Den Auftakt des Prozesses gegen Saddam Hussein im Oktober 2005 hatte Ahmed Murasil (32) noch als Tag großer Freude gefeiert. Der schiitische Kurde aus Khanakin saß mit Freunden vor dem Fernseher, trotz Ramadan hielt jeder eine Dose Bier in der Hand, ausgelassen trank die Gruppe junger Kurden auf den Anbruch "einer neuen Epoche" - einer, in der den Kurden endlich Gerechtigkeit widerfahren würde. Als ein Jahr später, am 5. November 2006, das Todesurteil gegen Saddam Hussein verkündet wurde, verschickte Murasil Glückwunsch-E-Mails an Freunde in aller Welt. Auch ich bekam eine, "Saddam will be Executed" in der Betreffzeile, gefolgt von einem überschwänglichen "Congratulationssssssssss!"
Doch als Murasil am Samstag früh im irakischen Fernsehen die stummen Bilder des Diktators kurz vor dessen Tod durch den Strang sah, war ihm nicht mehr feierlich zumute. Seine Frau weinte gar. "Er tat mir leid", sagte der Kurde, dessen Heimatstadt Khanakin noch bis April 2003 unter Saddam und der von ihm forcierten "Arabisierung" litt. "Es ist immer traurig, Menschen im Angesicht des Todes zu sehen."
Wut und Mitleid
Außer Mitleid empfand er Wut - darüber, dass Saddam gehenkt wurde, bevor ihm der Prozess wegen seiner Verbrechen gegen die Kurden gemacht wurde. Das Verfahren lief noch und wird nun niemals einen Abschluss finden. Gefühlsmäßig bleiben die Giftgasangriffe, die Massenhinrichtungen und Vertreibungen damit ungesühnt.
Am stärksten aber wog das Gefühl von Gleichgültigkeit, gespeist von der bitteren Erkenntnis, dass Saddams Tod nichts ändern, vor allem aber nichts verbessern wird an der Lage im Irak. "Die Aufständischen brauchen Saddam nicht", prophezeit Murasil, "sie haben genügend Geld. Sein Tod wird allenfalls eine weitere Ausrede für Islamisten und Militante sein, das Land mit Terror zu überziehen."
Endstation Galgen
Nun ist der Tyrann also tot. Endstation Galgen, am Vorabend von Eid al-Adha, dem Opferfest zum Abschluss der Pilgerfahrt nach Mekka. Die Eile, mit der das Todesurteil vollzogen wurde, hat viele überrascht. Doch die Nacht von Freitag auf Samstag war die letzte Gelegenheit in diesem Jahr, denn an offiziellen Feiertagen sind Hinrichtungen im Irak nicht gestattet, und das Opferfest dauert vier Tage. Im Jahr 2007 aber, so ging nach der Hinrichtung in Bagdad das Gerücht, hätte Saddam Hussein, 69, aus Altersgründen nicht mehr exekutiert werden dürfen; ein irakisches Gesetz verbiete die Todesstrafe für Menschen im 70. Lebensjahr.
Über die Autorin
Susanne Fischer lebt seit Herbst 2003 im Irak, zunächst in Bagdad und seit März 2005 im Nordirak, wo sie im Auftrag des Institute for War and Peace Reporting (www.iwpr.net) Journalisten ausbildet. Gerade erschien ihr neues Buch "Meine Frauen-WG im Irak oder Die Villa am Rande des Wahnsinns" (Malik, 17,90 Euro)
Was auch immer der Grund für die schnelle Hinrichtung war - irakische Gesetze, der Wunsch des glücklos agierenden Premierministers Maliki, wenigstens einmal der starke Mann an der Spitze zu sein, nach dem die Rufe im Irak immer lauter werden, oder die Hoffnung, durch Überrumpelung Aufruhr und Rache seitens sunnitischer Anhänger des ehemaligen Präsidenten zu verhindern: Der Tod Saddams wird nichts ändern an den Verhältnissen im Land.
