Der Standpunkt von Ägyptens Präsident Abdel Fattah al Sisi ist klar: "Wir sind sehr daran interessiert, dass Hilfe den Gazastreifen in dieser schwierigen Zeit erreicht. Doch für den Gazastreifen besteht eine sehr große Gefahr. Es ist wichtig, dass das palästinensische Volk auf seinem Land standhaft bleibt. Wir werden alle Anstrengungen unternehmen, um es zu entlasten." Ägypten fühle sich verpflichtet, "in dieser schwierigen Zeit" die Bereitstellung "medizinischer und humanitärer Hilfe" sicherzustellen und die "legitimen Rechte" der Palästinenser zu gewährleisten – so der Präsident am vergangenen Donnerstag. Sprich: Hilfslieferungen ja, Ausreisen aus dem Gazastreifen nein. Das hat gleich mehrere Gründe.
Der Nahost-Konflikt
Die Palästinenser beanspruchen das Land zwischen Jordan und Mittelmeer für sich – und werden dabei von vielen arabischen Staaten unterstützt. Ägypten vertritt die Einstellung, dass Israel das Land einnehmen könnte, wenn alle Menschen den Gazastreifen verlassen würden – und damit wären im Nahost-Konflikt womöglich endgültig Fakten geschaffen. "Zynisch" nennt Bente Scheller von der Heinrich-Böll-Stiftung das im Gespräch mit "tagesschau.de". Die Millionen Menschen im Gazastreifen "würden von allen Seiten als politischer Spielball benutzt – die Interessen des jeweiligen Landes gingen stets über humanitäre Interessen".
Die Wirtschaft von Ägypten
Obwohl Ägypten die Corona-Krise wirtschaftlich relativ gut überstanden hat, bleibt die Arbeitslosigkeit ein großes Problem. Laut Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung lag die Arbeitslosigkeit 2021 offiziell bei etwa 7,5 Prozent – allerdings sind unter den 15- bis 24-Jährigen mehr als 23 Prozent arbeitslos. Fast eine halbe Million Menschen im Gazastreifen fällt ebenfalls in diese Altersgruppe, mehr als 830.000 Menschen im Gazastreifen sind 14 oder jünger und drängen zum einem Großteil in den kommenden Jahren ebenfalls auf den Arbeitsmarkt. Aktuell sind nur 40 Prozent der ägyptischen Bevölkerung sozialversicherungspflichtig beschäftigt, rund 70 Prozent sind entweder arm oder von Armut bedroht. Hunderttausende Menschen, die aus dem Gazastreifen nach Ägypten kommen und womöglich dauerhaft bleiben, könnten die wirtschaftlichen Probleme des Landes noch vergrößern.
Der Terror
Die Sinai-Halbinsel gehört zwar zu Ägypten, steht aber mehr schlecht als recht unter der Kontrolle der Regierung in Kairo – auch, weil der Friedensvertrag mit Israel das ägyptische Truppen-Kontingent dort beschränkt. So gilt gerade der an Israel grenzende Norden der Halbinsel schon lange als instabil und als Rückzugsgebiet militanter Islamisten. Auch der Waffenschmuggel nach Gaza wird von dort aus durch Tunnel betrieben. Mit dem Zulauf militanter Hamas-Anhänger aus dem Gazastreifen würde Ägypten ein noch größeres Sicherheitsproblem bekommen.
Quellen: bmz.de zur Wirtschaftslage Ägyptens, "Statista" zur Altersstruktur im Gazastreifen, tagesschau.de, Nachrichtenagentur AFP