Was der Reporter der "New York Times" seinen Lesern am Dienstag über Kämpfe in der Stadt Nasirija berichtete, muss in den USA böse Erinnerungen geweckt haben: "Irakische Guerillas sprangen aus Bussen, Lastern und Taxen, um an der Schlacht teilzunehmen." "Ambush Alley", Allee der Hinterhalte nannten die US-Marines die Einfallstraße in die kleine Stadt, deren Einnahme mindestens zehn von ihnen das Leben kostete. Unter anderem, weil sie erst zwischen Zivilisten und feindlichen Soldaten unterscheiden konnten, als es zu spät war.
Symbolische Erfolge sollen Sypathien bringen
Christian Mölling, am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik der Hamburger Uni die Erforschung von hochtechnologischer Kriegsführung und deren Widerständen spezialisiert, sieht darin den ersten handfeste Beleg dafür, dass die irakische Führung ganz ähnliche Ziele mit ähnlichen Methoden verfolgt wie vor drei Jahrzehnten das kleine Nordvietnam: "Sie wollen möglichst viele Opfer auf der anderen Seite produzieren und dann vor allem auch präsentieren." Symbolische Erfolge wie in Nasirija sollten in der eigenen Region Sympathien durch den Effekt "David contra Goliath" bringen und in den USA die Gegnerschaft gegen den Krieg wegen der hohen Opfer stärken.
Damit scheine das irakische Regime trotz seiner maßlosen Brutalität durchaus rationale Kriegsziele zu verfolgen, meint Mölling, der auch deshalb den Einsatz chemischer Kampfstoffe für unwahrscheinlich hält. "Saddams Strategie geht davon aus, die Kriegsdauer so weit wie möglich zu verlängern, so die politischen Kosten für die Amerikaner zu hoch werden zu lassen und sie letztlich zum Rückzug zu zwingen." Diese Elemente gehörten Anfang der siebziger Jahre zu den ausschlaggebenden Hintergründen für die Niederlage der USA in Vietnam.
Zu früh für endgültige Antwort
Es sei noch zu früh für eine endgültige Antwort auf die Frage, ob die irakische Führung in dem offenen Wüstenland ohne Schutz für Guerilla-Kämpfer wie in Vietnam durch extrem schwer zugänglichen Dschungel eine dauerhafte Front für diese Form von Krieg aufbauen kann. "Klar ist aber, dass Saddam Husseins Regime mit dem Häuserkampf auf die geschickteste Strategie setzt, weil das am verlustreichsten für die Amerikaner wird." Für die größte noch unsichere Variante hält Mölling dabei die für den Erfolg von "Stadtguerillas" äußerst wichtige Haltung der Zivilbevölkerung.
Die "New York Times" zitierte zu dieser Frage aus Nasirija den Krankenhaus-Angestellten Mustafa Mohammed Ali mit dem Satz, er sei nun total gegen die US-Invasion, nachdem er mit eigenen Augen gesehen habe, wie die Angreifer Zivilisten bombardiert hätten. Ansonsten habe er nichts für das Regime von Saddam übrig.
Dass es eine militärische Infrastruktur als Grundlage für anhaltende Guerillakämpfe im Irak gegen westliche Besatzer gibt, dürfte nach allen vorliegenden Berichten über die Struktur der Streitkräfte außer Frage stehen. Auf bis zu 60.000 Mann Stärke werden die Einheiten der "Fedajin" ("Die zum Opfertod Bereiten" geschätzt. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" wies in einem Bericht über die Struktur der "Fedajin" am Dienstag auch auf tief verwurzelte Traditionen für die Taktik des Guerilla-Angriffs hin: Der Engländer Lawrence von Arabien haben sie hier heimisch gemacht, als er 1917 mit seinen Kriegern den "klassischen" Überfall der Beduinen zu einer modernen Guerilla-Taktik gegenüber den im Rückzug befindlichen Türken verfeinerte.