auch in den Niederlanden lebhaft diskutiert wird. Der Ruf, alle Maßnahmen auszusetzen, wird lauter. Von der deutschen Teststrategie verspricht man sich nichts.

Nach rund zwei Jahren Pandemie geht es den Niederländern nicht anders als den meisten Europäern: Sie sind Corona-müde. Das häufige Auf-und-Ab der Infektionswellen und der sich daraus ergebenden Maßnahmen haben das 17-Millionen-Volk genauso mürbe gemacht wie die Deutschen. Nicht selten wurden in Den Haag sogar rigorosere Maßnahmen erlassen als in Berlin. Erst vergangenen Freitag lockerte die Regierung einen seit dem 19. Dezember verhängten strengen allgemeinen Lockdown – und dies auch nur auf starken Druck von Unternehmen. Allerdings sollen Gaststätten, Museen, Theater und Kinos vorerst weiter geschlossen bleiben. Auch die Personenzahl bei privaten Treffen bleibt zunächst beschränkt.

Dass das alles wirklich noch sinnvoll ist, daran wachsen nicht nur in der schwer gebeutelten Gastronomie und der Kulturbranche die Zweifel. Da sich die Omikron-Variante scheinbar nahezu ungehindert ausbreitet, die Infektionen aber in großer Zahl eher mild verlaufen, stellen viele Niederländer eher die Frage, ob nicht die Zeit gekommen sei, dem Virus freien Lauf zu lassen. Der Ruf danach, alle Corona-Maßnahmen auszusetzen, wird zwischen Holland, Friesland und Limburg immer lauter.  

Studie: 2G würde nur bei andauerndem Testen helfen

Befeuert wird die Diskussion durch eine neue Studie der Universitäten in Delft und Utrecht. Danach breitet sich die Omikron-Variante auch unter geimpften und genesenen Niederländern so sehr aus, dass die von der Regierung für eine Öffnung favorisierte 2G-Regel am Arbeitsplatz und in der Öffentlichkeit wenig bringen wird. "Das bedeutet, dass wir keine Hilfe von 2G oder 3G bekommen werden", stellt der Utrechter Epidemiologe Marc Bonten in der Zeitung "De Volkskrant" fest.

Bonten ist Mitglied des Outbreak Management Teams (OMT), einem Expertengremium des Reichsinstituts für Volksgesundheit (RIVM), das in etwa vergleichbar mit dem deutschen Robert-Koch-Institut ist. Er verweist darauf, dass die Delfter und Utrechter Studie angesichts Omikron für einen Übergang zu mehr Freiheiten im Alltag nur einen einzigen Ausweg lasse: Testen, testen und nochmal testen, so wie es derzeit in Deutschland weithin üblich sei. Doch von diesem Vorgehen hält Bonten nicht allzu viel. Eine "Testgesellschaft" wie in Deutschland, "das scheint mir ein völlig aussichtsloses Unterfangen". Laut der Delfter Studie würde das in Bezug auf Omikron bedeuten, dass alle Menschen jeden Tag, überall, getestet werden müssten, wenn man dem Virus tatsächlich Einhalt gebieten wolle. Bonten dazu: "Ich glaube nicht, dass es jemals eine Maßnahme gegeben hat, an die sich hundert Prozent der Menschen gehalten haben."

Virologe Dr. Specht über weitere Virusvarianten und Impfpflicht

Impfquote in Niederlanden höher als in Deutschland

Also einfach öffnen und hoffen, dass das Virus endemisch wird? So weit wollen auch die niederländischen Experten nicht gehen. Noch nicht. Die Voraussetzungen für eine Freigabe wären in den Niederlanden aber deutlich besser als in Deutschland. Nach den jüngsten Angaben des RIVM sind mehr als 89 Prozent der Niederländer:innen über 18 Jahren mindestens einmal geimpft – 86 Prozent haben bereits eine zweite Dosis erhalten. Auch mehr als 84 Prozent aller über 12-Jährigen sind laut RIVM zweimal geimpft. Zudem kommt den Angaben zufolge die Boosterkampagne gut voran. Laut den am Dienstag veröffentlichten Zahlen haben sich mehr als 53 Prozent der Erwachsenen schon ihren dritten Piks abgeholt, Tendenz steigend. Hinzu kommen die Menschen, die durch eine Infektion eine gewisse Immunität aufgebaut haben.

"Letztendlich besteht der einzige Ausweg darin, dass wir einen ausreichenden Schutz vor schweren Krankheiten aufgebaut haben, damit die Krankenhäuser nicht länger überlastet werden", stellt Epidemiologe Bonten in der "Volkskrant" fest. Die Gruppe der Niederländer, "die das Virus noch gar nicht gesehen haben", werde immer kleiner. "Damit rücke der Moment näher, alle Maßnahmen fallen zu lassen.

Kommt ein Omikron-Tsunami auf die Kliniken zu?

"Von '2G geht nicht' hin zum Weglassen ist ein sehr großer Schritt", glaubt die Nijmeger Epidemiologin Alma Trostmann aber, dass dieser Moment noch nicht gekommen ist. Ihr Fachkollege Matthijs Berends von der Uniklinik Groningen und Certe pflichtet ihr bei. "Ich würde es im Moment sicherlich nicht wagen, alles komplett loszulassen", so Berends in dem Blatt, "nicht, weil ich unbedingt große Probleme sehe, sondern weil ich keine Ahnung habe, was mich erwartet." Bei aktuell landesweit nur noch 300 Corona-Intensivpatienten, die zudem eine kürzere Verweildauer haben, sind nach Einschätzung der Experten auf den Intensivstationen der niederländischen Krankenhäuser eher keine Probleme mehr zu erwarten.

Doch für die normalen Krankenstationen wäre ein regelrechter Pflege-Tsunami den Experten zufolge wohl kaum zu stemmen – und eine solch schwere Welle sei angesichts der enorm raschen Ausbreitung von Omikron zu befürchten. Die erste richtige Welle von Omikron-Patienten in den Krankenhäusern erwarten die Experten in den kommenden Wochen. Zudem warten sie auf neue Modellierungen des RIVM bezüglich der Dauer des Krankenhausaufenthalts. "Dann hast du wirklich eine gute Vorstellung davon, was uns erwartet", glaubt Trostmann. Und womöglich auch ein Vorstellung davon, ob und wann man das Virus einfach laufen lassen kann. Die Sehnsucht der Niederländer:innen nach diesem Moment dürfte genauso groß sein wie überall in Europa.

Quellen: Studie der Universitäten Delft und Utrecht, "De Volkskrant" (1), "De Volkskrant" (2), Rijksinstituut voor Volksgezondheid en Milieu, Nachrichtenagentur DPA

Mehr zum Thema

Newsticker

VG-Wort Pixel