Trotz der aus seiner Sicht misslungenen Parlamentswahl in Georgien hält sich Präsident Eduard Schewardnadse an der Macht. Der 75-jährige "kaukasische Fuchs", wie er von seinen Gegnern und Gefolgsleuten respektvoll genannt wird, scheint den Machtkampf mit der Opposition - trotz der noch herrschenden Spannungen - vorerst überstanden zu haben. Denn trotz tagelanger Proteste gegen die "Fälschung" der Wahlen vom 2. November ist es der Opposition bis Sonntag weder gelungen, die Annullierung der Abstimmung zu erwirken, noch den Rücktritt des Staatschefs zu erzwingen.
Opposition ist uneinig
"Die Opposition verliert immer mehr Punkte", kommentierte die "Nesawissimaja Gaseta" (Moskau). Sie habe es nicht geschafft, einen gemeinsamen Weg zu finden. "Und die Zeit arbeitet für die Machthaber in Tiflis." Einhellig ist der Kommentar in- und ausländischer Beobachter, dass die georgische Opposition ihre Ziele wegen ihrer Uneinigkeit verpasst hat. Denn während die "Demokraten" von Parlamentspräsidentin Nino Burdschanadse lediglich die Annullierung der umstrittenen Wahlen und eine Neuauflage der Abstimmung gefordert hatten, war die "Nationale Bewegung" von Ex-Justizminister Michail Saakaschwili unerwartet mit der Forderung nach dem Rücktritt von Präsident Schewardnadse vorgeprescht.
"Er (Saakaschwili) konnte nicht genug Menschen mobilisieren, um sein Ziel zu erreichen", meinte Gogi Zuchischwili, Leiter des internationalen Zentrums für Konfliktforschung in Tiflis. Auch er vertritt die Ansicht, dass die Massendemonstrationen und Kundgebungen in Tiflis ihr Ziel verfehlt hatten. "Man kann getrost sagen, dass die Revolution nicht stattgefunden hat." Die Führer der Opposition hätten zwar einen günstigen Moment für den versuchten Umsturz gewählt, aber "sie haben sich schlicht und einfach verrechnet".
Schewardnardse fand ein Schlupfloch
Ganz offensichtlich hat Schewardnadse, der einstige Weggefährte und Freund von Ex-Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher, in einer fast ausweglosen Situation noch ein Schlupfloch gefunden. Er verbündete sich mit seinem Gegner Aslan Abaschidse (65), dem autoritären Herrscher der georgischen Teilrepublik Adscharien. Dieser gab Schewardnadse innenpolitische Rückendeckung und wurde dafür als persönlicher Emissär des georgischen Staatschefs von den Präsidenten Armeniens, Aserbaidschans und Russlands empfangen.
Die politische Leidenschaft der Georgier sah auch in dieser ungewöhnlichen Konstellation Anlass für konspirative Spekulationen. Da Schewardnadses Wahlblock "Für eine neues Georgien" und Abaschidses «Union der demokratischen Wiedergeburt" gemeinsam eine parlamentarische Mehrheit hätten, so lautete die neueste Spekulation in Tiflis, könnte Abaschidse Parlamentsvorsitzender werden. "Dann könnte Schewardnadse zurücktreten", spann die Internetzeitung "gaseta.ru" den Faden weiter. Schließlich sehe die Verfassung für solche Fälle vor, dass die Macht danach automatisch an den zweiten Mann im Staat - den Vorsitzenden des Parlaments - übergeht.