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Hamas "Eine amtliche Lunte am Pulverfass"

Künftig wird die Hamas die palästinensischen Gebiete regieren. Im Gespräch mit stern.de zeichnet Wolfgang G. Schwanitz, Mitarbeiter des Deutschen Orient-Institutes, ein düsteres Szenario für den Nahen Osten.

Wie schätzen Sie die Hamas ein? Wird sie die gebetsmühlenartig wiederholte Forderung, der Gewalt abzuschwören und Israel anzuerkennen, überhaupt erfüllen können?

Die Hamas ist eine terroristische Organisation. Sie wird sich nur dann von ihrer Vergangenheit lösen können, wenn sie ihrer totalitären Ideologie entsagt. Damit ist vorerst nicht zu rechnen - ebensowenig wie mit der Anerkennung Israels. Aber Palästina rückt einem Bürgerkrieg näher. Denn die Machtfrage spitzt sich in den kommenden vier Jahren zu - zwischen moderaten Politikern wie Präsident Mahmud Abbas, die einen realistischen Konsens mit Israel suchen, und Radikalen, die das verweigern und auf Attentate gegen Israelis setzen.

Wie ernst meint es die Hamas mit der Islamisierung der Gesellschaft?

Bitterernst. Man braucht nur entsprechende Aussagen ihrer fanatischen Führer zu lesen. Vor allem wird die weibliche Hälfte der Bevölkerung das bald merken: Die palästinensischen Gebiete steuern auf Verhältnisse wie im Iran zu.

Wie kommen die USA aus der intellektuellen Klemme, Wahlen zu fordern, aber unliebsame Ergebnisse nicht akzeptieren zu wollen?

Wahlen und Parteien machen noch keine Demokratie aus. Dazu zählen auch zivilgesellschaftliche Einrichtungen und die Toleranz gegenüber demokratischen Machtveränderungen. Hier steht ein großes Fragezeichen: Hamas-Leute behaupten, sie haben eine göttliche Mission und könnten folglich die Macht nicht wieder auf dem selben Wege abgeben, wie sie diese durch Wahlen errungen haben. Darauf werden Israels Wähler im März entsprechend regieren. Benjamin Netanjahus Chancen steigen. Amerika muss einen sehr geschickten Kurs finden. Dringend gefragt ist dabei auch der europäische Rat.

Wolfgang G. Schwanitz

... ist Mitarbeiter des Deutschen Orient-Institutes in Hamburg. Zur Zeit lehrt und forscht er in den USA. Zuletzt publizierte er "Gold, Bankiers und Diplomaten. Zur Geschichte der Deutschen Orientbank 1906–1946" (Trafo-Verlag 2002) und "Germany and the Middle East 1871-1945" (Vervuert Verlag 2004).

Wie geht es Ihrer Einschätzung nach mit dem Friedensprozess voran?

Es fällt schwer, davon überhaupt zu reden. Der Osloer Regelungsprozess ist tot. Ich sehe eine Periode der Isolation und Stagnation, der Rückfälle und des verstärkten Terrors kommen. Westliche Führerschaft ist heute mehr denn je gefragt.

Welche Möglichkeiten gibt es für die deutsche Außenpolitik, sich überhaupt in den Nahost-Konflikt einzumischen?

Die Regierung hat nur bescheidene Möglichkeiten, auf den Konflikt einzuwirken. Wenn sie ihr Vorgehen eng mit der britischen Regierung koordiniert - also auch mit den Amerikanern - ohne die französischen und russischen Interessen zu vernachlässigen, wäre schon viel erreicht. Kontinentaleuropa erscheint schwach, mehr mit inneren Krisen befasst. Überdies fehlen der Politik die Mittel, um sich in Nahost durchsetzen zu können. Andererseits haben Deutsche zu beiden Seiten gute Verbindungen und eine lange Tradition im Vermitteln. Nichts wäre also auszuschliessen.

Sowohl der ehemalige US-Präsident Bill Clinton, als auch Ex-Außenminister Joschka Fischer genießen einen guten Ruf im Nahen Osten. Wäre es nicht denkbar, diese "Polit-Rentner" zu reaktivieren, um die Konflikte zu moderieren?

Vermittler einzusetzen macht nur Sinn, wenn beide Seiten sie auch wollen. Danach sieht es jetzt nicht aus. Im übrigen gibt es im Moment wenig zu vermitteln. Schauen sie sich nur die Hamas-Charta von 1988 an: Palästina gilt als islamisches Stiftungsland, Israel soll eliminiert werden. Sattsam bekannte Fälschungen wie die "Protokolle der Weisen" von Zion, die ein angebliches jüdisches Weltkomplott belegen, werden in der Charta benutzt.

Welche politischen Instrumente haben bislang im Nahen Osten versagt, welche waren erfolgversprechend?

Die außenpolitische Koordination innerhalb der EG ist nur ansatzweise da: ein Froschkonzert ohne bevollmächtigten Dirigenten. Besser scheint das Vorgehen gegenüber Iran zu sein, wobei die Nagelprobe in der UNO noch bevorsteht.

Macht es Sinn, nun die EU-Gelder für die palästinensischen Gebiete zu kürzen?

Unbedingt. Die EU sollte auch eine Erklärung zum Wahlergebnis abgeben und darin verdeutlichen, dass sie einen terroristischen Verein an der Regierung als unfreundlichen Akt betrachtet und diesen genau beobachten wird. Gelder dürfen nur fließen, wenn die künftige Hamas-Regierung des Terrors entsagt, Israel in den Grenzen von 1967 formell anerkennt und völlige Klarheit darüber herrscht, dass die Mittel für die Menschen in den palästinensischen Gebieten verwendet werden.

Die Fatah, die bislang regiert hat, gilt als korrupt. Wohin sind die Gelder bislang eigentlich geflossen?

Die Gelder dienten dem Machterhalt der Fatah und der Autonomiebehörde. Es hat wohl selten eine solche Verschwendung von Milliarden gegeben wie unter dem Einfluss der Fatah seit den 90er Jahren. Sie hat sich einen Teil ihrer Anhänger zusammengekauft. Die Europäer haben nicht auf einer strikten Durchsichtigkeit der Geldverwendung bestanden. Das Wahlergebnis zeigt ja auch den Zorn der Wählerschaft gegenüber solchen Verhältnissen.

Wie reagiert die arabische Welt auf den Sieg der Hamas - was hat das für eine Bedeutung für Länder wie den Iran und den Irak zum Beispiel?

Der Sieg ist für diejenigen niederschmetternd, die in der Region nach Demokratie streben. Und er ist ein globales Fanal für alle Islamisten. Iran und Syrien werden noch stärker auf den Konflikt im antiisraelischen Sinne einwirken können. Die Befriedung Iraks wird schwerer. Kurzum: Die Wahl ist ein gefährlicher Rückschlag für die gesamte Region. Hamas an der Macht ist eine amtliche Lunte am nahöstlichen Pulverfass.

Interview: Lutz Kinkel

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