Dem Geheimpapier zufolge plant die ÖVP am 1. Juni Neuwahlen. Bundeskanzler Gusenbauer (SPÖ) brach seinen Urlaub ab, um sich mit Vertretern der ÖVP zu Krisengesprächen zu treffen. Er zeigte sich "schwer enttäuscht": Die ÖVP habe stets betont, keine Neuwahlen zu planen. "Jetzt stellt sich heraus, dass die ÖVP uns und die Öffentlichkeit hintergangen hat." Das Klima in der Großen Koalition ist seit Monaten zerrüttet. Die beiden Großparteien sind in vielen Punkten wie Steuerreform und Verkauf von Staatsbetrieben uneins.
Das Nachrichtenmagazin "Profil" veröffentlichte am Auszüge eines internen ÖVP-Strategiepapiers, das detailliert die Veranstaltungen und Anzeigenpläne für Neuwahlen auflistet. Die Partei dementierte nur halbherzig. Wirtschaftsminister Martin Bartenstein sagte, der Generalsekretär einer jeden Partei habe ein Strategiepapier "für den Fall der Fälle". SPÖ-Finanzstaatssekretär Christoph Matznetter sagte, nun sei auch seine Partei gezwungen, ein "Notfallszenario" zu erstellen.
ÖVP wäre Nutznießer von Neuwahlen
Von Neuwahlen würde wohl in erster Linie die ÖVP profitieren. Laut einer aktuellen Umfrage käme sie auf 35 Prozent und die SPÖ auf 30 Prozent. Bei den Beliebtheitswerten ist Gusenbauer dramatisch abgestürzt. Nur elf Prozent der Befragten würden ihn direkt als Kanzler wählen. Bereits bei Regionalwahlen in Niederösterreich Anfang März hatte die SPÖ eine schwere Niederlage erlitten, während die ÖVP deutlich zulegen konnte.
Belastet ist das Klima in der Koalition vor allem durch die kürzliche Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses, der Missstände in dem ÖVP-geführten Innenministerium prüfen soll. Brisant ist, dass der Ausschuss von Peter Fichtenbauer, dem Justizsprecher der rechtsgerichteten Freiheitlichen Partei (FPÖ) geleitet wird. Er wurde mit den Stimmen der SPÖ eingesetzt. Die ÖVP sieht im Verhalten der SPÖ eine Vorleistung für eine SPÖ-FPÖ-Koalition nach einer etwaigen Neuwahl.
Die Wirtschaft zeigt sich über die Dauerkrise besorgt. "Die Regierung soll jetzt endlich wieder die Arbeit aufnehmen, denn es herrsche schon lange Stillstand", kritisierte Markus Beyrer, Generalsekretär der Industriellenvereinigung.