EU-Referendum Lieber Europa als Großbritannien

Die Iren haben sich für einen Platz im erweiterten Europa entschieden und gegen eine Allianz mit dem großen Nachbarn Großbritannien. Ein Kommentar von Cornelia Fuchs

Wer es sich einfach machen will, könnte nach dem erstaunlich deutlichen "Ja" der Iren zum EU-Reformvertrag von Lissabon das Ergebnis allein der Wirtschaftskrise zuschreiben, die das Land gerade beutelt.

Tatsächlich ist wohl kein Euro-Land so gründlich von der Rezession durchgeschüttelt worden. Hunderttausende Arbeitsplätze gingen in dem Land mit gerade einmal 4,5 Millionen Einwohnern verloren, Hauspreise fielen um mehr als die Hälfte, das Bruttosozialprodukt sank bis auf minus 8,5 Prozent. Und nur die Milliardenhilfe aus Brüssel verhinderte, dass Irland in die Staatspleite schlitterte.

Und doch wäre dieser Schluss etwas zu einfach. Natürlich hat die Angst vor der wirtschaftlichen Zukunft vielen Iren verdeutlicht, dass es Vorteile hat, einer großen Gemeinschaft mit 26 anderen Staaten anzugehören. Doch die Iren haben dem Vertrag nicht aus Angst zugestimmt.

Nach mehr als 18 Monaten Wahlkampf um Europa wollten viele zeigen, wohin sie wirklich gehören. Und zu dieser Stimmung hat vor allem das "Nein"-Lager beigetragen. Im vergangenen Jahr stellte diese bunte Truppe aus Abtreibungsgegnern, Pazifisten, Sozialisten, Marxisten und irischen Republikanern die Fragen, die irische Wähler beschäftigten: Was passiert mit unserer Neutralität, wenn sich Europa angleicht? Wie können wir unseren Kommissar behalten? Werden unsere Gesetze zum Verbot der Abtreibung verändert? Wie können wir unsere niedrigen Steuern gegen Maßgaben aus Brüssel verteidigen?

Nach dem ersten "Nein" gab es Zugeständnisse aus Brüssel - heute sichern Zusatzartikel Irland einen eigenen Kommissar zu und Unabhängigkeit in allen weiteren Fragen. Dies passierte übrigens in guter Tradition: Schon den Vertrag von Nizza, auf dem bis heute EU-Parlament und EU-Kommission beruhen, hatten die Iren vor acht Jahren zunächst abgelehnt und in einer erneuten Abstimmung nach einem Jahr angenommen. Politisch ist dies keine schlechte Taktik: Auch damals wurden einzelne Punkte im Sinne Irlands nachgebessert.

Eigentlich hätte die "Nein"-Fraktion also mit ihrer Kampagne einen Sieg feiern können - schließlich wurden die meisten ihrer Sorgen in Brüssel ernst genommen. Doch entschieden sich die Gegner auch bei der zweiten Abstimmung einfach gegen alles zu sein. Damit wurde deutlich: Es ging dem Block der "Nein"-Sager nicht um einzelne Probleme im Vertrag, sondern darum, das gesamte EU-Projekt zum Stillstand zu bringen.

Ausgerechnet die britische, anti-europäische Partei UKIP finanzierte hunderttausende Flugblätter der EU-Gegner, die an irische Haushalte verteilt wurde. Und aus Großbritannien schalteten sich anti-europäische Kolumnisten und konservative Politiker in den irischen Wahlkampf ein, die eine Chance witterten, mit dem "Nein" der Iren auch in Großbritannien noch einmal ein Referendum und damit ein "Nein" zum Lissabon-Vertrag durchsetzen zu können.

Doch kaum etwas bewirkt wohl eine so klare Gegenreaktion in Irland wie das Gefühl, dass ausgerechnet die ehemalige Besatzungsmacht Großbritannien der Insel vorschreiben will, was sie zu tun habe.

Für die Iren stand an diesem Freitag mehr zur Wahl als die Zustimmung zu den Reformen von Lissabon. Die Iren haben auch darüber abgestimmt, ob sie sich in Zukunft mehr dem kontinentalen Europa oder einer Außenseiterkoalition mit ihren britischen Nachbarn zugehörig fühlen wollen. Und diese zweite Möglichkeit hat in Irland noch nie eine Mehrheit gefunden.