Digitalkameras sind billig und passen in fast jede Uniformtasche. US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld hat gerade einsehen müssen, dass die kleinen Apparate das Bild verändern können, das sich die Welt vom Krieg macht. "Wir arbeiten mit Beschränkungen aus Friedenszeiten und juristischen Vorschriften in einer Kriegssituation im Informationszeitalter. Wo Leute mit Digitalkameras herumlaufen und diese unglaublichen Fotos machen und diese dann zu unserer Überraschung und entgegen den Gesetzen an die Medien weiterleiten", sagte Rumsfeld vor dem US-Kongress.
Massive Vorwürfe gegen Rumsfeld
Dem Pentagonchef ist es zuwider, das Heft aus der Hand zu geben. Tagelang musste er sich im Kongress wegen des Folterskandals gegen massive Vorwürfe verteidigen. Am Donnerstag trat er die Flucht nach vorne an, mit einem Überraschungsbesuch im Irak. Rumsfeld will sich als rücksichtsloser Aufklärer der Affäre profilieren, die das Ansehen der USA in aller Welt schwer beschädigt hat. Ob er sich aber im Amt halten kann, ist ungewiss. Darüber hinaus gehen selbst loyale Konservative langsam auf Distanz zur konservativen Regierungspolitik.
Die neuen Bilder über Misshandlungen irakischer Gefangener, die Abgeordnete und Senatoren am Mittwoch zu sehen bekamen, erhöhen den Druck auf den Verteidigungsminister. Demokraten erneuern ihre Rücktrittsforderungen, und selbst mancher Republikaner zweifelt inzwischen, ob die Misshandlungen tatsächlich ein paar Soldaten in die Schuhe geschoben werden können, die auf eigene Faust agierten.
Zweifel an Taguba-Bericht wachsen
Der General, der die Foltervorwürfe untersuchte, Antonio Taguba, fand nach eigenen Angaben zwar keine Hinweise auf systematische Anweisungen zu Misshandlungen. Doch die Zweifel wachsen. "Es geht nicht nur um sieben Reservisten", sagte der Republikaner Sherwood Boehlert am Mittwoch nach Begutachtung der abstoßenden Bilder. "Die Frage ist: aus welcher Ebene der Kommandostruktur kamen die Befehle?" wollte der demokratische Senator Bill Nelson wissen. "Irgendeiner muss zur Verantwortung gezogen werden, nicht nur die sieben Angeklagten", forderte Parteikollege Edward Kennedy.
Auch die 21-jährige Soldatin Lynndie England, die auf mehreren bereits veröffentlichten Bildern lachend vor nackten Gefangenen posiert und auf einem Foto einen Mann wie an der Hundeleine hält, beruft sich auf höhere Befehle. Keiner der Angeklagten habe das Gefühl, etwas Unrechtes getan zu haben, weil alle auf Weisung von Vorgesetzten gehandelt hätten, sagte England im US-Fernsehen. Wer das war, sagte sie aber nicht.
Demonstrative Rückendeckung von Bush
Rumsfeld muss für das Vorgehen des Militärs im Irak politisch gerade stehen. Wenn er den Eindruck hätte, dass es nützen würde, trete er auch zurück, hatte er vergangene Woche im US-Kongress erklärt. Doch wird der Verteidigungsminister von selbst das Handtuch wohl nicht so schnell werfen. Am Montag erhielt er demonstrative Rückendeckung von Präsident George W. Bush, der eigens ins Pentagon geeilt war, um Rumsfeld für "hervorragende" Arbeit und einzigartige Führungsqualitäten im Kampf gegen den Terrorismus zu loben. Die Rüge, die er Rumsfeld vergangene Woche im Weißen Haus erteilt hatte, gilt deshalb in Washington eher als Versuch, die Kritiker zu beschwichtigen.
"New York Times"-Kolumnist Thomas Friedman wirft der Regierung vor, sich mehr um die Wiederwahl als um die Zukunft des Irak zu sorgen. Bush habe Rumsfeld auf Anraten seines obersten politischen Beraters Karl Rove nicht gefeuert, weil die konservative Basis nach Loyalität verlange.
