Hydroxychloroquin Donald Trump nimmt Malaria-Mittel gegen Covid-19: Warum das mehr als eine Dummheit ist

Tropenmediziner Peter Kremsner erklärt, was wir über das Malaria-Medikament wissen
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Sehen Sie im Video: Trump nimmt Malaria-Medikament zur Corona-Vorbeugung – Forscher erklärt, was das bringt (Das Interview hat vor der groß angelegten Studie zu Hydroxychloroquin stattgefunden).




stern: Was ist Hydroxychloroquin ?
Prof. Dr. Peter Kemsner: Es ist ein schon sehr lange bekanntes und erhältliches Mittel. Es ist ein Medikament, das ursprünglich für die Malaria-Behandlung und Malaria-Prophylaxe eingesetzt wurde und immer noch eingesetzt wird. Seit Jahrzehnten, wie gesagt, schon bekannt und auch Milliardenfach angewendet. Es wird auch für die Behandlung von Autoimmunerkrankungen verwendet. 
Wofür ist Hydroxylchoroquin breits zugelassen?
Das Mittel ist für die Malaria zugelassen, ursprünglich schon vor Jahrzehnten und es wurde auch sehr breit eingesetzt. Heute wird es für die Malaria-Behandlung, wie auch für die Malaria-Prophylaxe kaum mehr eingesetzt, weil die meisten der Stämme der Parasiten, die die Malaria verursachen, resistent sind gegenüber diesem Mittel, und wir können es deswegen für die seltener vorkommenden Plasmodien-Arten, die auch Malaria verursachen, verwenden. Und es ist zugelassen für die Behandlung von Autoimmun- Erkrankungen. 
Welche Nebenwirkungen hat das Medikament?
Das Hydroxychloroquin hat wie jedes Medikament natürlich auch Nebenwirkungen oder unerwünschte Wirkungen, wie wir auch sagen. Die sind gar nicht so unterschiedlich von den meisten anderen Mitteln. Wir kennen es schon sehr, sehr lange. Wir haben es milliardenfach eingesetzt. Deswegen gibt es auch eine sehr lange Liste von Nebenwirkungen, die wir kennen, die auch auf dem Beipackzettel stehen. Und das muss bei jeder Anwendung, bei einem jeden Patienten, egal wofür man es verwendet, vor allem bei zugelassenen Indikationen auch berücksichtigt werden. So auch in den Studien. Die Nebenwirkungen sind gastrointestinale Nebenwirkungen. Das heißt, es kann Übelkeit und Erbrechen auftreten. Wesentlich seltener, aber gefährlicher: Es kann auch zu Herz-Nebenwirkungen kommen.
Was wissen wir über die Wirkung gegen das Coronavirus?
Es gibt Untersuchungen von Hydroxychloroquin, wo im Labor gezeigt wurde, dass es sehr gut gegen dieses Sars-Coronavirus 2 wirkt. Deswegen wurden auch eine ganze Serie von klinischen Studien begonnen, zuerst in China und dann kamen wir dran. Wir waren die ersten in Europa, die eine klinische Studie gestartet haben. Eine randomisierte klinische Studie in der Königsdisziplin: der Placebo-kontrollierten, doppelt-verblindeten, randomisierten, multizentrischen Studie. Es gibt aber sehr viele andere, die das auch jetzt versuchen. Bisher sind aber nur Veröffentlichungen zu unkontrollierten Fallserien bekannt, und deswegen kann man immer noch nicht sagen, ob das Mittel etwas bringt oder ob es nichts bringt. Bei der Behandlung von Covid-19-Patienten.
Welche klinischen Studien gibt es derzeit dazu in Deutschland?
Ja, es gibt eine Serie von randomisierten kontrollierten Studien, die laufen. So auch unsere Studie. Es gibt zwei bundesweite Studien, die eine ist bei stationären Patienten und die andere bei milden Verlaufsformen, also ambulanten Covid-19-Patienten und wir sind noch dabei. Wir rekrutieren derzeit in sieben Zentren, demnächst in zehn Zentren in Deutschland. Für die erste Studie. Die zweite Studie wurde erst Ende April begonnen. Da rekrutieren wir jetzt auch in Tübingen schon sehr eifrig mit Gesundheitsämtern rund herum, und weitere Zentren werden demnächst eingeschlossen, um auch Patienten zu rekrutieren. 
 Wann werden die ersten Ergebnisse erwartet?
Wir sind nicht ganz am Anfang. Wir rekrutieren jetzt schon in der ersten Studie sechs Wochen, in der zweiten Studie zwei bis drei Wochen. Wir hatten gedacht, wir hatten gehofft, dass es wesentlich schneller geht. Aber es gibt mehrere Kriterien, warum das nicht so ist. Das eine ist: Wir sind sehr vorsichtig, wie es immer so ist bei klinischen Studien, wie es bei jedem Patienten sein sollte, ob man auch das Medikament geben kann. Und deswegen fallen schon 95 Prozent mindestens aller Patienten, die in Frage kommen, aus, weil wir sehr vorsichtig sind mit unseren Einschluss- und Ausschlusskriterien. Und jetzt kommt noch verschärfend hinzu - für die Studie - insgesamt ist es sehr gut - dass die Fallzahlen in Deutschland stark zurückgehen.
Das heisst, es gibt derzeit nur wenige Patienten für die Studie?
Ja, es sind wenige. Es tröpfelt jetzt mehr im Moment.


