Es ist mal wieder so weit. Diesmal kommen die Bilder von toten Kühen und sterbenden Kamelen, von ausgedörrter Erde und verzweifelten Menschen aus Ostafrika. Das Welternährungsprogramm (WFP) hat für Somalia und Kenia den Notstand ausgerufen. Der UN-Organisation fehlen mehr als 180 Millionen Euro, um über fünf Millionen Menschen allein in diesen beiden Ländern bis zum nächsten Februar mit Mais, Speiseöl und Bohnen zu versorgen.
Insgesamt sind am Horn von Afrika, so die Schätzung des WFP, elf Millionen Menschen vom Hunger bedroht, die meisten von ihnen Nomaden. Noch herrscht keine Hungersnot, aber wenn die Hilfe ausbleibt, wenn nicht der Regen im April nach fast zwei Jahren Trockenheit wieder einsetzt, dann könnten Zehntausende Menschen sterben, warnen die Helfer.
Stiftung stern: Hilfe für Menschen e.V.
Deutsche Bank, BLZ 200 700 00,
Konto 469 95 00, Stichwort: Dürre.
Mehr Infos über sinnvolle Hilfe unter
stern.de/duerre
Das ist wahr - aber nicht die ganze Wahrheit. Selbst wenn die angeforderten Maissäcke eine Hungersnot verhinderten, werden die Nomaden entlang der Grenze zwischen Somalia und Kenia bei der nächsten Dürre wieder dem Tode nah sein. Es ist ein Kreislauf, der sich seit Jahren wiederholt. So ernsthaft die Hilferufe der Hilfsorganisationen sind, so sinnlos sind die Lebensmittelspenden. Sie verhindern, dass Menschen sterben. Aber sie verhindern ebenso, dass sie eine Zukunft haben.
Am Horn von Afrika fällt seit mehr als einem Jahrzehnt immer weniger Regen. In diesem Gebiet leben seit Menschengedenken Nomaden. Ihr ganzer Reichtum ist das Vieh. Je mehr Vieh sie besitzen, desto sicherer fühlen sie sich. Und je schwerer die Zeiten, desto mehr Tiere schaffen sie sich an. Die Herden fressen die Steppe kahl, der karge Boden kann selbst den wenigen Regen immer schlechter speichern. Die Nomaden wissen nicht, wie man Wasser auf Vorrat hält.
Und je weniger Wasser da ist, umso weiter wandern sie mit ihren Tieren zwischen beiden Ländern umher. Doch auch die tiefsten Wasserstellen bleiben nach drei ausgefallenen Regenzeiten leer. Erst starben die Kühe, inzwischen sind fast alle Ziegen und Schafe tot. Viele Kamele haben sich im Gedränge um die Brunnenlöcher mit Maul- und Klauenseuche infiziert. Sie sterben als Letzte.
Stiftung stern: Hilfe für Menschen e.
Deutsche Bank, BLZ 200 700 00,
Konto 469 95 00, Stichwort: Dürre.
Die Familien trennen sich. Kinder und Frauen ziehen an Straßenränder und in Lager, die an den letzten Wasserstellen entstehen. Sie wissen, dass die Hilfe sie dort erreicht. Die Männer wandern mit den verbliebenen Tieren weiter. Solche Krisenzeiten sind normal in der Steppe. Die Nomaden haben sich an das harte Leben angepasst. Eine Familie kommt mit 40 Liter Wasser in einer Woche aus. Die Menschen sind jedoch nicht darauf vorbereitet, dass eine solche Ausnahmesituation zum Dauerzustand wird. In Verbindung mit einem Bevölkerungswachstum, das in manchen Gegenden die Zahl der Familien enorm nach oben schnellen ließ, wird der Lebensstil der Nomaden zum Selbstmord. Sie überleben nur durch Spenden.
Seit 1999 hat Kenia fast eine halbe Milliarde Dollar an Lebensmittelhilfe erhalten. Trotzdem ist ein Drittel der Kenianer unterernährt - und diese Zahlen berücksichtigen die neue Dürre nicht. Die Nahrungsspenden halten die Menschen am Leben, aber sie geben ihnen keine Perspektive. Im Gegenteil. Durch kostenlosen Mais fallen die Preise für Nahrungsmittel. Die Bauern im Westen Kenias verkaufen daher ihre gute Maisernte lieber nach Tansania, wo sie mehr Geld pro Sack erhalten, als an die eigene Regierung, die damit die Menschen im Norden versorgen will. Erschwerend hinzu kommen die kenianischen Schlaglochpisten. Seit Jahren baut die Regierung keine neuen Straßen - und überlässt die gesamte Logistik der Lebensmittelhilfe komplett dem WFP.
