Als Joe Biden sich noch als Übergangspräsident verstand, kurz nach seiner Wahl vor fast vier Jahren, übertrug er seiner Stellvertreterin und möglichen Nachfolgerin Kamala Harris die Bereiche Immigration und Südgrenze. Für die US-Vizepräsidenten war das Chance und Bürde zugleich, denn kaum ein Thema erregt amerikanische Gemüter mehr als illegale Einwanderung. Alles andere als ein durchschlagender Erfolg würde ihr als unverzeihliches Scheitern ausgelegt werden. Nun hat Joe Biden die Notbremse gezogen.
Joe Biden schränkt Asylrecht drastisch ein
Per Dekret, also ohne Zustimmung des US-Kongresses, hat der US-Präsident die Asylregeln drastisch verschärft. Die neuen Maßnahmen ermöglichen es den Behörden, irregulär eingereiste Menschen teils ohne Bearbeitung ihrer Asylanträge abzuschieben. Ausnahmen gibt es, aber nur in wenigen Fällen. "Ich tue, was die Republikaner im Kongress sich weigern zu tun: Ich unternehme die notwendigen Schritte zur Sicherung unserer Grenze", sagte Biden, der sich im November als Staatsoberhaupt wieder zur Wahl stellt.
Die neue Regelung gilt, sobald der Durchschnitt illegaler Grenzübertritte aus Mexiko in einer Woche die Zahl von 2500 pro Tag übersteigt. Sie wird aufgehoben, wenn diese Zahl wieder unter 1500 fällt. US-Medien berichteten unter Berufung auf die Behörden, derzeit seien es über 4000 pro Tag. Seit Beginn des Haushaltsjahrs im Oktober gab es demnach rund 1,5 Millionen "irreguläre Begegnungen" an der Südgrenze – also Fälle, in denen Menschen, meist kurzzeitig, festgenommen oder direkt abgeschoben wurden.
Während Bidens Amtszeit wurden zwei Jahre in Folge jeweils rund 2,4 Millionen illegale Grenzübertritte registriert. Täglich kommen Tausende Menschen in die USA, mehrheitlich aus Mittel- und Lateinamerika, weil sie vor Armut und Konflikten in ihren Heimatländern fliehen. Im vergangenen Dezember meldete die US-Grenzschutzbehörde mehr als 300.000 Festnahmen – so viele wie nie zuvor innerhalb eines Monats.
Menschen müssen "glaubhaft Angst" haben
Die Behörden stehen unter Druck. Das Justizsystem kommt bei der Bearbeitung der Asylgesuche kaum hinterher. Es fehlt außerdem an Unterbringungsmöglichkeiten und anderen Ressourcen für die Ankömmlinge. Das ist inzwischen auch in Landesteilen fernab der Grenze spürbar – unter anderem, weil republikanische Gouverneure aus südlichen Bundesstaaten wie Texas Migranten in Bussen von der Grenze in demokratisch regierte Teile der USA bringen lassen, als Protestaktion.
Bis auf weiteres gilt für Asylsuchende: Unter anderem müssen sie "glaubwürdige Angst" vor Verfolgung oder Folter in der Heimat nachweisen. Betroffenen wird dann zwar Schutz gewährt, aber nicht unter denselben Standards wie anderen Asylsuchenden. Wer hingegen regulär vorstellig wird, also zum Beispiel über eine eigens dafür eingerichtete App von außerhalb der USA aus einen Termin beantragt, soll eine faire Chance bekommen, so stellt es zumindest die Regierung dar.
Kritik an Biden-Dekret von allen Seiten
Allerdings sind etliche Fragen zur Umsetzbarkeit offen. So verlassen sich die USA bei den Abschiebungen etwa auf Mexiko. Der Weg über den südlichen Nachbarn wird von vielen Menschen gewählt, nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration der Vereinten Nationen ist es die tödlichste Landmigrationsroute der Welt. Jährlich sterben demnach Hunderte auf dem strapaziösen und gefährlichen Weg nach Norden, etwa an Wassermangel und Hitzeschlägen. Die Dunkelziffer ist deutlich höher.
Die Kritik an der harschen Anordnung folgte prompt und aus allen Richtungen:
- Die demokratische Abgeordnete Pramila Jayapal sprach von einem "gefährlichen Schritt in die falsche Richtung". Das Recht, Asyl zu beantragen, sei in den US-Gesetzen und den internationalen Vertragsverpflichtungen des Landes verankert.
- Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR forderte die USA auf, die neuen Regeln, "die das Grundrecht auf Asyl untergraben, zu überdenken".
- Der republikanische Sprecher des Repräsentantenhauses, Mike Johnson, bezeichnete das Dekret als "politischen Stunt" im Wahljahr. Es sehe weder neues Geld für den Grenzschutz vor noch Abschiebungen jener Menschen, die sich schon illegal in den USA aufhalten.
Der konservative Präsidentschaftskandidat Donald Trump kann mit harten Forderungen zum Kampf gegen illegale Einwanderung bei vielen Amerikanern punkten. So kündigte er für den Fall seiner Wiederwahl jüngst an, als Massenabschiebungen vorzunehmen. Dazu solle die Nationalgarde eingesetzt werden, "aber ich hätte auch kein Problem damit, das Militär zu nutzen", so Trump. Dass der Einsatz der Armee gegen Zivilisten auf US-Boden verboten ist, kümmert den Ex-Präsidenten nicht, denn bei illegal ins Land gekommenen Menschen handele es sich "nicht um Zivilisten", sondern um "eine Invasion".
Trump mit Vertrauensvorschuss
Bislang vertrauen die Amerikaner Umfragen zufolge eher auf Donald Trump, wenn es um den Kampf gegen illegale Einwanderung geht. Nun macht auch Joe Biden den harten Mann. Von Kamala Harris ist schon lange nichts mehr zu hören.
Quellen: "Taz", "New York Times", Reuters, DPA, AFP