Wie viele Patienten sind in der Studie vorgesehen?
Wir haben in der ersten Studie geplant, 220 Patienten zu rekrutieren, in der zweiten sogar 2700. Wir können aber schon bei etwa 100 Patienten in beiden Studien Analysen machen. Das heißt, wenn der Effekt, den wir zeigen, stark genug ist, dann können wir es schon mit wesentlich weniger Patienten zeigen. Noch sind wir nicht ganz da. 
Welche Signale sendet es an die Bevölkerung, dass Donald Trump für das Medikament wirbt?
Er hatte ja schon vor zwei Monaten davon geschwärmt, was dazu geführt hat, dass sehr viele Menschen eingenommen haben und es auch ziemlich breit angewendet wurde und dann auch in einer Form, die sicher nicht gut war. Das sind auch schlimme Sachen passiert, bis hin zu Todesfällen. Wenn man es aber Patienten gibt, die es gut vertragen können - und das kann man sehr gut als Arzt und erst recht in einer Studie abschätzen, dann ist das ein wunderbar verträgliches Mittel. Wenn ein Präsident Trump sich entschieden hat, das jetzt zu nehmen, dann soll er es nehmen. Das will ich jetzt nicht weiter kommentieren. Wir wissen noch zu wenig darüber. Wir hoffen, dass demnächst gute Studienergebnisse hoffentlich auch von uns kommen, um das wirklich zu beantworten.
Einfach mal ein Malaria-Mittel gegen Covid-19 einwerfen: Donald Trump hält das für völlig unbedenklich. Die Mitteilung des US-Präsidenten nährt erneut Zweifel, dass er in der Lage ist, die Coronakrise zu erfassen.

Der Spott blieb nicht lange aus. "Das erklärt einiges", oder auch hintersinnig: "Ich finde das gut, dass Donald Trump dieses Medikament einnimmt" – so oder ähnlich lauteten Kommentare in sozialen Medien, nachdem der US-Präsident bekannt gemacht hatte, dass er das Malaria-Mittel Hydroxychloroquin einnimmt. Bisher sind keine belastbaren Erkenntnisse bekannt geworden, dass das Medikament überhaupt gegen das neuartige Coronavirus hilft – eher das Gegenteil. Weitere Studien laufen. Doch wie jede andere Arznei hat Hydroxychloroquin Nebenwirkungen. Die können weitreichende Folgen haben. Wer bedenkenlos dem Beispiel des US-Präsidenten folgt, der spielt unter Umständen mit seinem Leben – beispielsweise durch einen Herzinfarkt.

Fatale Reaktionen des Herz-Kreislaufsystems gehören zu den ungewollten Wirkungen, die Beipackzettel von Hydroxychloroquin aufführen. Ebenso wie Verlust der Sehkraft, verschwommenes Sehen, Gehörverlust, Benommenheit oder Delirium – von Beschwerden wie Kopfschmerzen, Magenschmerzen Schwindel, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall und Appetitlosigkeit mal ganz abgesehen. Und das ist noch längst nicht alles. Natürlich treten etliche dieser Nebenwirkungen nur in wenigen Fällen ein, doch das Signal sollte trotzdem klar sein: Hydroxychloroquin ist kein Mittelchen, das man mal eben nach dem Motto "Kann ja nix schaden" einwirft.

Donald Trump: Aussagen zu Arzneien haben Folgen

Doch Trump tat genau das – und ließ dabei kein Bewusstsein erkennen, dass hochkomplexe Wirkstoffe nicht nur nutzen, sondern auch schaden können. Im Fall von Hydroxycloroquin kann dieser Schaden schon bei einer Überdosierung eintreten – inklusive Bewusstlosigkeit, Atem- und Herzstillstand. Davon weiß Trump offenbar nichts, oder will nichts davon wissen: Er habe viel Gutes gehört, ließ er stattdessen Journalisten im Weißen Haus wissen, viele Ärzte und Krankenpfleger würden das Mittel nehmen. "Und wenn es nicht gut ist", so der 73-Jährige mit einem Schulterzucken, "dann sage ich ihnen: Mir hat es nicht geschadet, es gibt das seit 40 Jahren." Später ergänzte er noch leichthin: "Wo immer es gut für ist, ich nehme das." Er habe das Mittel nun schon seit fast zwei Wochen eingenommen, "und ich bin immer noch hier". Sein Leibarzt Sean Conley habe ihm nicht abgeraten, sagte Trump noch. In einem vom Weißen Haus veröffentlichten Schreiben des Mediziners ist allerdings zu lesen, dass der Präsident und er nach zahlreichen Diskussionen zu dem Schluss gekommen seien, dass mögliche Vorteile einer Behandlung mit Hydroxychloroquin die damit verbundenen Risiken überwiegen würden. Das Schreiben wurde Trumps Äußerungen eilig hinterhergeschickt.