Doch der ansonsten stets loyale republikanische Senator Pat Roberts sprach nach Angaben von Konservativen vergangene Woche für eine wachsende Zahl von Republikanern, als er die ganze Richtung der US-Politik in Frage stellte: "Im Kampf gegen den Terrorismus müssen wir wachsende messianische US-Instinkte bändigen - den Aufbau von Sozialstrukturen in aller Welt, bei denen sich die USA berechtigt und verpflichtet fühlen, Demokratie notfalls mit Gewalt zu fördern."
Unkontrollierbare Bilder
Die Folter- und Misshandlungsfotos aus dem Irak signalisieren auch eine Medienrevolution, die bisher von den Militärs - nicht nur jenen der USA - nicht ins Kalkül der Kriegführung einbezogen wurde. Und das Militär hat schlechte Karten: "Die Möglichkeiten, die Produktion und vor allem die Reproduktion von Bildern unter Kontrolle zu halten, sind sehr viel geringer geworden", sagt Herbert Mehrtens, Professor für Technikgeschichte an der TU Braunschweig. "Im Zeitalter supranationaler Medien sind solche Bildaufzeichnungen nicht mehr monopolisierbar."
Seit etwa fünf Jahren sind digitale Foto- und Videokameras erschwinglich und weit verbreitet. Und mit der Kamera, die ein Soldat mit in den Krieg nimmt, um für seine Freundin Erinnerungsbilder zu machen, werden in einer gänzlich anderen Situation vielleicht Bilder von misshandelten und gefolterten Gefangenen gemacht.
Neu ist nicht, dass Soldaten im Krieg fotografieren. Aber im Gegensatz zu früher, als die Militärs aller Staaten die Kriegsberichterstattung genau kontrollierten, gibt es nun eine unvergleichlich größere Zahl von Aufnahmen. Und weil alle Soldaten westlicher Staaten auch im Auslandseinsatz Zugang zu moderner Kommunikation haben, lassen sich Fotos "von unten" in Sekundenschnelle nicht nur auf CDs brennen, sondern auch per E-Mail verschicken. So kommen sie auch ins Internet. Einst landeten die wenigen Soldatenfotos aus dem Krieg in Schubladen und Kisten - schon deswegen, weil die Fotografen fürchteten, als unpatriotisch zu gelten. Damals war die Feldpost das einzige Kommunikationsmittel zwischen der Front und der Heimat: Sie wurde stets zensiert. Heute gibt es Satellitentelefone, zu denen de facto jeder Soldat Zugang hat.
"Ein neuer Krieg"
"Der Krieg der Bilder ist ein neuer Krieg, der nicht mehr staatlich geführt wird", sagt Mehrtens. Im Internet gibt es nun Bilder der Särge von US-Soldaten, die das Pentagon gar nicht gerne sieht. Oder ein Video, das die Erschießung eines Aufständischen im Irak durch einen US-Soldaten zeigt. Oder das Video über die Enthauptung des Amerikaners Nicholas Berg (26) durch islamistische Extremisten.
Jene "bleibenden" Fotos aus Kriegen, die der Welt in Erinnerung bleiben, werden künftig nicht mehr nur von professionellen Reportern, sondern von Amateuren geschossen, mit Autofocus. "Das Fotografieren von Gefangenen ist ja sowieso verboten", sagt der Sprecher des US-Militärs im Irak, Nick Balice, der BBC zur Rechtslage in den US-Streitkräften. "Es gibt ein grundsätzliches Film- und Fotografierverbot in militärischen Liegenschaften", heißt es im Bundesverteidigungsministerium. Und dienstliche Dinge dürfe man beispielsweise auch per Telefon nicht weitergeben. Ansonsten aber ist Soldaten das Fotografieren nicht verboten.
"Mirror"-Fotos gefälscht?
Bei den in Großbritannien veröffentlichten Fotos von Gefangenenmisshandlungen in Irak handelt es sich nach Angaben der britischen Regierung um Fälschungen. Die Aufnahmen, auf denen britische Soldaten einen irakischen Häftling misshandeln sollen, seien "definitiv nicht in Irak gemacht" worden, sagte der für die Streitkräfte zuständige Staatsminister Adam Ingram am Donnerstag vor dem Unterhaus des Londoner Parlamentes. Der auf den Bildern dargestellte Lastwagen sei nie in Irak gewesen.
Nach Aussage Ingrams werden die im „Daily Mirror“ veröffentlichten Aufnahmen weiter untersucht. Möglicherweise würden rechtliche Schritte gegen Beteiligte eingeleitet. Während der Ermittlungen der britischen Militärpolizei würden keine Details zu den Beweisen veröffentlicht. Ingram rief den Chefredakteur des „Daily Mirror“ auf, mit den Behörden zusammenzuarbeiten.
