EU-Gipfel Noch eine Idee aus Polen

Es ist nicht so, als dass sich Polen beim EU-Gipfel um einen Kompromiss drücken würde. Präsident Lech Kaczynski schlägt im Verfassungsstreit vor, bis 2020 das gleiche Stimmengewicht wie Deutschland zu behalten. Doch auch diese Idee stößt nicht auf viel Zustimmung.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat weitere intensive Verhandlungen mit Polen und Großbritannien für eine Einigung auf einen EU-Reformvertrag angekündigt. "Die Probleme sind noch nicht gelöst, aber alle versuchen es", sagte die EU-Ratsvorsitzende bei ihrer Ankunft zum zweiten und wohl entscheidenden Tag des Brüsseler EU-Gipfels. "Wir arbeiten fleißig."

Merkel will zunächst Einzelgespräche mit einer Reihe anderer Regierungschefs führen, bevor alle 27 gegen Mittag wieder in großer Runde zusammenkommen. Es wurde erwartet, dass die Verhandlungen bis spät in die Nacht andauern.

Der neueste Vorschlag aus Polen zur Beilegung des Stimmengewichtungsstreit lautet, den Vertrag von Nizza bis 2020 gelten zu lassen. Diesen Vorschlag habe Staatspräsident Lech Kaczynski Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy gemacht, berichtet der polnische Rundfunk.

Doppelte Mehrheit erst für nach 2020

Das System der doppelten Mehrheit aus Mitgliedstaaten und Bevölkerungszahl, das von Polen abgelehnt wird, könnte erst danach in Kraft treten. Bei den bis dahin fälligen Haushaltsentscheidungen wären zudem einstimmige Entscheidungen notwendig. Nach dem Vertrag von Nizza ist Polen im europäischen Rat überproportional stark vertreten.

Polen will, dass das Stimmengewicht der EU-Staaten an der Quadratwurzel der Bevölkerungszahl berechnet wird. Das würde zu einer Verschiebung des Stimmengewichts zu Gunsten der kleinen und mittleren Mitgliedstaaten führen.

Luxemburgs Premierminister Jean-Claude Juncker weist den Vorschlag für ein längeres Arbeiten mit dem ungeliebten EU-Vertrag von Nizza zurück. Am Rande des Gipfels sagte er: "Das ist möglich, aber das ist eine sehr schlechte Lösung."

Blair, Balkenende und Topolanek empfangen

Merkel wird sich auch mit dem scheidenden britischen Premierminister Tony Blair treffen, dem niederländischen Regierungschef Jan Peter Balkenende und dem tschechischen Ministerpräsidenten Mirek Topolanek. Dies sind die Länder mit den größten Bedenken gegen die Vorschläge für den Reformvertrag, der wesentliche Teile aus der gescheiterten Verfassung retten soll. Sie wollte sich zudem erneut mit EU-Parlamentspräsident Hans-Gert Pöttering beraten.

Österreichs Bundeskanzler Alfred Gusenbauer sagte, Blair werde seinen letzten Gipfel sicherlich nicht mit einem antieuropäischen Signal verlassen wollen. Großbritannien hat vier Bedingungen für eine Zustimmung gestellt. So dürfe die EU-Grundrechtecharta kein britisches Recht ändern und die nationale britische Außenpolitik nicht zu Gunsten einer engeren Zusammenarbeit auf EU-Ebene beschränkt werden.

Skeptischer äußerte sich Gusenbauer im ZDF über Kaczynskis Haltung. "Polen geht von der Illusion aus, dass die Veränderung der Stimmgewichte das Gewicht Polens erheblich verändern würde", sagte er. Das stehe in "völligem Widerspruch zur Geschichte der Europäischen Union". Er warnte davor, die Vereinbarungen über die EU-Institutionen aus der Verfassung in den Verhandlungen anzutasten. "Man kann nicht nur einen Teil der Institutionen ändern und darauf hoffen, dass alles andere unverändert bleibt".

Dass der nicht am Gipfel teilnehmende polnische Regierungschef Jaroslaw Kaczynski die polnischen Kriegstoten als Argument im EU-Streit angeführt hat, habe "Kopfschütteln auf allen Seiten" ausgelöst, sagte Gusenbauer. Es sei sinnlos, die "Gräben der Geschichte wieder aufzureißen". Die EU sei gerade die "Antwort Europas auf die tragischen Ereignisse seiner Geschichte".

Alles machen, damit Polen an Bord kommt

Nichtsdestotrotz verlangt Gusenbauer auch Zugeständnisse an Polen: "Alle sind sich im Klaren darüber, dass man auch irgendetwas machen muss, damit die Polen an Bord kommen können, ohne dass man jetzt wieder am Punkt Null anfängt." Polen dürfe nicht isoliert werden, sagte der österreichische Regierungschef. "Das ist für das europäische Einigungswerk nicht gut."

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