Es sind die letzten Minuten im Leben des jungen Taimur Abdulwahab al-Abdali. In Stockholm ist es später Nachmittag und bereits dunkel. Familien bummeln durch die geschmückten Einkaufsstraßen der Innenstadt. Mitten unter ihnen geht er, der sportliche Familienvater, der gerade sein Auto samt der darin deponierten Bombe an einer nahen Straßenkreuzung geparkt hat.
Woran denkt der im Irak geborene Schwede im Angesicht der prallen Adventsidylle? An seine kleinen Kinder, die er nie wiedersehen wird? An die ärmlichen Verhältnisse in Pakistan und Jordanien, wo er seine Terrorausbildung erhalten hatte? Die Welt wird es nicht mehr erfahren. Erst erschüttert die Detonation von al-Abdalis Auto die Stockholmer City und verletzt zwei Passanten. Kurz darauf explodiert eine der sechs Rohrbomben, die der Mann am Leib trägt. Taimur Abdulwahab al-Abdali stirbt im Alter von 28 Jahren. Er glaubt, ins Paradies einzuziehen. In Schweden, seiner zweiten Heimat, hinterlässt er nur Schrecken.
Ein gut integrierter Schüler
Am zweiten Tag nach dem Selbstmordanschlag in der schwedischen Hauptstadt wird die Identität des Täters langsam klarer. Sein Name, sein Gesicht und seine Biografie sind inzwischen bekannt. Fragezeichen stehen über dem Hintergrund des Attentäters. War er ein Einzelgänger oder gehörte er zu einem islamistischen Terrornetzwerk, gar zur al Kaida? Die verwendeten Bomben sprechen dafür, dass es Helfer im Hintergund gab, heißt es von den Ermittlern. Eines scheint jedenfalls gewiss: Al-Abdali hat sich seit Jahren auf diesen Tag vorbereitet, ohne dass jemand etwas geahnt hätte. Nicht einmal seine Familie. Auch dem für die Terrorbekämpfung zuständigen schwedischen Sicherheitsdienst Säpo war al-Abdali den Ermittlern zufolge bis zu dem Anschlag "völlig unbekannt".
Al-Abdali kam 1992 im Alter von zehn Jahren mit seinen Eltern und der großen Schwester aus Bagdad nach Schweden, berichtet die Zeitung "Aftonbladet". Aufgewachsen ist er in der Kleinstadt Tranås, die in der paradiesischen Seenlandschaft zwischen Göteborg und Stockholm liegt. Lehrer und Mitschüler erinnern sich an einen intelligenten und vor allem freundlichen Jungen. Sein Schwerpunkt auf dem Gymnasium sind die Naturwissenschaften, er hatte gute Noten. Ein Lehrer berichtet: "Er war besser als der Durchschnitt. Er sprach hervorragend Schwedisch. Ich kann es nicht fassen."
Ein Klassenfoto zeigt den attraktiven Basketballer kurz vor seinem Abitur: Schüchtern lächelt er in die Kamera. Das kurze, schwarze Haar ist mit Wet-Gel gestylt, er trägt ein schwarzes Shirt und keinen Schmuck. Ein ganz normaler Junge eben.
Radikalisierung in Großbritannien?
Zum Studium geht al-Abdali mit 19 Jahren nach Großbritannien, er will Sportwissenschaften an der Universität in Bredfordshire studieren. Drei Jahre später macht er seinen Abschluss, einen Bachelor of Science in Sporttherapie. Die Antwort auf die Frage, wie sich der eigentlich gut integrierte Mann derart radikalisieren konnte, werden die Ermittler vermutlich in dieser Phase finden. Denn die Universität liegt in Luton, die Kleinstadt gilt als islamistische Hochburg in England. Am Bahnhof von Luton haben sich auch die Attentäter am 7. Juli 2005 versammelt, bevor sie nach London fuhren, um dort ihre Bomben zu zünden. In dieser Stadt also hat al-Abdali, fern seiner Freunde und Familie in Schweden, wohl Kontakt zu fundamentalistischen Gruppen aufgenommen. Möglicherweise auch zu Mitgliedern der al Kaida, darauf weisen zumindest Einträge auf islamistischen Websites hin.
Seine damalige Freundin scheint davon nicht viel mitzubekommen. Die Schwedin, die ihre Wurzeln ebenfalls im Nahen Osten hat, lebt mit al-Abdali in Luton. Eine Nachbarin beschreibt die Frau als aufgeschlossen, fröhlich und lebensfroh. 2004 macht al-Abdalie seinen Abschluss. Die beiden heiraten, bekommen drei Kinder. Die junge Familie scheint auf bestem Wege zu einem geordneten Leben zu sein.
Ausbildung in Terrorcamps
Doch al-Abdali plant nicht für die Zukunft. Er plant für das Paradies, wie es ihm die Extremisten ausgemalt haben. Ohne Wissen seiner Familie durchläuft er nach übereinstimmenden Medienberichten Terrorausbildungen in Pakistan und Großbritannien. Was er in Jordanien gemacht hat, wo sich al-Abdali ebenfalls aufgehalten haben soll, ist noch unbekannt. Ein friedliches Leben als Sporttherapeut scheint ihm nicht mehr erstrebenswert. Auf der Suche nach einer Zweitfrau, die dem "Islam dient, mehr als mir", gibt al-Abdali in einer Kontaktanzeige im Internet an, dass er in ein muslimisches Land umziehen möchte.
Seit Wochen waren die schwedischen Sicherheitsbehörden in erhöhter Alarmbereitschaft. Es gab Hinweise, dass ein Anschlag bevorstehen könnte. Die Weihnachtszeit mit ihren Menschenansammlungen in der Innenstadt gilt als besonders attraktiv für Terroristen. Noch ist unklar, ob al-Abdali einen Befehl erhalten hat, seinen Auftrag auszuführen, oder ob er allein entschieden hat, den Menschen seiner zweiten Heimat die besinnliche Stimmung zu rauben.
Entschuldigung bei der Familie
Zehn Minuten vor den verheerenden Explosionen geht eine Bekenner-E-Mail von Taimur Abdulwahab al-Abdali bei der schwedischen Polizei und der Nachrichtenagentur TT ein. Darin verdammt der Autor das schwedische Engagement in Afghanistan und den schwedischen Künstler Lars Vilk, der den muslimischen Propheten Mohammed als Hund zeichnete. Es sind die Standardfloskeln islamistischer Hassprediger. Dannach kommt das Außergewöhnliche: Al-Abdali entschuldigt sich bei seiner Frau und seinen Kinder dafür, dass er sie in der Vergangenheit über seine wahren Aktivitäten belogen hat.
Dann geht in der Innenstadt Stockholms al-Abdalis Auto in Flammen auf. Es explodiert nicht, wie geplant, doch die Stichflamme verletzt zwei Menschen. Auch die Rohrbomben am Körper des 28-Jährigen detonieren nicht wie beabsichtigt. Nur einer der sechs Sprengkörper zündet - und zwar noch bevor der Attentäter sein Ziel, den Hauptbahnhof oder ein nahe gelegenes Kaufhaus, erreicht hat. Es knallt, die Passanten suchen das Weite. Al-Abdali liegt mit weit aufgerissenem Bauch auf der verschneiten Straße Stockholms. Er nimmt niemanden mit in den Tod, sein Plan ist fehlgeschlagen. Taimur Abdulwahab al-Abdali hinterlässt drei kleine Waisen, seine offenbar arglose Frau und ein schockiertes Schweden.