Kolumne: Hier spricht der Boomer Helfer in Lebensgefahr – das deutsche Desaster in Afghanistan

Von Frank Schmiechen
Deutsche Soldaten in Afghanistan
Deutsche Soldaten bei einer Patrouille in Nahr i Sufi im März 2012
© Johannes Eisele / AFP
Es war genug Zeit, um Pläne für den Fall von Kabul zu entwickeln. Doch Deutschland bricht schamlos sein Sicherheitsversprechen, meint unser Autor. Menschen, die für die Freiheit und für ein besseres Land gearbeitet haben, schweben in Lebensgefahr.

Das ist vielleicht das größte politische Versagen Deutschlands in der Ära Angela Merkel. Unter den Augen der Welt bahnen sich die Mörderbanden der Taliban seit Wochen ihren Weg durch Afghanistan, besetzen alle großen Städte und nehmen fast widerstandslos die Hauptstadt Kabul ein. Deutsche Staatsangehörige warteten dort bis zuletzt auf Rettung. Während die Amerikaner dabei waren, ihre Landsleute auszufliegen, passierte in Deutschland: nichts.

Armee erweist sich als Fata Morgana

Deutschland engagiert sich seit 20 Jahren in Afghanistan. Wir haben eine Armee aufgebaut und unterstützt, die sich in der Zeit der Bewährung als Fata Morgana erweist. Deutschland hat sich ein Netzwerk an tüchtigen Helfern und Mitarbeitern erschlossen und diesen Menschen versprochen, sich um ihre Sicherheit zu kümmern. Doch unser Versprechen hat sich in der Stunde der größten Not in Luft aufgelöst. Wir haben diese Leute und ihre Familien einfach alleine gelassen.

Wo ist unser Außenminister Heiko Maas? Er hat noch vor Wochen behauptet, dass man für alle Fälle einen Plan habe. Wo ist der Plan? Wo ist unsere Bundeskanzlerin? Angela Merkel hätte dafür sorgen können, dass wir die bürokratischen Hürden für die Rettung von Menschen schnell fallen lassen und endlich anfangen, die versprochene Hilfe zu leisten.

Jorunalist Frank Schmiechen

Frank Schmiechen

Seit mehr als 30 Jahren ist Frank Schmiechen Journalist. Unter anderem war er stellvertretender Chefredakteur der "Welt" und Chefredakteur von "Gründerszene". Heute arbeitet er als Senior Advisor bei der Kommunikationsberatungsagentur WMP Eurocom. Schmiechen liebt Popmusik und Fußball.

Es ging um jede Minute. Die Truppen der Taliban werden ihre Vorstellung eines Gottesstaates in Windeseile umsetzen. Die ersten Auspeitschungen kann man bereits am Sonntagnachmittag auf Twitter miterleben. Es ist niederschmetternd: Frauen, Mitarbeiter von ausländischen Organisationen, alle, die dem Gesetz der Scharia nicht folgen, müssen um ihr Leben bangen. Afghanistan befindet sich freien Fall ins Mittelalter.

Jetzt hilft nur noch Beten

Wer jetzt behauptet, man hätte nicht vorhersehen können, wie schnell diese Entwicklung stattfinden wird, muss sich ein paar Gegenfragen gefallen lassen. Wofür haben wir eigentlich einen Geheimdienst? Gibt es eigentlich jemanden im Auswärtigen Amt, der sich um außenpolitische Lagen kümmert? Warum haben wir nicht vor Wochen angefangen, für diese Situation einen Plan zu entwickeln? Warum dauert alles so lange?

Stattdessen haben wir bürokratische Hürden für die Rettung der deutschen Staatsbürger und ihrer Mitarbeiter aufgebaut. Visa sollten ausgestellt werden. Darauf haben viele Menschen in Afghanistan mit viel Vertrauen in den Deutschen Staat lange gewartet. Dieses Vertrauen ist zerstört. Bevor wir über die politischen Konsequenzen reden, können die politisch Verantwortlichen nach einer Kette von Fehleinschätzungen und Fehlleistungen jetzt nur noch beten, dass möglichst viele Leben gerettet werden.