"Wir sind wie ein Kind, das nach dem Babysitter ruft, sobald es Probleme bekommt", sagt James Shikwati, Ökonom aus Nairobi und Vorsitzender eines Netzwerkes zur regionalen Wirtschaftsförderung in Kenia. Er argumentiert leidenschaftlich dafür, die Lebensmittelhilfe ganz einzustellen. "Unsere Regierung nutzt den Hunger, um von ihrer eigenen Unzulänglichkeit abzulenken. Langfristig ändert diese Hilfe gar nichts. Ganz im Gegenteil - sie hilft unseren politischen Eliten, Gelder für eigene Imagekampagnen zu verwenden statt für die Infrastruktur der betroffenen Regionen."
Kenia steht regelmäßig ganz oben in der Liste der korruptesten Staaten. Alle fünf Transportfirmen, die Lebensmittel in den Norden schaffen, gehören Ministern oder deren Angehörigen. An der Korruption änderte auch der Regierungswechsel 2002 nichts, der die 24-jährige Amtszeit von Daniel arap Moi beendete. Seit Anfang 2006 versucht die Koalition um Präsident Mwai Kibaki, das Verschwinden von 200 Millionen Dollar zu vertuschen, die angeblich für Computer und Labore an eine Briefkastenfirma flossen. Fast exakt die Summe, die dem WFP für die Nothilfe fehlt.
Es gibt ein altes Muster
in Kenia: In den Norden des Landes wird seit der Unabhängigkeit nichts investiert. Es fehlt an geteerten Straßen und Telefonverbindungen. In der Region um die Stadt Wajir sind drei Ärzte für 400 000 Menschen zuständig. Die Regierung in Nairobi kümmert sich nur sporadisch um die Menschen hier. Erst im Januar schickte Nairobi 60 000 Tonnen Mais - da war die Krise schon seit mehr als anderthalb Jahren bekannt.
In Somalia gibt es noch nicht einmal eine Regierung, der man Untätigkeit vorwerfen könnte. Seit dem Sturz des Diktators Siad Barre 1991 zerfällt das Land in Clans, die sich bekriegen. Zwei Schiffe des WFP wurden vor der Küste gekidnappt, seitdem fahren die Hilfstransporte über Land - und müssen ab der Grenze in Nordkenia bis zu 25 Kontrollstellen somalischer Milizen passieren. Und bei jeder bezahlen. Die Transporte werden so um ein Drittel teurer.
Gibt es überhaupt Lösungen
in einer solchen Situation, die den Menschen eine Zukunft geben können? Ja, aber sie sind nicht einfach zu verwirklichen, schon gar nicht in Somalia. Erst kürzlich starb dort ein Mann, weil sich zwei Clans bei der Verteilung von Lebensmitteln beschossen. Essen ist Macht in Somalia, und das ändert sich nicht, solange die Sicherheitslage im Lande sich nicht verbessert.
In Kenia gibt es einen funktionierenden Staat. Aber es gibt keine funktionierende Wirtschaft in den Dürregebieten. Es ist Bildung, die fehlt, und damit das Wissen um die Kräfte des Marktes. Etwa dass es besser ist, Tiere zu verkaufen, bevor die Preise ins Bodenlose fallen. Oder das Wissen um Bewässerung, um Vorratshaltung bei Tierfutter. Oder dass es sinnvoll sein kann, Kinder in die Schule zu schicken, damit sie dort einen anderen Beruf lernen als den des Hirten. Denn die Menschen müssen ihr Leben ändern, wenn sie überleben wollen. Als Hirten werden sie es ohne ständige Lebensmittelspenden nicht mehr schaffen. Leider gibt es kaum Gelder für solch langfristige Hilfe. Denn vielen Gebern - ob Regierungen oder privaten Spendern - ist Nothilfe lieber als komplizierte Vorsorgeprojekte.
Dabei weiß man längst, dass die funktionieren. Auch im Südosten Äthiopiens herrscht Dürre, auch hier verlieren ganze Nomadenstämme ihre Tiere und damit die Lebensgrundlage. Vier Dörfer im Erer-Tal bei Harar sind davon bisher verschont geblieben. Karlheinz Böhms Organisation "Menschen für Menschen" hat hier vor 15 Jahren 1500 Halbnomaden aus einem Flüchtlingslager angesiedelt, Experten haben ihnen gezeigt, wie man moderne Landwirtschaft betreibt. Die Menschen im Erer-Tal haben einen Wald angelegt, um die Wasserversorgung sicherzustellen. Es hat über ein Jahrzehnt gedauert, aber heute sind die Dörfer autonom. Selbst ungewöhnliche Dürre macht aus ihnen keine Hilfsempfänger mehr. Sie haben sich selbst eine Zukunft geschaffen.