Die Zeitung hatte angegeben, die Bilder von Angehörigen des Queen’s-Lancashire-Regiments bekommen zu haben. Nach Aussage der Soldaten soll der Gefangene acht Stunden lang gefoltert worden und schließlich aus einem fahrenden Auto geworfen worden sein. Es sei unklar, ob er überlebt habe. Ingram sagte, das Blatt habe den guten Ruf des Regiments in den Dreck gezogen. Am Mittwoch hatte Premierminister Tony Blair betont, dass es keine Beweise für einen "systematischen Missbrauch" von Gefangenen durch britische Truppen gebe.
Rätselhafte Vorgeschichte zu Enthauptung
Unterdessen bekommt die weltweit mit Entsetzen aufgenommene Enthauptung des Amerikaners Nicholas Berg im Irak eine rätselhafte Vorgeschichte. US-Truppen und die irakische Polizei stritten am Donnerstag darüber, wer für eine etwa zweiwöchige Inhaftierung des 26-jährigen vor dessen Ermordung verantwortlich war. Bergs Familie hatte den US-Streitkräften vorgeworfen, den jungen Mann bis zum 6. April gefangen gehalten und damit seine Ausreise aus Irak verhindert zu haben. Bundeskanzler Gerhard Schröder verurteilte den Mord als scheußliches Verbrechen.
Unstrittig ist, dass die US-Streitkräfte über Bergs Inhaftierung vom 24. März bis 6. April informiert waren. Das FBI habe den Radiotechniker drei Mal besucht "und festgestellt, dass er in keinerlei kriminelle oder terroristische Aktivitäten verwickelt war", sagte Militärsprecher Dan Senor.
Berg wegen seines Verhaltens "verdächtig"
Wie aus US-Militärkreisen verlautete, galt Berg wegen seines Verhaltens - er bewegte sich in der Regel ohne Begleitung mit Taxis durch Irak - als verdächtig. Zudem habe der 26-Jährige Schriften mit "judenfeindlicher Tendenz" bei sich gehabt, sagte ein US-Offizier, der nicht genannt werden wollte. Berg war allerdings selbst Jude. Der Offizier bekräftigte, dass die Festnahme durch die irakische Polizei erfolgt sei. Dagegen erklärte der Polizeichef von Mossul, Mohammed Chair el Barhaui: "Die irakische Polizei hat den getöteten Amerikaner nie festgenommen."
Bergs Familie hatte am 5. April vor einem Gericht in Philadelphia Klage gegen seine Inhaftierung eingereicht. Einen Tag später wurde der 26-Jährige freigelassen und nahm sich in Bagdad ein Hotelzimmer, wo er nach Angaben von Angestellten bis zum 10. April blieb. An diesem Tag bot die US-Botschaft Berg nach Angaben des US-Außenministeriums einen Flug nach Jordanien an, den er aber ablehnte.
Am Dienstag war das Video mit Bergs Enthauptung durch irakische Terroristen auf einer islamischen Website veröffentlicht worden. Die Zahl der Zugriffe auf die Website stieg daraufhin so stark, dass sie am Donnerstag wegen Überlastung des Servers gesperrt wurde. Der zuständige Provider mit Sitz in Malaysia erklärte, man sei sich des Inhalts der Domain namens Al Ansar bis dahin nicht bewusst gewesen. "Wir haben nichts mit El Kaida zu tun", sagte Alfred Lim von der Firma Acme Commerce. Der Provider wolle den Betreiber der Website nun anzeigen.
Fischer bezeichnet Enthauptung als barbarisch
Die Bluttat löste weltweit Entsetzen aus. Schröder versicherte, Deutschland stehe in dieser Frage solidarisch an der Seite der amerikanischen Freunde. Außenminister Joschka Fischer verurteilte die Tat als barbarischen Akt und kaltblütigen Mord. Sie sei "ein brutales Verbrechen, was zu einer weiteren Eskalation führen" solle, sagte Fischer in Washington. Innenminister Otto Schily wertete es als Beleg, dass der Terrorismus schärfer bekämpft werden müsse.
Die Täter hatten die Tötung Bergs in dem Video als Vergeltungsaktion für die Folterung von Irakern in US-Gewahrsam bezeichnet.