Detroit Leben in der Pleite-Stadt

Von Sebastian Jannasch, New York
Gewaltige Schulden, sinkende Steuereinnahmen und wegbrechende Industrie setzen der früheren Industrie-Metropole seit Jahren zu. Nach der Pleite fürchten die Bürger nun um ihre Renten und Sicherheit.

Was nun vorerst auch offiziell bestätigt ist, wissen die Einwohner schon seit Langem, auch ohne jemals einen Blick in die Haushaltsbücher der Stadtverwaltung geworfen zu haben: Detroit ist pleite. Das Stadtbild zeigt brachliegende Flächen, einstige Industrie ist abgewandert, Verkaufsgebiete sind verwaist und ehemalige Fabriken verfallen. Fast jede zweite Laterne funktioniert nicht mehr, zwei Drittel der Krankenwagen sind nicht einsatzbereit, jährlich wird in etwa 5000 Gebäuden Feuer gelegt. Aus dem einstigen Herz der amerikanischen Auto-Industrie ist ein finanzieller Sorgenfall geworden.

Die Nachricht von der Zahlungsunfähigkeit kam daher nicht überraschend. Am Donnerstag beantragte die Stadt im Bundesstaat Michigan Insolvenz. Der republikanische Governeur Rick Snyder erklärte nüchtern: "Es gibt keine andere tragfähige Lösung. Ohne diese Entscheidung würde sich die Lage der Stadt noch weiter verschlechtern." Zwar erklärte ein Gericht des Bundesstaates Michigan den Insolvenzantrag am Freitag für verfassungswidrig und ordnete dessen Zurückziehung an. Generalstaatsanwalt Bill Schuette teilte aber kurz darauf mit, er wolle umgehend Beschwerde gegen die richterliche Verfügung einlegen und sie dadurch zumindest so lange blockieren, bis über seine Beschwerde entschieden worden sei.

Bevölkerung seit 1950 um fast zwei Drittel geschrumpft

Trotz des Streits um die Insolvenz bleibt eines unstrittig: Die Haushaltslage Detroits ist katastrophal. Die Stadt sitzt auf einem Schuldenberg von 18 Milliarden Dollar, allein in diesem Jahr beläuft sich das Haushaltsdefizit auf 380 Millionen Dollar. Über Jahre konnte Detroit laufende Kosten, Pensionen und die Krankenversorgung von Stadtangestellten nur durch neue Kredite aufbringen. Zudem sinken die Steuereinnahmen, während die Zinszahlungen explodieren und die Industrie abwandert. Die Bevölkerung ist seit 1950 von fast zwei Millionen auf gut ein Drittel geschrumpft.

Der Einsatz eines staatlichen Notfallmanagers sollte den drohenden Bankrott durch Verhandlungen mit Gläubigern, Pensionskassen und Banken noch abwenden. Ohne Erfolg. In der Insolvenz sieht Gouverneur Snyder nun die Chance "für einen Neustart ohne die Bürde der Schulden“.

Doch die Bürger Detroits fürchten, dass sie der Bankrott der Stadt noch härter als die bisherige Notlage treffen wird. Auf die Anleihegläubiger werden erhebliche Verluste zukommen. Die Beschäftigten der Stadt sehen ihre Pensionen in Gefahr, sie haben bereits zu ersten Protesten aufgerufen. Weitere Einschränkungen in städtischen Dienstleistungen stehen ebenso zur Debatte, etwa im Bereich der Sicherheit.

"Der Bankrott macht mir Angst“

Detroit gehört schon seit mehr als 20 Jahren zu den gefährlichsten Städten der USA. Bereits jetzt müssen Bürger durchschnittlich 58 Minuten nach dem Notruf warten, bis die Polizei kommt, selbst bei schweren Straftaten. Landesweit sind es nur elf Minuten. "Der Bankrott macht mir Angst“, sagte die Krankenschwester LaTanya Boyce der New York Times. "Patienten sollten Beschwerden frühzeitig behandeln. Wenn Sie den Notruf wählen, könnte es viel zu lange dauern.“

Für die Stadt hingegen soll der Schritt ein Befreiungsschlag sein. Der Gläubigerschutz verschafft ihr ein wenig Luft. Rückzahlungen werden vorerst auf Eis gelegt, städtisches Eigentum kann verkauft, Verträge können aufgelöst werden. Allerdings wird mit dieser größten Städtepleite in der Geschichte der USA juristisches Neuland betreten. Bisher ist unklar, wie genau die finanzielle Neuaufstellung ablaufen könnte. Gouverneur Snyder versucht, die Bedenken zu zerstreuen: Gehälter und Rechnungen würden weiterbezahlt. Allerdings gilt dieses Versprechen nur für den Übergang. Was passiert, wenn die Stadt an ihre eigene Sanierung geht, weiß noch niemand.

Barack Obama hält sich im Pleitefall von Detroit auffällig zurück. Der amerikanische Präsident beobachte die Lage sehr genau, erklärte eine Sprecherin des Weißen Hauses und versicherte, Obama werde seine "enge Partnerschaft" mit Detroit fortführen. Ihre Probleme aber muss die Stadt freilich erstmals selbst lösen.