Donald Trump wird von den Wahlzetteln gestrichen, in einem Bundesstaat nach dem anderen, dann ist das Problem gelöst? Das mag gut klingen, wäre aber nicht die Lösung des Problems.
Ja, das Oberste Gericht in Colorado hat entschieden, dass Trump nicht an der republikanischen Vorwahl in dem US-Bundesstaat teilnehmen darf. Für die Richter steht fest, dass der Ex-Präsident den Aufstand vom 6. Januar 2021 zu verantworten habe. Auf Grundlage des 14. Verfassungszusatzes kann jemand dann tatsächlich von der Wahl ausgeschlossen werden. Doch das ist nur ein Zwischenschritt. Das Oberste Gericht in Washington, D.C., wird nun wohl über den Fall entscheiden. Dass eine konservative Mehrheit von sechs Richtern, drei davon von Trump berufen, das Urteil aufrechterhalten wird, gilt als unwahrscheinlich.
In der höchstrichterlichen Klärung, auch wenn sie zu Trumps Gunsten ausfiele, steckte aber eine Chance. Denn immer neue Einzelentscheidungen der Bundesstaaten geben Trump nicht nur Nahrung für seine Behauptung, der "Deep state" arbeite gegen ihn und versuche, seine Wiederwahl zu verhindern – eine Kaskade von Entscheidungen auf Nebenkriegsschauplätzen würde auch ablenken, um was es im kommenden Jahr wirklich geht. Um einen Prozess, wie ihn Amerika selten gesehen hat: Ab voraussichtlich Mitte März soll sich Trump in der Hauptstadt vor einem Bundesgericht für den Vorwurf verantworten, er habe die vergangene Präsidentschaftswahl aushebeln wollen.
Amerika braucht diesen Prozess, einen fairen und öffentlichen und großen Prozess. Trump wird dabei seine Version der Geschichte erzählen. Er habe niemanden angestachelt, nur von seinem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch gemacht. Doch darum geht es nicht. Es geht vielmehr um die Frage, ob er andere dafür einspannen wollte, dass das Wahlergebnis nicht anerkannt wird, wodurch er hätte im Amt bleiben können. Ein versuchter Staatsstreich mit Trump an der Spitze?
Ein Untersuchungsausschuss des Repräsentantenhauses hat über viele Monate Beweise gesammelt, die diesen Vorwurf stützen, der unabhängige Sonderermittler Jack Smith ebenfalls. Er wird seine Argumente vor Gericht vortragen, Trump dagegenhalten, wahrscheinlich sogar lügen. Als Angeklagter darf er das. Bei dem Prozess geht es aber um mehr als Trumps Schicksal. Es geht auch um die Frage, ob die Vereinigten Staaten von Amerika ein wehrhafter Rechtsstaat sind und bleiben. Und es geht darum, dass das Land einen Umgang mit Donald Trump findet.
Der Prozess gegen Trump ist auch ein Risiko
All das ist angesichts der Tagespolitik ein Stück weit in den Hintergrund gerückt. Die Inflation trifft insbesondere die Mittelschicht, die Preise für Alltagsgüter sind spürbar in die Höhe gegangen. Die Menschen schauen nicht auf internationale Krisen, die diesen Effekt maßgeblich herbeigeführt haben. Sie blicken auf Joe Biden, der aus ihrer Sicht im Kampf gegen die wirtschaftliche Misere versagt hat. Und viele erinnern sich an die Trump-Jahre, in denen es, zumindest vor der Pandemie, ganz ordentlich lief. Warum also nicht jemanden wiederwählen, der was von Wirtschaft versteht?
Das ist Trumps Versprechen in diesem Wahlkampf – und bislang hat er damit Erfolg. In vielen nationalen Umfragen liegt er vor Joe Biden, auch in den sogenannten Swing States, in denen die Wahl am Ende entschieden wird. Doch bei dieser Wahl darf es eben nicht nur um die Wirtschaft gehen. Die Frage, ob Donald Trump ein Putschist ist, sollte davor geklärt werden.
Das wird schwierig genug. Donald Trump behauptet, er könne gar nicht angeklagt werden, weil die Vorwürfe in eine Zeit fallen, in der er noch von der Immunität des Präsidentenamtes geschützt werde. Auch über diese Frage wird der Supreme Court noch entscheiden müssen. Sollte das Oberste Gericht den Prozess ermöglichen, gibt es selbstverständlich auch die Möglichkeit, dass Trump am Ende freigesprochen wird. Geschieht dies vor der Präsidentschaftswahl im November 2024, könnte ihn das sogar bis in Weiße Haus tragen. Das ist ein Risiko, aber kein Argument gegen die Wahrheitsfindung. Die Bürgerinnen und Bürger sind klug genug, auf Basis all dieser Fakten ihre Wahlentscheidung zu treffen. Nur die Wahl kann am Ende für die USA die so wichtiger kathartische Wirkung haben – nicht Trump von den Zetteln zu streichen.