Mit fast schon übermenschlicher Energie stemmt sich Dominique de Villepin den Anfeindungen in der Verleumdungsaffäre entgegen, die ihn aus dem Amt zu schwemmen droht. Die Affäre werde ihn "zu keinem Zeitpunkt" von der Arbeit abhalten, erklärte der Premierminister am Donnerstag trotzig. "Er ist vom hohen Ross gestürzt, aber er wird notfalls bis zur Ziellinie 2007 kriechen", sagt ein Kabinettsmitglied. Angeblich soll Villepin einen Geheimdienstmann auf seinen internen Parteirivalen Nicolas Sarkozy angesetzt haben.
Top-Agent auf Partei-Rivalen angesetz
In der "Clearstream"-Affäre hatte jemand Innenminister Nicolas Sarkozy Schwarzgeldgeschäfte über das Luxemburger Finanzhaus Clearstream angedichtet. Dann soll Villepin 2004 im Auftrage Chiracs den Geheimdienstgeneral Philippe Rondot, einer Art französischem James Bond, mit Ermittlungen beauftragt haben. Der Premierminister bestritt dies am Donnerstag. Er gab aber erstmals zu, dass bei dem Treffen mit Rondot der Name Sarkozy gefallen sei. Dies sei jedoch nicht im Zusammenhang mit dem Korruptionsverdacht geschehen. Er habe "niemals Ermittlungen gegen Politiker" veranlasst. Man dürfe die Vorgänge von 2004 nicht durch die Brille der "oft stark konstruierten Rivalitäten (zwischen ihm und Sarkozy) von heute" sehen, sagte Villepin.
Umfragen zufolge sind 46 Prozent der Franzosen für Villepins Verbleib in der Regierung und 66 Prozent lehnen Neuwahlen ab. Die komplizierte Affäre erscheint vielen Bürgern undurchsichtig. 43 Prozent schätzen sie zwar als schwerwiegend ein, 37 Prozent haben dazu noch keine Meinung.
Affäre schadet der Regierungspartei
Doch im Regierungslager meinen viele, der politische Ziehsohn von Präsident Jacques Chirac habe am Donnerstag vielleicht seine letzte Pressekonferenz als Regierungschef gegeben. Denn mit jeder neuen Episode der Affäre um fiktive Schwarzgeldkonten schwinden die Chancen der Neogaullisten, mit heiler Haut die Wahlen in einem Jahr zu überstehen. Dabei ist egal, ob Villepin tatsächlich gegen seinen Kabinettskollegen Nicolas Sarkozy intrigiert hat oder selbst Opfer einer Intrige ist. Die Affäre zieht das Ansehen der ganzen Regierung wie ein Stein nach unten.
Die Frage ist: Kann Chirac Villepin überhaupt fallen lassen, ohne selbst den Hut nehmen zu müssen? Und hat er Alternativen? Schon seit mehr als einem Jahrzehnt bestimmt Villepin als "starker Mann hinter dem Präsidenten" wesentlich Frankreichs Politik. Als Generalsekretär schirmte er Chirac im Élyséepalast von 1995 bis 2002 vor Dritten ab. Und er schuf ein "schwarzes Kabinett", das - schon damals - gegen Rivalen Chiracs im Zusammenhang mit konstruierten Schwarzgeldaffären ermittelte. Damals musste Chirac vor dem Verdacht geschützt werden, Geheimkonten in Japan zu unterhalten. Der Journalist Franz-Olivier Giesbert zitiert Villepin mit der Aussage, Chirac könne ihn nicht entlassen, denn er wisse zu viel.
Kaum Alternativen für die Parteiführung
Trotz politischer Niederlagen und gesundheitlicher Probleme hat Chirac eine eigene Kandidatur 2007 noch nicht ganz aufgegeben. Doch nur ein Prozent der Franzosen wünscht dem 73-Jährigen ein drittes Mandat. Deshalb sollte Villepin sein Erbe antreten. Als Ersatz hält Chirac Verteidigungsministerin Michèle Alliot-Marie bereit. Doch auch die droht, in den Strudel der Affäre gezogen zu werden.
In Paris wird daher spekuliert, Chirac könne seinem Erzrivalen Sarkozy das Amt antragen. Es wäre ein machiavellistischer Schachzug: Sarkozy könnte die verantwortungsvolle Aufgabe schwer ablehnen, doch er liefe Gefahr, sich bis zur Wahl zu verschleißen. Das würde aber die Neogaullisten insgesamt in den Abgrund reißen.
Villepin will Affäre aussitzen
Bleibt also doch - vorerst - Villepin und die Hoffnung auf seinen Neustart, nachdem die Fußball-Weltmeisterschaft und die Sommerferien die leidige Affäre aus den Schlagzeilen gedrängt haben. Schließlich gilt Villepin als Stehaufmännchen. Schon vor einem Jahr war es ihm gelungen, die nach dem Debakel des EU-Referendums völlig desolate Regierung binnen weniger Monate wieder auf die Siegesstraße zu führen. Wie sein großes Vorbild Napoleon hatte er damals im Husarenritt ein Dossier nach dem anderen an sich gerissen und sich als erfolgreicher Macher profiliert. Wie Napoleon auf Elba könnte Villepin in der Sommerpause seine Rückkehr vorbereiten.
Doch viele Neogaullisten fürchten, Villepin werde wie Napoleon nur zurückkehren, um einem Waterloo entgegenzuziehen. Auf die Jugendunruhen in den Vorstädten wusste er im vergangenen Herbst nur mit dem Ausnahmezustand zu antworten. Im Streit um das Arbeitsrecht erwies er sich als unfähig zum Kompromiss und trieb Studenten und Gewerkschafter auf die Barrikaden, bis er nachgeben musste und seinen Ruf als Macher verlor. Schon vor einem Monat schien sein Rücktritt unausweichlich.