Was die sorglosen Ausführungen des US-Präsidenten bedenklich machen: Trumps Aussagen in medizinischen Belangen haben Gewicht. Nach seinem anhaltenden Werben für den Wirkstoff Chloroquin - ebenfalls ein Malaria-Mittel - stieg die Zahl der Verschreibungen in den USA trotz Warnungen von Experten um das 46-fache an, wie eine Analyse der "New York Times" Ende April zeigte. Suchanfragen bei Google nach Kaufmöglichkeiten gingen einer anderen Studie zufolge durch die Decke. Ende März hatte die US-Lebensmittel- und Arzneibhörde FDA auch gewarnt, dass Menschen Hydroxychloroquin mit Chloroquinphosphat verwechselten, das gegen Parasiten bei Aquariumfischen eingesetzt werde. Mindestens eine Person sei daher nach der Einnahme dieses vermeintlichen Covid-Medikaments gestorben, erklärte die FDA. Die Organisation rät auch weiterhin von der Einnahme von Hydroxychloroquin gegen das Coronavirus ab. Trump aber rühmte es schon im März und April als "Geschenk Gottes".

Kann Trump die Coronakrise erfassen?

Die Äußerungen Trumps werfen ein weiteres Schlaglicht auf seine Art der Politikführung. Verantwortlichkeit für sein Handeln spürt der US-Präsident nicht. Dass er die enorme Tragweite der Coronakrise für das Land überhaupt zu erfassen in der Lage ist, hat er bisher nicht erkennen lassen. Mit mehr als 1,5 Millionen Infizierten und über 90.000 Corona-Toten – so die Zahlen der Johns-Hopkins-Universität (Stand: 19. Mai 2020) – haben die USA eine traurige Spitzenposition im Ranking der von der Corona-Pandemie heimgesuchten Staaten. Dass Trump zu spät und nicht ausreichend reagiert hat, zudem auf Experten in seinem Umfeld, allen voran den renommierten Immunologen Anthony Fauci, nicht hören wollte, ist kaum zu bestreiten. Trump macht trotzdem China und die Weltgesundheitsorganisation WHO für die Krise in seinem Land verantwortlich. Und den politischen Gegner oder wer immer ihm in die Quere kommt dazu.

Als selbst Moderator Neil Cavuto von seinem Leib- und Magensender "Fox News" Trump nach dessen Anpreisen von Hydroxychloroquin massiv kritisierte und vor der Einnahme des Mittels warnte, reagierte der US-Präsident – wie üblich – nicht etwa, indem er gute Gründe für die Einnahme anführte. Nein, er reagierte beleidigt und kritisierte vielmehr, dass der erzkonservative TV-Sender ihm nicht mehr bedingungslos folge. "Fox News ist nicht mehr das, was es mal war", twitterte der Präsident. Inzwischen gebe es in dem Sender so viele Trump-Gegner wie nie zuvor. "Ich schaue nach einem neuen Sender". Cavuto hatte seine Zuschauer eindringlich gewarnt, dass das Malaria-Mittel unter bestimmten Umständen tödlich sein kann – selbst, wenn der Präsident die Einnahme empfehle.

Leidet Trump schon unter Nebenwirkungen?

Natürlich kritisierten auch die oppositionellen Demokraten Trumps Äußerungen. Chuck Schumer, demokratischer Minderheitsführer im Senat, nannte dessen Empfehlungen mit Blick auf die Nebenwirkungen des Malaria-Medikaments "rücksichtslos" und "gefährlich". Die Einnahme sei "keine gute Idee", sagte die Vorsitzende des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi. Es sei nicht ratsam, als Präsident auf eine von Wissenschaftlern nicht empfohlene Therapie zu setzen. Die Arznei sei insbesondere für übergewichtige Männer in Trumps Alter nicht geeignet, hatte die 80-Jährige anscheinend sogar die Gesundheit des Präsidenten selbst im Blick.

Spötter im Netz feixten, dass Trump wohl schon unter den Nebenwirkungen von Hydroxychloroquin leide, wenn er das Malaria-Mittel gegen Covid-19 empfehle. Vor allem sei Verwirrtheit zu beobachten. Im fernen Deutschland machten sich die Satiriker der ZDF-"heute-show" lustig: "US-Präsident #Trump nimmt zur #Corona-Vorsorge ein Malaria-Medikament. Mutig, weil keiner weiß, ob es sich mit der Hämorrhoiden-Salbe verträgt, die er gegen Haarausfall inhaliert." Doch in den USA verteidigten auch zahllose Anhänger Trumps "ihren" Präsidenten gegen die Kritik. Nicht ausgeschlossen, dass auch diesmal viele US-Amerikaner sich ein Beispiel an Trump nehmen und das Malaria-Mittel einnehmen. Sollte das im Einzelfall fatale Folgen haben, wird der Präsident bei sich wohl keine Verantwortung dafür erkennen können.