Sherpas begleiten Bergsteiger zum Gipfel. Sie nehmen Last von den Schultern, beraten und kennen den Weg "da rauf" ohnehin meist sehr viel besser, als die Bergsteiger, die ihnen nachfolgen. Everett Eissenstat ist ein sogenannter Sherpa. Für die kommenden Tage hat er sich eine besonders schwierige Tour vorgenommen. Sein Berg liegt nicht im Himalaya, sondern in Hamburg. Sein Gipfel ist der G20. Und der, dessen Lasten er trägt und dessen Weg nach oben er bahnen soll, ist der US-Präsident. Eissenstat ist der Chefunterhändler von Donald Trump.
Er ist damit der Mann, der die Positionen jenes Präsidenten verständlich machen soll, den bisher kaum jemand verstehen konnte. Donald Trump gilt als das enfant terrible der Gipfel-Teilnehmer, als potenziell zu allem fähig, aber zu nichts bereit. Mindestens zwei große Themen bei diesem Gipfel - Welthandel und Klimaschutz - sind mit der Wahl von Donald Trump zu Streitpunkten geworden. "G20 Germany Hamburg - eine vernetzte Welt gestalten" - die Botschaft, die der G20-Gipfel aussenden soll, wirkt, vor all dem, was sich in den ersten Monaten von Trumps Präsidentschaft bereits abgespielt hat, seltsam schräg.
Beim Welthandel gilt Trump als der große Unsicherheitsfaktor. Er hat mehrfach mit Schutzzöllen und Abschottungsmaßnahmen im Zuge seiner "Amerika zuerst"-Politik gedroht. Angela Merkels Sicht ist seiner Sicht diametral entgegengesetzt. Und auch in Sachen Klimaschutz schraubte Merkel die Erwartungen an eine gemeinsame Position herunter. Hintergrund ist die Ankündigung des US-Präsidenten aus dem Pariser Klimaabkommen aussteigen zu wollen.

Der Aufstieg von Everett Eissenstat
Für Everett Eissenstat ist der G20-Gipfel eine schwierige Mission - und das obwohl der Mann die besten Voraussetzungen für den Job als Unterhändler mitzubringen scheint. Er gilt als kompetent und erfahren. Er promovierte an der Universität von Oklahoma in Jura - mit Auszeichnung. Zudem holte er sich an der Universität von Texas einen Master in Lateinamerikastudien und studierte Politikwissenschaften und Spanisch an der Oklahoma State University.
Zunächst arbeitete Eissenstat in einer Anwaltskanzlei in Dallas und kümmerte sich dort vorwiegend um Konkurse. Seine Leidenschaft galt allerdings dem Völkerrecht. Also zog er mit seiner Frau nach Washington DC, hörte sich um, sprach mit vielen und den richtigen Menschen und arbeitete - auch ohne Lohn. "Für viele mit einem Jura-Abschluss mag das deprimierend klingen", sagte Eissenstat in einem Interview 2013. "Ich war gut an der Uni. Aber das sind Millionen andere auch."
Am Ende war Eissenstat zur richtigen Zeit am richtigen Ort: Er wurde Mitarbeiter des US-Handelsbeauftragten und war als solcher für den amerikanischen Kontinent zuständig. Später beriet er den Finanzausschuss im US-Senat. "Man muss sich auf Dinge konzentrieren, die dir helfen, jene Person zu sein, die du sein möchtest", sagte Eissenstat 2013. "Dann wirst du auch erfolgreich sein."
Vor einem Monat zum Chefunterhändler erkoren
Für seine Aufgabe beim G20-Gipfel in Hamburg blieb Eissenstat wenig Vorbereitungszeit. Erst vor einem Monat wurde der Jurist als Trumps Chefunterhändler auserkoren. Sein Vorgänger Kenneth Juster war vor vier Wochen recht überraschend aus dem Verkehr gezogen worden, er hatte sich angeblich mit führenden Persönlichkeiten rund um Donald Trump verkracht. Damals, als sich der Wechsel von Eissenstat abzeichnete, hatte der Vorsitzende des Finanzausschusses im Senat nur lobende Worte für den neuen Unterhändler übrig: Der US-amerikanischen Zeitung "Politico" sagte er, Eissenstat sei ein "sehr, sehr guter" Mann.
Seit Juni untersteht Eissenstat also einem neuen Chef. Der ehemalige Goldman-Sachs-Banker Gary Cohn gibt im Nationalen Wirtschaftsrat den Ton an und er war es auch, der Eissenstat ins Team holte, berichtet "Politico". Der Nationale Wirtschaftsrat (NEC) soll den US-Präsidenten in internationaler Wirtschaftspolitik beraten. Unter seinem neuen Chef Cohn habe sich der NEC zu einer "zentralen Kraft" in den Machtkämpfen im Weißen Haus entwickelt. Besonders Cohn und Trump-Handelsberater Peter Navarro seien sich in Handelsfragen nicht selten uneins und hätten sich bereits hitzige Wortgefechte geliefert. Während Navarro die protektionistische "America First"-Linie eisern vertritt, gilt Cohn als deutlich offener. Einem Bericht von "Spiegel Online" zufolge sei auch Eissenstat bislang nicht als "radikal" aufgefallen. Stattdessen gilt er als fachkundig und engagiert, kann aber auch knallhart sein. Schon unter Barack Obama hatte er für die Regierung gearbeitet und war an den TPP-Verhandlungen beteiligt gewesen. Und schon allein das mache ihn in den Augen des protektionistischen Teils der Trump-Regierung fragwürdig, heißt es im "Spiegel"-Bericht.
Bannon, Navarro oder Eissenstat: Auf wen hört Trump?
Tatsächlich ist es weitgehend unklar, wie stark Eissenstat wirklich auf den Präsidenten einwirken kann. Zwar hätten die engen Trump-Berater Steve Bannon und Peter Navarro wenig Einfluss auf den Nationalen Wirtschaftsrat, doch stünden sie dem Präsidenten persönlich sehr nahe, sodass sie ihre Hardliner-Meinungen oft durchsetzen könnten, schreibt "Politico". Und trotzdem: Am Tag vor dem G20-Gipfel in Hamburg ruhen sehr viele Hoffnungen auf Eissenstat, den Juristen aus Oklahoma. Er soll Trumps Positionen nicht nur verständlich, sondern auch verdaulich machen, verhindern, dass es zum großen Bruch in den G20 kommt. Bis Donnerstagabend werden die Chefunterhändler die Abschlusserklärung des Gipfels vorverhandeln. Das letzte Stück zum Gipfel müssen die großen Staats- und Regierungschefs dann ohne ihre Sherpas gehen. Dem Abschlussdokument müssten alle Gipfel-Teilnehmer zustimmen, hatte Regierungssprecher Steffen Seibert vor ein paar Tagen erklärt. Das allein gilt aktuell als schwierig genug.
