In den Aldi am Rand von Detroit geriet ich eher durch Zufall. Ich suchte für ein Interview noch ein Mitbringsel, als ich den unscheinbaren, aschgrauen Discounter an einer Ausfallstraße sah. Ich hoffte, dort deutsche Schokolade zu finden, und wie ich bald herausfand, gab es nicht nur "German Chocolate", sondern auch: "Bavarian Bratwurst", "Cheese Spaetzle", "Fruits of the Forest Strudel", "German Style Sauerkraut".
Eine Menge Deutschland in Detroit.
Der Anblick im Laden war ziemlich beeindruckend: Viele Regale waren leergeräumt. Die Kartons lagen auf dem Boden, die Einkaufswagen waren randvoll, die Schlangen lang. Es fühlte sich an wie im Sommerschlussverkauf.
"So sieht es fast täglich aus", sagte Heather, eine alleinerziehende Mutter, die mit zwei Kindern da war und den Einkaufswagen prall füllte mit Milch, Eiern, Gemüse und ihrem Lieblingsdessert: "Bienenstich Almond Cake". Sie erklärte, dass sie taktisch klug zu bestimmten Tageszeiten komme, um die beste Auswahl zu erwischen. Und fügte hinzu, dass Aldi in Zeiten gestiegener Preise ihre Rettung sei und dass sie in jedem anderen Supermarkt fast das Doppelte bezahle. Dass Aldi deutsch ist, wusste sie nicht. Es wusste keiner, den ich fragte. Ein Kunde namens Frank sagte: "Ach so, klar, wie die deutsche Automarke."

Es stellte sich heraus, dass Aldi ein guter Ort für Gespräche über das Wahlkampfthema Nummer 1, die Inflation, ist. Also ging ich immer wieder hin, in den Vorstädten von Michigan genauso wie in Pennsylvania und im karibisch geprägten Flatbush, in Brooklyn.
Selbst der US-Notenbankchef versteht den Frust
Die Gespräche mit Heather, Frank und Lakeesha in Detroit gaben besseren Einblick in die Sorgen der Durchschnittsamerikaner als jede Statistik: Lebensmittel sind unerklärlich teuer, die enormen Preissteigerungen ärgerlich, Lohnerhöhungen ohne Wirkung. "Es hilft mir nicht, wenn Löhne steigen, aber ein Dutzend Eier gleichzeitig fünf Dollar kosten, Milch drei Dollar und Benzin wieder 50 Cent teurer ist", sagte Lakeesha, eine Verkäuferin (Lieblingsprodukt: "Bavarian Soft Pretzels"). "Im Gegenteil: Es ist psychologisch frustrierender, wenn Lohnerhöhungen von Preiserhöhungen aufgefressen werden, als wenn alles gleichbleibt."
Auch Jerome Powell, Chef der US-Notenbank, musste das gerade einräumen: "Wir sagen den Leuten, dass die Inflation sinkt und sie erwidern: "Verstehe ich nicht. Die Preise der Dinge, die ich kaufe, gehen nicht runter. Und sie haben nicht unrecht. Vor allem ärmere Menschen hat die Inflation von Anfang an schwer getroffen."
Die Laune in Amerika (und im Aldi) ist so schlecht wie seit Jahren nicht, wie zuletzt während der Covid-Pandemie und der Great Recession von 2009. Nicht mal ein Viertel der Amerikaner sehen das Land derzeit auf einem guten Kurs. Und das liegt nicht daran, dass sie Opfer rechter Weltuntergangspropaganda sind, wie von Demokraten oft behauptet. Es liegt, wie man bei Aldi erfahren kann, an den hohen Lebensmittelpreisen, den hohen Mieten, Hypothekenzinsen, Versicherungskosten, Benzinpreisen.
Da können Arbeitslosenrate und Wachstumsrate noch so gut sein. Sollte Joe Biden im November verlieren, liegt es weniger an seinem hohen Alter als an den hohen Preisen (auf die er allerdings nur bedingt Einfluss hat).
"Mag ich die Bavarian Bratwurst? Ja! Wähle ich Biden wieder? Nein!"
Aldi erwies sich als Glücksfall. Als deutscher Reporter in einem deutschen Supermarkt kommt man schneller ins Gespräch. Die Kunden erzählten, dass es ihnen in diesem Wahljahr nicht um die Ukraine, nicht um Gaza, nicht mal um Trumps Strafprozesse geht. Es geht ihnen darum, den Alltag zu bewältigen. Die meisten waren Demokraten aus der unteren Mittelschicht, denen die Biden-Regierung mit diversen Programmen unter die Arme greift. Und doch waren sie so unzufrieden, dass sie sich schwer vorstellen können, Biden wieder zu wählen.
Greg, ein Mechaniker, der gemeinsam mit seiner Frau Maggie in einem Aldi im Norden Philadelphias einkaufte, sagte es so: "Komme ich gern her? Nein! Habe ich eine Wahl? Nein! Bin ich dankbar für Billigfood? Ja! Mag ich die Bavarian Bratwurst? Ja! Wähle ich Biden wieder? Nein! Wähle ich stattdessen Trump? Nein!"
Auf gewisse Weise sehen sie Aldi als Nachbarschaftshilfe. Der Billigmarkt mag nicht so ordentlich sein und so appetitlich aussehen wie die meisten anderen Supermärkte, mit ihren polierten Äpfeln, gewachsten Apfelsinen und 500 Sorten Kartoffelchips. Es gibt bei Aldi kaum Service, wenige Mitarbeiter, spärliche Auskunft. Und doch hilft der Discounter aus Deutschland seinen Kunden dabei, besser über die Runden zu kommen.
Kann Aldi bewirken, dass Biden wiedergewählt wird?
Vor Kurzem hat Aldi mitgeteilt, jedes Jahr hunderte Filialen mehr in den USA eröffnen zu wollen, bis 2028 weitere 800. Es gibt bereits 2400, am meisten in Florida. Der Experte Neil Saunders von Globaldata analysierte, dass Aldi der Konkurrenz schwer zu schaffen macht und sie dazu bewegt, die Preise zu senken. Erste Anzeichen gibt es schon bei WalMart, Kroger, Target, die immer stärker auf billige Eigenmarken setzen – zum Vorteil der Konsumenten.

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Und Joe Biden? Kann ein Unternehmen aus Mülheim an der Ruhr dazu beitragen, dass die Inflation runtergeht und sich Bidens Wahlchancen erhöhen?
Yvonne Gerard, geboren in Haiti, aufgewachsen in Brooklyn, Aldi-Kundin im karibisch geprägten Flatbush, Lieblingsprodukt: "Cheese Spaetzle", sieht nur noch eine Chance für Biden: "Löhne rauf, Preise runter, ein besseres Leben."
Vielleicht kein schlechter Wahlkampfslogan.