Im Leben - und Sterben - der Iraker spielte der alte Mann in der Zelle im "Camp Cropper" am Bagdader Flughafen längst keine Rolle mehr. Ehemalige Saddam-Kader und die frühere sunnitische Elite bilden nur eine Gruppe unter vielen im unübersichtlichen irakischen Machtgefüge. Und bei weitem nicht die stärkste. Ihnen hat die Regierung Maliki kurz vor der Hinrichtung Saddams ein Signal der Versöhnung gesandt: Ehemalige Offiziere sollen wieder in die Armee eintreten dürfen, das Ent-Baathifizierungsgesetz, das ehemalige Baathisten vom Staatsdienst ausschließt, soll revidiert werden.
Doch dem Widerstand abzuschwören ist nicht so leicht. Viele sunnitische Scheichs und Politiker haben Versöhnungswillen schon mit dem Leben bezahlt, hingerichtet von sunnitischen Extremisten, die jede Form der Kooperation mit der neuen Regierung als Verrat ächten. Das wird sich nach der Hinrichtung nicht ändern.
Der Großteil der für die heutige Gewalt Verantwortlichen aber hat ohnehin nie auf Saddam gehört, nie für ihn oder in seinem Namen gekämpft und getötet - weder schiitische Milizen wie die Badr-Brigaden oder die Mahdi-Armee, noch die sunnitischen Kämpfer der irakischen al-Kaida.
Gleichgültigkeit macht sich breit
Aus dem Alltag der Iraker war Saddam lange vor seinem Tod entrückt. Schon als ich am Tag seiner Festnahme vor gut drei Jahren, am 13. Dezember 2003, Iraker über den zum zotteligen Alten mutierten Ex-Diktator aus dem Erdloch befragte, zuckten viele mit den Schultern. "Saddam? Mechalif", egal, was mit ihm wird, erklärte mir in Bagdad ein alter Mann, während er geduldig sein schrottreifes Auto Meter um Meter in der kilometerlangen Schlange vor einer Tankstelle weiterschob. "Ob er im Gefängnis sitzt oder in einem Erdloch - davon wird mein Tank auch nicht voll."
Natürlich gab es damals auch solche, die Saddam am liebsten sofort hängen oder, noch lieber, dem Volk übergeben wollten, damit ihm die Straße den Lynch-Prozess mache. Andere waren enttäuscht, dass er sich kampflos ergeben hatte. "Hitler hatte wenigstens den Mut sich zu erschießen", war ein häufig zu hörender Satz. Das Triumphgefühl jedenfalls, das in den Worten "We got him!" des damaligen US-Statthalters in Bagdad, Paul Bremer, mitschwang, hallte in den Straßen Bagdads nicht wider.
Viele Iraker verlassen ihr Land
An der Versorgungsmisere hat sich seither wenig geändert. Benzin ist immer noch Mangelware, Strom gibt es in den meisten Vierteln Bagdads ein bis drei Stunden am Tag. Eine Flasche Kochgas, früher für knapp einen Dollar zu haben, kostet heute 25. Alles ist knapp, einzig der Vorrat an Angst scheint auch nach dem Fall des alten Regimes grenzenlos. Rund 3000 Iraker machen sich täglich auf die Reise, ihr Land zu verlassen, flüchten vor Todesschwadronen, Kidnappern und Bomben.
Er sei froh, als Märtyrer für das irakische Volk zu sterben, soll Saddam in einem seiner letzten Briefe geschrieben haben. Ein Opfer ohne Wert für die Iraker. Saddam ist tot, für sie geht das Sterben weiter. Im Durchschnitt hundert Menschen am Tag sind zum Tod durch Gewalt verurteilt, ohne Prozess, ohne Anwalt, ohne Schlagzeilen, beweint von ihren Familien, namenlos für den Rest der Welt.
Vergangenen Dienstag etwa, an dem Tag, an dem das Berufungsgericht das Todesurteil gegen Saddam bestätigte, starb mein Freund und Schüler Yassin al-Duleimi aus Ramadi. Der junge Journalist war auf dem Weg zu seinen Schwiegereltern im Bagdader Schiitenviertel Kadhimiya, als Metallsplitter einer gegen die Multinational Forces gerichteten Straßenbombe seinen Schädel durchschlugen. Yassin konnte seiner Frau und seiner einjährigen Tochter keinen Abschiedsbrief schreiben, konnte sich nicht von seinen Brüdern verabschieden wie es Saddam vor seinem Tod gewährt wurde.
In Kadhimiya stand auch der Galgen für Saddam. Yassins Witwe wird der Tod des Diktators keinen Trost bringen.